Gefangen im Netz: Notizen aus einer Ära des kybernetischen Deliriums

Entnommen aus: “Die Smartifizierung der Macht, Beiträge zu einer Offensive gegen das technologische Netz”; Edition Irreversibel; Frühjahr 2018; S.19-121.

 

Als wir uns für diesen Text begannen zu treffen, tauchte unter den effekthascherischen Berichten der britischen Boulevardzeitungen eine bezeichnende Geschichte auf. Eine pensionierte 89-jährige Kunstlehrerin und vormalige Royal Navy Elektrikerin, die nur als Anne bezeichnet wurde, brach zur Dignitas Klinik in der Schweiz auf, um ihr Leben zu beenden, gemeinsam mit anderen, die nach weniger restriktiven Sterbehilferegelungen suchen, als in ihrem Herkunftsland. An sich nichts besonderes. Was bemerkenswerter war, waren ihre Kommentare, was sie dazu gebracht hatte; nämlich, dass sie nicht mehr mitkam mit der technologisch-industriellen Gesellschaft und dass sie die Welt, wie sie heute ist, als unerträglich erlebe. „Wieso verbringen so viele Menschen ihre Leben, indem sie vor einem Computer oder Fernseher sitzen?“ fragte sie in dem Beitrag. „Die Leute werden immer distanzierter. Wir werden zu Robotern. Es ist dieses Fehlen an Menschlichkeit.“

Niemand auf diesen Inseln [hrsgb. – Großbritannien] könnte davon verwirrt sein, wovon Anne in ihrem Statement gesprochen hat. Ob du es als aufregenden Fortschritt oder als notwendiges Übel begreifst, es ist unbestreitbar, dass es in der „entwickelten“ Welt heutzutage wenige Orte gibt, um ein Refugium zu finden vor den vielen Erscheinungsformen des Bildschirms; und, spezieller, von den Netzwerken, die jetzt diese Geräte zusammenhalten und mehr. Und nicht nur in der Sphäre der Kommunikationsmedien, wie wir sie vormals verstanden haben, noch am Arbeitsplatz oder Zuhause – von Flughäfen, Wanderpfaden, Kirchen, Orten der organisierten Freizeitgestaltung, hat sich das Netz der Signale und Interfaces verbreitet, eher wie ein Virus, durch beinahe alle Ecken der Kulturen aus der es entstanden ist oder die es in der Folge kolonisiert hat.

Heutzutage ist es selten, einem Konzert beizuwohnen, in welchem die erste Reihe aus aufmerksamen Gesichtern besteht, anstatt jenen, die im Schein der Kameralinsen gebadet werden, begierig die Performance durch ein sekundäres Medium konsumierend oder sogar abwesend aufnehmen, um sie sich zu einem späteren Zeitpunkt zu Gemüt zu führen, ohne verbleibendem Bedürfnis „im Moment“ zu verweilen, um fähig zu sein, Meinungen mit unseren Freunden auszutauschen, was wirklich das Highlight der Nacht war. Tatsächlich fühlt es sich oft so an, als wäre das Ereignis selbst (was auch immer es sein mag) von sekundärer Wichtigkeit gegenüber der hektischen Unruhe der digitalen Aktivität, die es umkreist. Von der vorherigen Werbung in den sozialen Medien, hin zu den Onlinebewertungen, die simultan zum Verlauf des Events auftauchen.

„Der offensichtlichste Gebrauch von Twitter“, sind laut Eric Schmidt, derzeit CEO von Google, Situationen wo „jeder einem Spiel zusieht und damit beschäftigt ist, über das Spiel zu sprechen, während das Spiel stattfindet.“ Mittlerweile ist es absolut vernünftig geworden, unserem Nachbar eine Textnachricht zu senden, anstatt einfach unangekündigt vorbeizuschauen (was sogar Akzeptanz findet unter Altersgruppen, die zuvor diese Idee verweigert hätten) – es ist angebrachter, nachbarschaftlicher. Computerspiele, von denen früher angenommen wurde, dass man sie lediglich in den unteren Rängen der Gesellschaft antrifft, sind heute von neuen Phänomenen abgelöst worden: Anderen Leuten beim Spielen von Computerspielen zuzusehen, ist zu einem Massenereignis geworden.

Der Autor Daniel Goleman liefert uns eine vertraute Anekdote:

Der Kopf des kleinen Mädchens erreichte gerade mal die Hüfte der Mutter, als sie diese umarmte und sich wild an ihr festhielt, während die beiden auf einer Fähre auf eine Urlaubsinsel fuhren. Die Mutter jedoch antwortete ihr weder, noch schien sie von ihr Notiz zu nehmen: sie wurde die ganze Zeit von ihrem Ipad aufgesogen.

Ein paar Minuten später gab es eine Wiederholung, als ich in ein geteiltes Großtaxi einstieg mit neun Studentinnen, die in dieser Nacht zu einem Wochenendausflug reisten. Innerhalb einer Minute, in der sie die Sitze in dem dunklen Van eingenommen hatten, flackerten gedimmte Lichter auf, als jede einzelne der Frauen ein iPhone oder Tablet anmachte. Zusammenhangslose Gespräche sprudelten hervor, während sie SMS schrieben oder sich durch Facebook scrollten. Die meiste Zeit war es jedoch still.

Die Gleichgültigkeit der Mutter und die Stille unter den Studentinnen sind Symptome dafür, wie die Technologie unsere Aufmerksamkeit gefangen nimmt und unsere Verbindungen unterbricht. 2006 wurde das [hrsgb. – englische] Wort „pizzled“ in unserem Lexikon aufgenommen; eine Kombination aus puzzled [hrsgb. – verdutzt sein] und pissed [hrsgb. – sauer sein], es bezeichnete das Gefühl, das Leute hatten, wenn die Person, mit der sie unterwegs waren und eine Gespräch führte, ihr Black-Berry herausholten und begannen mit jemandem anderem zu sprechen. Damals fühlten sich die Leute verletzt und waren empört über solche Momente.

Heute ist das eine Norm.“ Soziologische Literatur bezeichnet diese Verhalten als ein „away“ – eine Geste, die einer anderen Person mitteilt „Ich bin nicht daran interessiert, was hier und jetzt vor sich geht“; heute weit verbreitet in einer von Medien gesättigten Umwelt von bloß partieller Aufmerksamkeit, vom Klassenzimmer bis zum Wohnzimmer. Die neue digitale Ära normalisiert sich zusehends in den Köpfen ihrer Teilnehmenden, sodass Leute, die direkt in den Techboom der 1980er und 1990er geboren wurden, sich kaum noch eine andere Welt vorstellen können – und trotzdem gibt es immer noch viele, die sich an ein weniger durch Gadgets vermitteltes Leben erinnern können und manche von ihnen haben sich ihrer Huldigung nicht unterworfen. „Sie sagen pass dich an oder stirb. In meinem Alter,“ konstatierte Annie, „fühle ich, dass ich mich nicht anpassen kann, da das neue Zeitalter ein Zeitalter ist, das ich nicht verstehen gelernt habe.“ Dass es so einfach ist die Beschwerden einer gealterten Frau und ihrer Generation abzuschreiben, spricht von einer Gefühlskälte, die in der industriellen Gesellschaft gegenüber ihren „verbrauchten Ressourcen“ Gemeinplatz geworden ist, der Respekt für und die Weisheit von Älteren (das heißt, jenen, die erachtet werden, sich diese Titel verdient zu haben) werden zum Hohn der technologisch Gebildeten gegenüber dem Entsetzen vieler unserer Vorfahren angesichts der schwindelerregenden Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung, in einer entfähigten Gesellschaft, die weniger von erfahrener und erlebter menschlicher Weisheit geleitet wird, sondern von extern implementierten Maschinenupdates. Die Schlussfolgerung ist, dass sie selbst und die ihnen mehr vertrauten Technologien es sind, die „obsolet sind“ – ohne Platz und ohne Zukunft.

Dennoch könnten diese Beobachtungen zur Erwiderung führen, dass der springende Punkt lediglich einer Falsch- oder Übernutzung der Optionen ist, welche das digitale Medium zur Verfügung stellt. Wir reden uns selbst ein, dass das Werkzeug das ist, was wir daraus machen. Hier begegnen wir einer klassischen Falle in der Analyse einer Technologie: Uns auf den Inhalt zu fokussieren (z.B. welche Information, Geschichten, Argumente etc. werden übermittelt oder welche Anwendung wird ausgeführt) auf Kosten der Untersuchung der Form (z.B. was das physische Medium nach sich zieht), um herauszuarbeiten, wie es unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst. Wie sehr haben wir Kontrolle über die Auswirkungen des digitalen Mediums, dadurch, dass wir auswählen, auf was wir durch es zugreifen?

Jede Technologie ist eine Reflexion der Ideologie in deren Kontext sie geschaffen wurde. Was wir momentan erleben ist eine Veränderung, die in ihrer Auswirkung und Tiefe vielleicht ähnlich zu jener ist, die durch die industrielle Revolution eingeläutet wurde; ein Paradigmenwechsel in der Art, wie wir der Welt begegnen, Kind einer produktivistischen und kapitalisierenden Mentalität und trotzdem vielleicht auf viele Arten verschieden von der vorherigen Ära in Bezug darauf, wie wir konditioniert werden, um die Werkzeuge zu bedienen, die wir nutzen. Manche haben dies als die „Interface-Revolution“ bezeichnet. Im Zentrum dieser ist das Internet, das sogar ein physiologisches Level erreicht. Bevor wir dazu kommen, was dies für Anarchisten (oder andere) bedeuten kann, die auf der Suche nach Wegen aus der herrschenden Kultur heraus sind, würden wir gut daran tun, diese Veränderungen zu untersuchen. In einem Großteil der Welt wird das Netz nicht mehr als eine bestimmte Destination wahrgenommen, zu der wir in einem spezifischen Moment durch eine dafür vorgesehen Technologie Zugang erhalten, sondern als eine Umgebung, die uns permanent umgibt, immer online, immer präsent, immer am Senden und Empfangen; und obwohl wir es fast schon als ein Teil unserer Selbst akzeptieren, um Dinge zu erfahren oder soziale Beziehungen aufrechtzuerhalten, scheint dies zunehmend in den Hintergrund des Bewusstseins der Menschen zu treten.

Die Nachricht und das Medium

„Ich kann es auch fühlen. Über die letzten Jahre hatte ich das unangenehme Gefühl, dass jemand oder etwas an meinem Gehirn herum gebastelt, meinen neuronalen Schaltkreis neu kartographiert und meine Erinnerung umprogrammiert hat. Mein Verstand verschwindet nicht – soweit ich das sagen kann – sondern er verändert sich. Ich denke nicht auf die Art und Weise, wie ich gewohnt war, zu denken. Ich spüre es am stärksten wenn ich lese. Für mich war es ein leichtes, in ein Buch oder einen langen Artikel einzutauchen. Mein Verstand wurde eingefangen von den Wendungen der Erzählung oder den springenden Punkten des Arguments, ich habe Stunden damit verbracht, mich durch lange Prosa zu lesen. Das ist kaum noch der Fall. Meine Konzentration beginnt nach einer oder zwei Seiten zu schwinden. Ich werde zappelig, verliere den Faden, beginne nach etwas anderem zu suchen. […] Ob ich online bin oder nicht, mein Verstand erwartet heute Information aufzunehmen und zwar so wie das Netz sie verteilt: in einem sich andauernd bewegenden Partikelstrom. Einst war ich ein Tiefseetaucher im Meer der Worte. Heute gleite ich lediglich über die Meeresoberfläche, wie ein Kerl auf einem Jetski. Mein Gehirn, so habe ich begriffen, war nicht nur am abdriften. Es war hungrig. Es forderte auf die Art und Weise gefüttert zu werden, wie das Netz es gefüttert hatte – und je mehr es gefüttert bekam, desto hungriger wurde es. Sogar wenn ich nicht am Computer war, verlangte es mich danach meine E-mails zu checken, auf Links zu klicken, ein bisschen herumzugooglen. Ich wollte verbunden sein.“

– Nicholas Carr

Bis vor nicht allzu langer Zeit, hat die dominante westliche Kultur über Jahrhunderte unter einem zugrundeliegenden Modell der Linearität funktioniert, wie am Beispiel der Entwicklung der Lese- und Schreibfähigkeit gesehen werden kann: Lesen bedeutet das Folgen eines einzelnen Textkörpers, mit einer Priorität auf Nachdenken, Einsamkeit (zumindest im mentalen Sinne) und Aufmerksamkeit. Die Form, die das Internet annimmt, ersetzt das simple Blatt eines Buches durch ein Gedränge von Toolbars, Verknüpfungen, Links, Werbung, automatisch startenden Videos etc. und kultiviert eine Verschiebung in einen nicht linearen Bereich. Heute lesen wir, die in der Onlinewelt aufgewachsen sind, oft nicht unbedingt von links nach rechts oder von oben nach unten, sondern wir springen auf der Seite herum und versuchen in kleinen Schnipseln die „Schlüssel“- Informationen herauszupicken, anstatt zu versuchen das Stück im Ganzen aufzunehmen.

Es ist kein Geheimnis, dass im Großen und Ganzen die Medienindustrie davon ausgeht, dass „das Gedruckte tot ist“, und die kulturelle Entwicklung darauf hindeutet, dass alle Publikationen schlussendlich virtuell sein werden. Manche Forscher behaupten, dass ihre Untersuchungen zu kreativem Schreiben zeigen, dass in den letzten Dekaden die Themenwahl, der Aufbau und der Erzählfluss kontinuierlich weniger einfallsreich und divers geworden sind, wohingegen die graphische Kunst, angesichts einer Kultur die immer noch spektakulärerer und symbolmanipulierender wird, zum Beispiel einen gegenteiligen Trend zeigt.

Erinnerst du dich daran, wie es sich anfühlt, wenn du dich nach einer längeren Zeit im Internet losreißt? Wie es sich anfühlt, als wenn du dich anstrengen müsstest dich wieder den nicht-digitalen Elementen des alltäglichen Lebens „anzupassen“? Gibt es zwischen diesen Momenten überhaupt noch viel Raum für dich, Momente, wo du nicht zwischen dem Handybildschirm, dem Tablet oder dem Desktop hin und her springst? Wir könnten das inzwischen favorisierte wissenschaftliche Narrativ der Neurologen (jene, die das Gehirn studieren) über die „Neuroplastizität“ betrachten, als einen unter vielen potentiellen Ansätzen, um unsere Situation zu theoretisieren (natürlich immer mit einem Auge auf die Beschränkungen, Abhängigkeiten und Fehler, die der wissenschaftlichen Traditionen zu eigen sind). Nicholas Carr zitiert solche einen Wissenschaftler, Michael Merzenich, der „über die Macht des Internets nachgedacht hat, nicht nur moderate Abweichungen zu verursachen, sondern fundamentale Veränderungen in der mentalen Beschaffenheit. Merzenich merkt an, dass „unser Gehirn jedes Mal, wenn wir eine neue Fertigkeit erlernen oder entwickeln, sich physisch und funktional substanziell verändert, und er beschrieb das Netz als die letzte, in einer Serie von „modernen kulturellen Spezialisierungen“, mit der „die gegenwärtigen Menschen Millionen von ‚praktischen‘ Ereignissen erleben können und dass der durchschnittliche Menschen vor tausend Jahren so etwas überhaupt nicht ausgesetzt war.“ Er schloss daraus, dass „unsere Gehirn durch dieses Ausgesetzt-sein massiv umgeformt wird.“ 2008 griff er dieses Thema erneut auf, in einem Eintrag auf seinem Blog, wobei er Großbuchstaben verwendete, um seine Punkte zu betonen. Er schrieb: „Wenn Kultur Veränderungen antreibt, in der Art und Weise, wie wir mit unserem Gehirn umgehen, erschafft sie UNTERSCHIEDLICHE Gehirne,“ und merkte an, dass unser Verstand „spezifische, besonders oft wiederholte Prozesse verstärkt.“ Während er anerkennt, dass es heute schwer vorstellbar ist, ohne das Internet und online-Werkzeuge, wie der Google-Suchmaschine, zu leben, betonte er „DASS IHRE MASSIVE NUTZUNG NEUROLOGISCHE KONSEQUENZEN HAT.“

Was wir nicht tun, wenn wir online sind, hat auch neurologische Konsequenzen. Genauso wie Neuronen, die gemeinsam feuern, sich miteinander verbinden, verbinden Neuronen, die nicht gemeinsam feuern, sich nicht miteinander. Wenn die Zeit, die wir damit verbringen, online auf Webseiten zu surfen, die Zeit verdrängt, die wir damit verbringen, Bücher zu lesen, wenn die Zeit, die wir damit verbringen, bit-große Textnachrichten auszutauschen, die Zeit verdrängt, die wir damit verbringen, Sätze und Absätze zu formulieren, genauso wie die Zeit, die wir damit verbringen, zwischen Links hin und her zu springen, die Zeit verdrängt, die wir der stillen Reflexion und dem Nachdenken widmen, werden die Kreisläufe, die diese alten intellektuellen Funktionen und das Streben danach unterstützen, geschwächt und beginnen sich aufzulösen. Das Gehirn recycelt diese nicht genutzten Neuronen und Synapsen für andere, dringlichere Arbeit. Wir bekommen neue Fertigkeiten und Perspektiven, jedoch verlieren wir alte. […] Ruhig, fokussiert, nicht abgelenkt, der lineare Verstand wird zur Seite geschoben, durch eine neue Art des Verstandes, der Informationen aufnehmen und ausstoßen will und muss, in kurzen, zusammenhanglosen, oft überlappenden Auswürfen – je schneller, desto besser.“

Erneut mag die Verlockung groß sein, die schiere Menge der Daten, die uns zur Verfügung stehen (die Nachricht) für all das zu beschuldigen – und natürlich gibt es mehr, was zu diesem Punkt gesagt werden kann – trotzdem, kommen wir wieder nicht umhin zu fühlen, dass es etwas in der Form selbst (dem Medium) ist, das in diese Richtung drängt. Waren es nicht vielleicht die Roboterhaftigkeit, das zunehmende Fehlen von soziale Beziehungen abseits des Bildschirms, was Annie so bekümmert hatte? Obwohl in keiner Weise sterbenskrank, hatte sie Angst in einem Spital oder einem Altersheim zu enden. Vielleicht war das, was sie keinen anderen Ausweg sehen ließ, als in Würde aus einem langen (und ihrer Aussage nach stolzen) Leben zu scheiden, die Tatsache, dass die Welt um sie herum schneller ins Delirium rutschte, als sie selbst.

Digitale Demenz

Während die Demenz typischerweise eine Krankheit ist, die die Älteren plagt, trifft ein neuer Typ von kognitiver Beeinträchtigung die jüngeren Individuen in ihren frühen 20ern und im Jugendalter – eine Störung, die als „digitale Demenz“ bekannt ist. Digitale Demenz ist charakterisiert durch einen Verfall der Gehirnfunktionen als Resultat der Übernutzung digitaler Technologien wie Computer, Smartphones und Internetnutzung im allgemeinen, wie Medical Daily berichtet hat. Der exzessive Gebrauch dieser Technologie führt zu einer unausgewogenen Gehirnentwicklung, die linke Gehirnhälfte von exzessiven Nutzern ist überentwickelt, was ihre rechte Gehirnhälfte unterentwickelt zurücklässt. Die linke Seite des Gehirns wird generell mit rationalem Denken, numerischen Berechnungen und dem Faktenfinden in Verbindung gebracht, während die rechte Seite des Gehirns verantwortlich ist für die kreativeren Fertigkeiten und emotionale Gedanken. Wenn die rechte Seite auf lange Sicht unterentwickelt bleibt, kann dies zu einem frühen Auftreten von Demenz führen. „Zehn bis Fünfzehn Prozent jener, mit einer moderaten kognitiven Störung entwickeln Demenz“, sagt der Psychiater Park Ki-Jeong. Allgemeine Symptome der digitalen Demenz beinhalten Gedächtnisprobleme, eine verkürzte Aufmerksamkeitsspanne und emotionale Abflachung.“

– New ‘Digital Dementia’ Plaguing Young Tech Users

Offensichtlich ist es nicht so einfach, wie es eine reduktionistische Wissenschaft gerne hätte, einen gesundheitsschädigenden Aspekt einfach von einem anderen zu trennen, das „Emotionale“ von dem „Physischen“ und so weiter. Es ist wohl klar, dass nicht alles in Ordnung ist mit dem menschlichen Wohl in der zivilisierten Welt und die Symptome, die allgemein als „neurologisch“ beschrieben werden, treten zunehmend in den Vordergrund. Eine Studie, durchgeführt in der westlichen Welt, „die sich auf die verändernden Muster in den neurologischen Todesfällen zwischen 1979 und 1997 fokussierte, hat herausgefunden, dass Demenz 10 Jahre früher auftrat – und mehr Menschen in ihren 40ern und 50ern betraf – sowie, dass es einen merklichen Anstieg gab, in den neurologischen Todesfällen von Menschen bis zum Alter von 74 Jahren. Die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Zunahme in lediglich 20 Jahren deutet hauptsächlich auf äußere Umwelteinflüsse hin.“[1] Hier im Vereinigten Königreich sind neue Wohltätigkeitsorganisationen speziell für junge Betroffene von Demenz und Parkinson entstanden, parallel zu jenen, die wegen aufwallenden Krebsraten entstanden. [2]

Unglaublicherweise haben die Autoren vom DSM [hrsgb. – englisch für „diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen“], dem offiziellen psychiatrischen Diagnosehandbuch, der „Internetbenutzungs-Störung“ als weltweit verbreitetes Phänomen erst 2013 ein Platz in ihrem Buch zugesichert (wie üblich samt standardisierten „Lösungen“). Um diese Zeit herum, haben andere geschätzt, dass 5-10% der Internetnutzer süchtig waren; im Sinne von „unfähig ihre Nutzung zu kontrollieren“. In Südkorea, Heimatland der größten internetnutzenden Population der Weltbevölkerung, wurde Internetsucht quer durch alle Altersgruppen schon in den 90ern anerkannt. Dort wurde der Begriff „digitale Demenz“ geprägt, er beschreibt einen Verfall der kognitiven Fertigkeiten, der allgemein bei Menschen beobachtet wird, die eine schwere Kopfverletzung erlitten haben oder eine psychiatrische Krankheit. Südkoreanische Ärzte berichten seither von einem stetigen Anstieg an jungen Menschen, die so abhängig von elektronischen Geräten geworden sind, dass sie sich nicht mehr länger an alltägliche Details wie Telefonnummern erinnern können. Zu der Zeit, als das DSM veröffentlicht wurde, lag der Anteil an Menschen zwischen 10 – 19 Jahren, die ihr Smartphone täglich mehr als 7 Stunden nutzen, nahe bei 20%, wobei Kindern eher als Erwachsene eine „emotionale Unterentwicklung“ erleiden, da sich ihre Gehirne noch in der Entwicklung befinden.

In Korea, und auch in anderen asiatischen Ländern wie Taiwan, wird die Sucht nach Computerspielen, Social Media und VR (Virtueller Realität) unter Jugendlichen als nationale Gesundheitskrise anerkannt. Aber man muss nicht weit reisen, um Entzugserscheinungen wie Nervosität, Angst und Reizbarkeit zu beobachten, wenn Kinder (aber nicht nur) von ihren Geräten getrennt werden. In dem Maße wie die Altersspanne der „digital natives“ [hrsgb. – Personen, die schon in der digitalen Welt aufgewachsen sind] wächst, werden ihre Krankheiten besser erkennbar und weiter verbreitet.

Generation App

[Howard Gardner und Katie Davis untersuchen], wie junge Menschen sich selbst und ihre Beziehungen sehen, wenn smarte Gerätschaften nahezu allgegenwärtig sind; soziale Rituale passieren über Textnachrichten und die Währung der Beliebtheit wird in Likes und Kommentaren auf social-sharing Apps gehandelt. […] Gardner und Davis fragen, ob die modernen sozialen Netzwerke größer, aber seichter sind, als die ihrer Eltern und Großeltern. […] Die Mentalität der Apps, sagen sie, motiviert die Jugendlichen nach direkten, schnellen und einfachen Lösungen zu suchen – die Art von Antworten, die eine App liefern würde – und vor Fragen zurückzuscheuen, seien diese groß oder klein, wenn es dafür „keine App gibt.“ […] Jedoch versteckt der äußere Glanz oft eine tief sitzende Angst, die sich nach außen hin durch ein Bedürfnis nach Anerkennung zeigt. In ihren Gesprächen mit Jugendcamp-Betreuern und Lehrern, wurde Gardner und Davis wiederholt erzählt, dass die heutige Jugend risikoscheu ist; die Generation App, sagte ein Teilnehmer einer Gesprächsgruppe, „fürchtet sich zu Tode“.

– Is There an App for That?

In Londonderry, Nordirland, hat sich eine Grundschule der Sprech- und Sprachtherapie zugewandt, um zu versuchen, Kindern, die drei oder vier Jahre alt und von Tablets und Smartphones abhängig geworden sind, zu „rehabilitieren“. „Wir sehen, dass sie weniger kommunikativ sind. Sie bevorzugen allein zu sein,“ berichtete ein Lehrer. „Wenn wir ihnen Blöcke zum spielen geben, siehst du sie dabei, wie sie so tun, als ob diese Ipads oder Iphones wären.“ Die Therapeutin selbst bezeichnete es als „einen generellen Trend in allen Schulen, die ich besuche. […] Aufmerksamkeit, Zuhören und das wechselseitige Unterhalten sind notwendige Fertigkeiten und sie haben diese einfach nicht.“ Inzwischen berichtet ein erheblicher Teil jener, die die Pubertät oder das Jugendalter erreicht haben selber, dass sie so gut wie immer durch das eine oder andere Gerät (oder sogar mit mehreren gleichzeitig) online sind. Jedoch berichten einige auch von ihrer Verdrossenheit gegenüber diesem „neuen Normal“. Goleman zitiert einen Schüler der „die Einsamkeit und die Isolation beobachtet, die damit einhergeht, in einer virtuellen Welt zu leben, bestehend aus Tweets, Statusupdates und Fotos von meinem Essen. Er bemerkt, dass die Klassenkameraden die Fähigkeit zu kommunizieren verlieren, ganz zu schweigen von tiefgehenden Diskussionen, die die Collegezeit bereichern können. Und er sagt „kein Geburtstag, Konzert, Chill-Session oder Party kann genossen werden, ohne sich die Zeit zu nehmen sich von dem, was man gerade tut, zu distanzieren“, um sicher zu stellen, dass jene in deiner digitalen Welt unmittelbar wissen, wie viel Spaß du hast.“ Viele, die mit jenen zu tun haben, die in der digitalen Ära groß geworden sind, beschreiben die vernichtenden Auswirkungen, die sie auf Abenteuerbereitschaft und Vorstellungskraft hat; wie viele der heutigen Jugendlichen haben sich nie verloren (wörtlich wie metaphorisch), noch sehen sie irgendeinen Sinn in ziellosen Spaziergängen oder anderen Arten Belastbarkeit und Unabhängigkeit aufzubauen. Durch das Abkürzen der erforschenden und spielerischen Art Wissen aufzubauen, verringern eine Palette von Apps und Suchalgorithmen das Auseinandersetzen mit der Welt und führen zu standardisierten Möglichkeiten.[3]

Die Folgen dieser digitalen Aktivitäten gehen über die offensichtlichen Defizite in der Interaktion von Angesicht zu Angesicht hinaus, welche die Generation App unfähig werden lässt, die Nuancen der nonverbalen Kommunikation mitzubekommen. Kehren wir für einen Moment zurück in den fernen Osten, wo in machen Länder bis zu 90% der Kindern als kurzsichtig gelten, eine extreme Steigerung angesichts der Tatsache, dass es vor ein paar Dekaden lediglich 20% waren – eine signifikante Zunahme der Zeit, die drinnen (und mit hoher Wahrscheinlichkeit vor irgendeinem Gerät) verbracht wird, wird als Ursache vermutet. Im Westen ist heute eine von drei Personen kurzsichtig. Eine neue Studie an Kindern im Vereinigten Königreich fand heraus, dass an einem Durchschnittstag ein fünftel der Kinder überhaupt nicht draußen spielen, während eines von neun Kindern innerhalb eines Jahres niemals in Umgebungen wie Parks, Wäldern oder an Stränden war.

Nebenbei wurde angemerkt, basierend auf der selben Studie, dass dreiviertel aller Kinder in England jeden Tag weniger Zeit draußen verbringen, als die Richtlinie von einer Stunde, welche die Vereinten Nationen für Gefangene anraten (auch wenn gesagt werden muss, dass dies in der Realität den Insassen regelmäßig verweigert wird). Es ist für uns wahrscheinlich nicht notwendig den Platz hier zu nutzen, um detailliert all die tiefgreifenden spirituellen und psycho-sozialen Teile des Verstandes zu beschreiben, die – neben den beschränkteren, aber allgemein anerkannten „Gesundheits-“ Themen – unentwickelt bleiben, oder mit denen sich letzten Endes nicht auseinandergesetzt wird.

Wir könnten lange damit weitermachen, über die Ergebnisse der zunehmenden Bewegungsfaulheit zu reden; sei es Diabetes, das sich von einer seltenen Krankheit in eine Pandemie in der industrialisierten Welt verwandelt, die Verbindungen zwischen der allgegenwärtigen WiFi-Strahlung und Krebs, verringerter Fruchtbarkeit, verringerter Konzentrationsfähigkeit und gestörtem Schlaf[4], oder die schädlichen Effekten der vor dem Computer verbrachten Zeit im allgemeinen[5] , aber dies ist nicht Sinn dieses Essays und deswegen werden wir uns jetzt einer moderne Krankheit anderer Art zuwenden.

Informationsverschmutzung

Die Geschwindigkeit des Lebens fühlt sich für mich moralisch gefährlich an,“ schrieb der Novelist Richard Ford vor sechs Jahren. Es ist nur schlimmer geworden seit damals, beschwert sich David M. Levy, ein Opfer von Informationsüberladung und Computerwissenschaftler an der University of Washington Information School. Levy sagt, er ist so gut wie hilflos, wenn er eine neue Mail bekommt. Er fühlt sich verpflichtet sie zu öffnen. Auch was die Nachrichten, Bilder und all den Nosense, der vom Internet ausgespuckt wird, anbelangt, ist er ähnlich in der Falle. Er ist auch ein Empfänger sowie manchmal Überträger der “surfer’s voice”, dem sinnlosen Drauflosplappern von jemandem, der telefoniert, während er im Internet herum surft. „Unsere Leben bestehen aus Web-Fragmenten,“ sagt er. „Wir erinnern uns nicht daran, dass es zu unserem Geburtsrecht als Menschen gehört, dass wir Raum und Stille haben für unsere Gedanken.“ Und das betrifft nicht nur mich, sondern den größten Teil der entwickelten Welt.“

– Information Sickness

Es war 1981, lange vor dem Internet und dem Aufstieg der virtuellen, niemals abgeschalteten, immer verbundenen Welt, als der Literat Ted Mooney den Ausdruck „Informationskrankheit“ prägte, und heute sind viele von uns nicht nur Empfänger, sondern oft zu einem gewissen Grad auch Übermittler dieses weißen Rauschens der Datenüberflutung. Tatsächlich ist es fast schon eine soziale Erwartung, in dieser sich schnell bewegenden Stufe der Moderne, dass wir in einer Medienumwelt präsent sind, die mehr und mehr zu der Umwelt wird, und dass wir an den inhaltsleeren, niemals endenden Konversationen teilhaben und antworten. Das Gewicht der Informationsblöcke, die auf uns zufliegen, wie im Tetris-Spiel, lassen uns zu wenig Zeit, um zu reflektieren, was diese wirklich bedeuten, während die Beständigkeit mit der diese Unterbrechungen uns heute erreichen (da sie direkt in den Hosentaschen der meisten westlichen Konsumentinnen ankommen) unsere Gedanken versprengen, unsere Erinnerung schwächen und uns angespannt und ängstlich machen.

Um zurückzukommen auf die Frage der Nachricht und ihres Mediums; Jerry Mander bezog sich in den vergangen Jahrzehnten auf seine frühe Positionierung gegen das Fernsehen und versuchte weiterhin zu verstehen, „was mit der Weise, wie wir denken und wie wir Informationen verstehen, im Fernsehzeitalter passierte; unser Ver stand wurde kanalisiert und vereinfacht, damit er zu der kanalisierten und vereinfachten physischen Umwelt passt – Vororte, Shoppingzentren, Autobahnen, Hochhäusern –, die ebenso aus dieser Periode stammen und diese charakterisierten (und dies heute weiterhin tun). Das würde genauso passieren, so argumentierte ich, auch wenn die Gewalt- und Sexsendungen und die oberflächlichen Komödien und die Spieleshows alle aus dem Medium entfernt werden würden, weil der Prozess an sich, bearbeitete bewegende Bilder schnell durch das menschliche Gehirn laufen zu lassen, so unterschiedlich war, vom aktiven Informationen gewinnen, sei dies aus Büchern, Zeitungen oder Spaziergängen in der Natur. Als Resultat wurden die Leute passiver, sie sind weniger in der Lage mit Nuancen und Komplexität umzugehen und weniger in der Lage zu lesen oder zu erschaffen. Die Leute wurden „dümmer“ und haben ein geringeres Verständnis dafür, was auf der Welt geschieht und all das innerhalb einer Umgebung explosionsartig anwachsender Informationen. […]

In unserer Gesellschaft wird die Geschwindigkeit zelebriert, als wäre sie in sich selbst eine Tugend. Und dennoch, was die meisten menschlichen Wesen anbelangt, hat die Beschleunigung des Informationskreislaufes uns lediglich mit einer noch nie dagewesenen Menge an Daten überflutet, von denen die meisten im praktischen Sinne nutzlos sind. Das wahre Resultat ist die Zunahme menschlicher Beklemmung, während wir versuchen mit dem immer wachsenden Informationsfluss mitzuhalten. Unser Nervensystem erfährt die Beschleunigung viel mehr als es unser Verstand tut. […] Wenn Informationen durch verschiedene Kanäle übermittelt werden, verändert sich ihr Charakter und ihr Inhalt; genauso verändern sich politische Beziehungen, Konzepte und Stile. Wegen der Art und Weise, wie Fernsehsignale im menschlichen Gehirn verarbeitet werden, ändert sich die Struktur des Denkens allgemein und eine neue Beziehung gegenüber der Information entsteht: verkopft, kontextlos, passiv.“

Unser Erinnerungsfähigkeit selbst verschiebt sich erheblich, um sich dem Onlinemedium anzupassen. David Brooks kommentiert dies so: „Ich hatte gedacht, dass die Magie des Informationszeitalters darin bestehen würde, dass sie uns erlauben würde, mehr zu wissen, dann jedoch realisierte ich, dass die Magie des Informationszeitalters darin besteht, weniger zu wissen. Es versorgt uns mit externen kognitiven Dienern – Erinnerungssystemen aus Silikon, hilfreichen Onlinefiltern, Algorithmen, die die Vorlieben ihrer Nutzer kennen und Wissen, das aus verschiedenen Netzwerken gewonnen wurde. Wir können unsere lästigen Tätigkeiten diesen Dienern aufbürden und uns selbst befreien.“ Was er hier als eine Befreiung feiert, verstehen wir viel eher als einen Flucht, eine Aushöhlung unserer Vorstellungsfähigkeiten und eine zunehmende Abhängigkeit von depersonalisierten Maschinen. „Wir werden eins mit unseren Computerwerkzeugen, bilden eine Symbiose,“ schlussfolgerte eine Forschungsgruppe in Harvard

wir verwandeln uns in miteinander verbundene Systeme, die sich weniger dadurch an etwas erinnern, dass sie es wissen, sondern dadurch, dass sie wissen, wo diese Information gefunden werden kann.“ Manche, so wie Paul Suderman, beschreiben, wie das Netz „uns beibringt, zu denken, wie es selbst denkt“ weiter argumentiert er, dass „es nicht länger das effizienteste ist unsere Gehirne zu nutzen, um Informationen zu lagern.“ Für jene von uns, die Begegnungen mit dem Unbekannten – und all den Berührungslinien, Begegnungen und Erfahrungen, die daraus folgen – als einen elementaren Teil des Wissensaufbaus betrachten, kann die „Googleisierug“, von immer genaueren Suchergebnissen, nur eine weitere Verengung unserer Möglichkeiten, eine weiteren Verdummung, bedeuten.[6]

Die Verwalter der „menschlichen Ressource“ und die Technokraten sind sich häufig der destabilisierenden Effekte der Informationsüberladung für das flüssige Funktionieren der kapitalistischen Lohnarbeit bewusst; folglich raten Studien für Büroarbeiter dazu, sich abseits vom Computer und dem Versumpfen in den „sozialen Netzwerken“ Zeit zu nehmen, um zwischen Arbeitsaufgaben im Park spazieren zu gehen; oder sogar sich in einen stillen Raum zurückzuziehen und Fotografien von „natürlichen Umgebungen“ zu betrachten, um die erholsamen Kräfte wirken zu lassen, die die Forscher instrumentalisieren wollen, damit die Zeit ihre effizienzsteigerende Magie wirken lassen kann. Es ist jedoch noch lange nicht klar, ob es funktionieren wird die Angestellten davon abzubringen, in der gigantischen Fabrik, die diese Gesellschaft geworden ist, sich immer wieder in dem endlosen hypnotisierenden Summen des Netzes zu verlieren; besonders wenn sie darauf konditioniert sind (wenn es nicht sogar als selbstverständlich erwartet wird) dieser Abhängigkeit auch außerhalb des traditionellen Arbeitsplatzes nachzugehen.

Ein zuvor erwähnter Artikel verwendet Levys Perspektive, um festzustellen, dass „von Informationen überladene Leute sich organisieren und ihren physischen Raum und ihre stille Zeit schützen müssen. Levy ist überzeugt, dass sie das so wie Umweltschützer machen müssen, die sich in den 1960ern organisierten, um Feuchtgebiete und uralte Wälder zu schützen.“ Die Bedeutung dieser Aussage scheint klar; dass die Niederlage der vorherigen Kämpfe nicht nur anerkannt (wogegen, bis jetzt, nichts einzuwenden ist), sondern auch akzeptiert werden muss und dass die Überlebenden sich einen Graben tiefer in den Anthropozentrismus zurückziehen müssen, um etwas

zu verteidigen, das als eine abtrennbare, essentielle menschliche Qualität identifiziert wird. Was ist jedoch, außerhalb dieses reduktionistischen Rahmens, der psychische Raum, der zwischen einer digital vergifteten Menschheit und ihrer Beziehungen entsteht, nicht mit den sonnenbeschienen Bergen oder ihrer Reflexion in den Bächen, sondern mit einer Myriade an Bildschirmen, die sie zwischen sich selbst und der Welt aufgestellt hat?

Techno-industrielles Gehege

„Jetzt und in der Zukunft muss alles seinen Platz haben. Erstaunen würde eine verzweifelt ersehnte Eintönigkeit zerstören, eine traurige Ausrede für das Leben, in dem die tägliche Stumpfsinnigkeit von den unaufhörlichen Melodien der Klingeltöne durchbrochen wird, die überall widerhallen (von wahnsinnigen Konzerten an Nicht-Orten wie der U-Bahn bis zu einsamen Symphonien an den unerwartetsten Orten, wie nachts am Gipfel von Stromboli [ed. – Vulkaninsel in der Nähe von Sizilien]. Das Verlangen danach alles zu wissen – Ort, Zeit, Tätigkeit – um schreien zu können: Ich bin hier, ich bin dort, kein Problem, keine Sorge, nichts Unbekanntes; das vergrabene Verlangen nach Unbekanntem ist ganz und gar tot, ersetzt durch Sicherheit. Nachdem Warten kein Teil mehr von diesem Leben ist, muss das Kapital Raum und Zeit dringend besetzt halten; Verschwendung ist nicht erlaubt, keine Entfaltung der Fantasie wird toleriert, außer jene mehr anzuhäufen; keine Missverständnisse, keine gespannten Erwartungen, die leidenschaftlich gelebt und von dem Verlangen bestimmt werden, in sich selbst Befriedigung zu finden.“

– Mobile Prosthesis

Sicherlich ist eines der verderblichsten Elemente des Angriffs des Informationszeitalters die Beschneidung der Vorstellungskraft in einem Ausmaß, das den bereits vorher begonnenen Prozess – den Verlust unserer Erzählgabe an den Fernseher – in den Schatten stellt.[7] Was die Menschen, wie wir zunehmend annehmen können, immer mehr beschäftigen wird, wurde uns von Bellamy Fitzpatrick in „The Brilliant podcast“ nachhaltig vermittelt. „[Die Forscher] hatten den Eindruck, dass die heutige Jugend, im Fall der Studie speziell Teenager, extrem daran gewöhnt sind, permanent stimuliert zu werden, permanent in Verbindung zu sein und nicht daran, mit ihren eigenen Gedanken alleine zu sein (auch wenn das verrückt klingen mag) – und ich würde definitiv sagen, dass das auch auf viele Menschen zutrifft, die älter sind – und sie haben sich gefragt, ob „die Kinder von Heute, wie man so schön sagt, in der Lage sind, sich selbst mit ihrer eigenen Fantasie zu unterhalten. Das fand ich interessant, weil sie gerade dieses spezielle Wort benutzten. Es gab also eine Studie mit 68 Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren, die freiwillig acht Stunden ohne jegliche Telekommunikationsmittel verbrachten (also kein Internet, kein Telefon, kein Computer, kein Fernsehen, kein Radio), was ihnen während dieser Zeit stattdessen erlaubt war, waren andere Aktivitäten wie Schreiben, Lesen, Musik machen, Malen, Nähen, Singen, Spazierengehen und so weiter. Von 68 waren nur drei in der Lage die ganzen acht Stunden durchzuhalten. […] Drei der Teilnehmer beschrieben suizidale Gedanken. Fünf hatten Panikattacken. 27 erlitten Symptome wie Übelkeit, Schwitzen, Schwindel, Hitzewallungen und Bauchschmerzen und alle beschrieben Gefühle wie Angst und Beklemmung. Zwar haben sie in dem Artikel, den ich gelesen habe, diesen Schritt nicht gemacht, aber meiner Meinung nach ist es ziemlich offensichtlich, dass die beschriebenen Symptome jene eines physischen Entzugs sind, die wir normalerweise im Kontext von Substanzen wie Kokain oder Heroin zu hören gewohnt sind…“

In der Tat scheint eine steigende Zahl an Jugendlichen offenbar Symptome so genannter Aufmerksamkeitsdefizitsyndrome zu simulieren, um Aufmerksamkeits-steigernde Medikamente verschrieben zu bekommen, die die schusseligen Charakteristiken ihrer Generation ausgleichen sollen, während ihre Eltern diese Medikamente, ebenso wie Schlaftabletten, als gewohnheitsmäßige Leistungssteigerer betrachten, damit sie ihre Arbeit durchstehen können.

Wie wir bereits erwähnt haben, sind die Ingenieure des Systems sich dieser Probleme bewusst und zögern nicht, ihre „Ressourcen zu ermutigen, sich selbst den gelegentlichen digitalen Detox zuzugestehen: „Überall entstehen Initiativen, die die Menschen dazu auffordern, sich ab und an abzustöpseln (einen Tag die Woche, ein Wochenende, einen Monat), um sich ihrer Abhängigkeit von technologischen Objekten bewusst zu werden und einen ‚authentischen‘ Kontakt mit der Realität neu zu erfahren. Der Versuch erweist sich natürlich als vergeblich. Das angenehme Wochenende an der Küste mit der eigenen Familie ohne das Smartphone wird in erster Linie als eine Erfahrung von Isolation erlebt; in ständiger Erwartung des Moments der Wiederverbindung, der natürlich im Internet geteilt wird“ (- Google Dégage). Um das lukrativ auszuschlachten, werden Benutzer von Computertechnologie eingeladen, sich in dafür vorgesehene ‚Camps‘ zurückzuziehen, in denen, wie den Ankömmlingen eines solchen Ortes in Kalifornien versichert wurde, „der wichtigste Status den wir updaten werden, unsere Zufriedenheit sein wird“. Viel mehr als zu einem versuchten Bruch mit den sozialen Paradigmen, die diese Technologien als notwendig voraussetzen, dienen diese Anstrengungen dazu, ihren Gebrauch aufrechtzuerhalten, indem sie ihn ‚nachhaltiger‘ machen. Die Zeit des ‚Detox‘ ist der Ausnahmezustand und nicht die schwerwiegenden Auswirkungen intensiver digitaler Interaktion und letztendlich sieht der Rückzugsort keine Notwendigkeit darin sich vom unablässigen Netzjargon zu befreien, wie beispielsweise die ‚menschenbetriebene Suchmaschine‘ des Schwarzen Bretts, oder der ominöse Campslogan: „Disconnect to Reconnect“. Mach mal eine Pause, dann zurück an die Arbeit.[8]

Die meisten werden ein derartiges Abstöpseln niemals auch nur in Erwägung gezog en haben, zumindest demnach geurteilt, wie beunruhigend für viele Menschen der post-industriellen Hochburgen allein schon der vorgeschlagene Kurztrip ohne ‚smart device‘ im Schlepptau ist. Diese Veränderung hat sich im lebendigen Bewusstsein unserer Generation erstmals mit dem Aufkommen der modernen Leine, des Mobiltelefons, bemerkbar gemacht. Zu dieser Zeit analysierten die Autoren von ‚Mobile Prothesis‘: „diese Erfindung ist nicht notwendig, um einen Teil des Körpers, sondern, wenn überhaupt, einen Teil des Geistes zu unterstützen. Das Mobiltelefon, dieses unverzichtbare Werkzeug, das auf so eine offensichtlich ungesunde Art mit Individuen verbunden ist, ist weder nur elektromagnetisches Gift, noch einfach eine Revolution zwischenmenschlicher Beziehungen oder lediglich ein stupides Spielzeug, das das gewöhnliche Taschenbuch ablöst.

Vor allem ist es der Ersatz für das wenige Unbekannte, das die Welt noch für uns bereithält, die ganz kleinen Wunder einer Suche nach Abgeschiedenheit, einer Reise mit sich selbst, einer Zeit jenseits von bekannten und unbekannten Mitmenschen. Das entsetzliche Unbekannte – undenkbar und unvorstellbar für die, die vor ihrem eigenen Leben Angst haben, für die, die sich nicht einmal für einen Moment lösen wollen von dem Kabel, das sie mit den anderen Marionetten dieses kleinen Scheintheaters verbindet, für die, die sich anderen mitteilen wollen, oder besser gesagt, sie über ihre eigene physische Anwesenheit und die anderer informieren wollen.“ Nicht viele Jahre später haben die Kinder von heute in vielen Fällen eine Beschleunigung dieses Verlaufs durchgemacht (siehe die zuletzt erwähnte Studie) und der soziale Trend zeigt keine Zeichen einer Abnahme.[9]

Zweifellos ist einer der erschwerenden Faktoren die Bedeutung, die die soziale Vernetzung über Onlineplattformen sogar für die vermeintlichen Außenseiter der techno-industriellen Gesellschaft angenommen hat. Von 2005 bis 2008 ist die Zahl der Facebooknutzer von 5,5 Millionen auf 100 Millionen gestiegen. Ende 2015 gab Kevin Tucker an, dass „23% der gesamten Erdbevölkerung Facebook monatlich benutzt, zum Ende des ersten Quartals 2015 waren es noch 20,5%. Ohne übertreiben zu wollen ist das der größte und schnellste soziale Wandel in der Menschheitsgeschichte. Das ist wahnsinnig.“ Und das ist kein ‚Erste-Welt-Problem‘: die algerische Stadt Constantine war nur eine Stadt auf der weltweit wachsenden Liste derer, die eine Klinik speziell für die Behandlung von Facebookabhängigkeit eröffneten, in einem Land in dem die Facebook-Nutzer jährlich um 10% steigen. „In der Vergangenheit“ erinnert sich ein Schriftsteller in ‚Points For Further Discussion in the Digital Era‘, „erschien der Gedanke auf Friendster oder ein bestimmtes soziales Netzwerk zu verzichten einleuchtend, das zu tun bedeutete einfach den Computer nicht zu benutzen oder die Computernutzung zu limitieren. Der Gebrauch des Computer fand vorrangig an einem bestimmten Ort statt, etwas das wir im Wesentlichen zu bestimmen in der Lage waren. In vielen Fällen ist das nicht länger möglich. In den letzten paar Jahren hat das Internet im Grunde genommen alles durchdrungen. Während es jenseits der sogenannten „industrialisierten“ Länder und unter jenen, die sich kein Smartphone leisten können, Ausnahmen gibt, ist es für den größten Teil eher eine Frage nach dem wann – nicht ob – die Leute Internetzugang bekommen werden (man beachte den enormen Aufwand der betrieben wird, um die ganze Welt mit Computern zu versorgen und die ganze Welt virtuell zu umschließen).

Das alles hat einen großen Einfluss darauf wie wir miteinander in Beziehung treten. Scheinbar ist alles vermittelt oder unterbrochen von computerisierter Kommunikation. Es sind nur sehr wenige private Momente übriggeblieben, das zeigen die zahlreichen Studien über das Schreiben von Kurznachrichten im Halbschlaf oder die Anzahl derer, die zugeben ihre Telefone sogar während des Sex zu checken [ed. – laut einer Studie 20% der jungen Erwachsenen]. Die Studien im einzelnen sind eigentlich irrelevant, was wichtig ist, ist die Art und Weise auf die diese Aktivitäten mehr oder weniger normalisiert worden sind.“

An unser vorheriges Thema anknüpfend, wäre es ein Fehler diese Plattformen lediglich als eine Erleichterung der Vernetzung zu sehen; stattdessen ist die Beziehung zwischen diesen Plattformen und den sozialen Praktiken grundlegend wechselseitig. Nachdem Nicolas Carr die sozialen Veränderungen durch den Wandel der westlichen Alphabetisierung vom Usus des lauten gemeinsamen Lesens zu der Gewohnheit des leisen Lesens studiert hatte, ging er der Richtung nach, die er bereits in der Online-Kultur gegeben sah. „Jetzt, wo der Kontext des Lesens sich wieder verschiebt, von der privaten Seite zum öffentlichen Bildschirm, werden sich die Autoren ein weiteres Mal anpassen. Sie werden ihre Arbeit zunehmend an ein Milieu anpassen, das der Essayist Caleb Crain als ‚groupiness‘ beschreibt. Die Leute lesen in erster Linie um der Zugehörigkeit willen, nicht für ihre persönliche Erleuchtung oder Unterhaltung. Nachdem soziale Belange über literarische dominieren, scheinen Schriftsteller dazu verdammt Virtuosität und Experiment zu Gunsten eines faden, aber leicht zugänglichen Stils zu meiden. Schreiben wird zum Mittel werden (belangloses) Gequatsche festzuhalten. […] Ein frappierendes Beispiel dieses Prozesses ist bereits in Japan zu sehen. Im Jahr 2001 begannen junge Japanerinnern Geschichten in Form von aneinandergereihten Textnachrichten auf ihren Mobiltelefonen zu schreiben und auf die Website Maho no i-rando hochzuladen, wo sie andere lasen und kommentierten. Die Geschichten weiteten sich zu seriellen Handyromanen aus und ihre Beliebtheit wuchs. Einige der Geschichten hatten Millionen Onlineleser. Verleger wurden darauf aufmerksam und brachten die Geschichten in Form von gedruckten Büchern raus. Zum Ende des Jahrzehnts dominierten die Handygeschichten die Bestsellerlisten des Landes. Die drei Topseller Japans des Jahres 2007 sind ursprünglich alle auf dem Handy verfasst worden.

Die Form einer Geschichte reflektiert ihre Ursprünge. Es sind laut dem Journalisten Norimitsu Onishi „hauptsächlich Liebesgeschichten, geschrieben in den für Textnachrichten charakteristischen kurzen Sätzen, enthalten jedoch nichts von den Plots oder Charakterentwicklungen, die man in traditionellen Romanen findet.“ Eine der bekanntesten Handyromanschreiberinnen, eine 21-Jährige names Rin, erklärte Onishi warum junge Leser traditionelle Romane aufgeben: „Sie lesen keine Werke professioneller Schriftsteller, weil ihre Sätze schwer verständlich und ihre Ausdrücke gewollt ausschweifend sind und ihnen die Geschichten nicht vertraut sind.“ Vermutlich wird sich die Beliebtheit der Handyromane nicht über Japans Grenzen hinweg verbreiten, einem Land, das seltsamen Modeerscheinungen ausgesetzt ist, aber die Romane zeigen nichtsdestotrotz wie Veränderungen im Lesen unausweichlich Veränderungen im Schreiben nach sich ziehen.“

Parallel dazu könnte man von dem sogenannten Sozialverhalten, das in Onlineforen konditioniert und reproduziert wird, behaupten, dass es zumindest teilweise von denselben Mitteln hervorgebracht wird. In dieser ganzen sozialen Internetwelt, in der die Interaktion zwischen Menschen, die in der Vergangenheit existentiell war, auf Schattenexistenzen reduziert wird, die mit einem Wink des Handgelenks und einem Mausklick herbei zitiert oder verbannt werden können, wird das Senden zum Schlüsselpunkt und nicht notwendigerweise die Qualität oder Relevanz des eigentlichen Inhalts. Parallel dazu ist das Bild, das von dem Benutzer eines ‚Socialmediaprofils‘ erschaffen wird, häufig extrem inszeniert. Die Präsentation einer Identität (oder einer Marke, wie wir später sehen werden) ist mindestens genauso wichtig, wie die angeblichen Kommunikationsbedürfnisse. Die Identitätsmodelle entsprechen im Allgemeinen vorgefertigten Rollen, wenn auch aus einem größer werdenden Pool zur Verfügung stehender Uniformen. „Der leistungsorientierte Angestellte löscht die Bilder des letzten Besäufnisses, um einen seriösen Eindruck zu vermitteln, während der Burschenschaftler eifrig die Fotos der Ausschweifungen der vorangegangenen Nacht teilt. Außerdem unterscheidet sich die Art der Präsentation in Abhängigkeit von der jeweiligen sozialen Plattform. Zwar ist Schubladendenken etwas, das in unserer heutigen Zivilisation die Norm darstellt, allerdings unterscheiden sich die Geschwindigkeit und Häufigkeit mit der es passiert erheblich. Die konstante Aufrechterhaltung dessen, wie wir uns selbst präsentieren, resultiert aus dem zwanghaften Bedürfnis alles zu ‚checken‘, jederzeit zu sehen, was in den sozialen Medien ‚abgeht‘. Es geht immer etwas besseres anderswo, egal ob es das coole Event ist von dem wir nichts wussten oder etwas, das lediglich in der digitalen Welt stattfindet. Folglich ist das ‚richtige‘ Event vielleicht gar nicht das, an dem wir physisch teilnehmen, sondern die ‚Konversation‘, die online stattfindet. ‚Realität‘ wird zunehmend umbenannt in das, was online dokumentierbar ist und ‚Konversation‘ ist die ‚Diskussion‘, die über soziale Medien stattfindet. Irgendetwas findet immer wo anders statt und wir sind nie wirklich irgendwo präsent (während wir gleichzeitig in eineranscheinend geschichtsloser, immer währender Gegenwart feststecken)“ (- Points for Further…).

Dokumentation ersetzt Erfahrung. Das Selbst wird zum Selfie.[10] Darüber hinaus scheint uns das gefeierte ‚Vernetztsein‘ des Informationszeitalters genauso oft voneinander zu distanzieren. Wenn Bekanntschaften sich in der virtuellen Welt ‚kennenlernen‘, fühlen sich getippte Austausche schon längst intimer an, als Unterhaltungen von Angesicht zu Angesicht, was dazu führt, dass Dinge preisgegeben werden, die man in der tatsächlichen Gegenwart einer anderen Person nicht offenbaren würde. Aber der Gehalt kann nie derselbe sein, losgelöst von der physischen Sphäre. Das Geben und Nehmen, die Vielfalt und Tiefe realer Kommunikation gehen verloren. Jason Rodgers bemerkte das beim Aufkommen der Textnachrichten. „Durch den Zusatz von Textnachrichten ist die Handykommunikation gefangen zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation. Sie hat weder die Improvisation und die Eigenheit des offenen Endes von gesprochener Sprache, noch die Komplexität und Tiefe geschriebener Sprache. Das trägt zu einer Verarmung der Sprache bei. Der Austausch ist konstant, jedoch nahezu bedeutungslos. Die Verarmung der Sprache bewirkt eine Verarmung der Gedanken.“[11] Das Aufkommen von Twitter und Co hat das noch verschlimmert. Die sich ausbreitenden Kamerahandys geben dem Ganzen zusätzlich eine visuelle Dimension und die Vorherrschaft der banalsten Bilder, die auf Instagram etc. Traffic generieren, verschleiert lediglich die Tatsache, dass jede Auswahl und Repräsentation eigentlich eine Amputation ist, des Kontextes und der Spezifizität beraubt. Ein Bild kann tausend Lügen erzählen, die größte davon wäre die eigene Objektivität, es ist immer ein Blickwinkel aus einer bestimmten Perspektive. Das dem Auge gebotene Fest erzählt von einer Abspaltung der dargestellten Tiefe und dem gegenwärtigen Moment, der in Sekundenschnelle entgleitet; einer Abgrenzung, die uns auf unzähligen, vorhersagbaren, roboterhaften Wegen an unsere Substanz geht.

Das Zeitalter der Medien ist auch das Zeitalter der Einsamkeit“, erkannte Jacques Ellul sogar Jahrzehnte bevor sich das allgegenwärtige Netz mit unseren intimsten ‚privaten‘ Räumen und Momenten verwoben hat. Mehr als ein halbes Jahrhundert nachdem er über den entfremdenden Charakter der Gesellschaft geschrieben hat, die diese technologische Entwicklung durchläuft, ist die soziale Zersplitterung und ein damit einhergehender Anstieg der Isolationserfahrung Hand in Hand gegangen mit dem Aufkommen von Fernsehen, Mobiltelefonen und Internet. Im Jahr 2014 beschrieb Natalie Gil Einsamkeit in Großbritannien als „eine stille Plage, die junge Menschen am meisten verletzt“, als Reaktion auf Studien, die darauf hindeuteten, dass 18- bis 34-Jährige sich häufiger einsam fühlten, Angst davor hatten alleine zu sein oder sich deprimiert zeigten aufgrund von Einsamkeit im Gegensatz zu über 55-jährigen (die zumindest Grund zu der Annahme haben in der modernen westlichen Gesellschaft einsam zu sein).

Auf der anderen Seite dieser ‚Groupiness‘-Euphorie, steht ohne die tiefere emotionale Investition und Verletzlichkeit von komplizierteren, persönlichen Beziehungen die wachsende Distanz und verringerte Tiefe, die Mittelmäßigkeit und der Narzissmus.[12] Das erleichtert auch rassistische, (hetero-)sexistische und diskriminierende Angriffe, die in bestimmten Gesellschaften wahrscheinlich nicht mehr so oft persönlich ausgesprochen werden würden. (Vielleicht ist dies insofern von Bedeutung, als es eine Art Ventil darstellt, innerhalb eines demokratischen Pluralismus, der solche Äußerungen in Gesellschaft von Anderen missbilligt, aber auf eben diesen Grundlagen von Rassenideologien, Geschlechterhierarchien und sozialer Abstufung aufgebaut ist und sie ausüben und reproduzieren muss.) Die selbstherrliche Grausamkeit dieser online Kommentierung ist wesentlich für sich verlagernde und oft anonyme Herrschaftsverhältnisse, parallel zu dem, was in einem Essay von Alex Gorrion hervorgehoben wurde. „Die neuen Apparate der sozialen Vernetzung beginnen auch die informelle Macht (eben jene informelle Macht, die immer eine primäre Bedeutung hatte, sogar und besonders in den Institutionen der formalen Macht, welche ohne sie nicht funktionieren könnten) in ‚Likes‘ ,Freunden‘ und ‚Anhänger‘ zu quantifizieren. Aber diese Art der informellen Macht ist nicht jene, die von den Protagonisten selbst geschaffen wird, es ist eine, die von Mühlrädern produziert wird, die von hunderten aneinander geketteten Körpern angetrieben werden, die alle ihrer eigenen Einsamkeit nachjagen […]

Das sind die verlorenen Kreaturen, die auf ihren Geräten herumwischen und nach Liebe oder Ablenkung suchen. Sie sind Kinder, die nie gelernt haben, Karten zu lesen oder nach dem Weg zu fragen, Kinder, deren innersten Ängste, die sie nie zu Papier bringen mussten, nun gründlich durch die Geräte kartiert werden, die sie mit sich führen.

Die verarmte gesprochene Kultur, die übrig bleibt, ist von diesem neuen Apparat durchsetzt.“

(Wir könnten anmerken, dass diese Kinder durch das konditioniert wurden, was die gemeinnützige Organisation YoungMinds im Vereinigten Königreich als „beispiellos giftiges Klima für Kinder und Jugendliche in einer 24/7 Online-Kultur, in der sie niemals abschalten können“ beschreibt, zitiert werden Fälle, wie der Selbstmord des 15-jährigen Tallulah Wilson im Jahr 2012 [hrsg. – brachte sich laut Mutter um, weil sie in die „Klauen einer giftigen, digitalen Welt gefallen war“][13])

Gezwungen zu Kommunizieren

Das Abflachen des Gehirns auf vorherbestimmte Schemen von intelligenten Maschinen, die Homogenisierung der Kulturen der Menschen auf die neuen Sprachen der Kommunikation und Produktion sind das Ziel des neuen imperialistischen Kolonialismus. Kybernetischer Universalismus, oder Multimedia-Kommunikation, ist in den Bereichen des Markts, des Kapitals, der institutionellen Ordnung und der territorialen Infrastruktur, ein Mittel der systematischen und quantitativen Reorganisation der neuen Weltordnung…“

– Pippo Stasi & Karechin Cricorian

Während solche Systeme der Machtdynamik, wie im vorherigen Abschnitt beschrieben, heutzutage bis zu einem gewissen Maße als selbstregulierend und selbsterhaltend beschrieben werden könnten, gibt es auf jeden Fall einige besondere Institutionen der kapitalistischen Ordnung sowie die Nationalstaaten, die speziell an der neuen technologischen Phase in welche die industrielle Gesellschaft eingetreten ist, beteiligt sind. Wir werden in Kürze auf diese Giganten der Tech-Industrie zu sprechen kommen; aber von was wir hier reden geht tiefer, eine Beteiligung solcher multinationaler Unternehmen an den stattfindenden Veränderungen und den weitreichenden Implikationen für die Zukunft kann man als selbstverständlich betrachten, nicht jedoch ein Mitmischen in dem verworrenem Komplex von Staatskunst, wissenschaftlicher Forschung und Ideologie und vielleicht sogar technologischem Determinismus selbst.

Auch wenn es an dieser Stelle kaum zufriedenstellend erledigt werden kann, muss kurz, um den nachfolgenden Themen einen Rahmen zu geben, auf den Begriff der ‚Kybernetik‘ eingegangen werden. „Kybernetik“ so Lutz Dammbeck zufolge „beschäftigt sich damit, wie die Übermittlung von Informationen in Maschinen sowie in Lebewesen funktioniert. Die Grundvoraussetzung der Kybernetik ist die Annahme, dass das menschliche Nervensystem die Realität nicht reproduziert, sondern sie berechnet. Menschen scheinen somit nicht weiter zu sein als Informationsverarbeitungssysteme… Denken ist Datenverarbei- tung und das Gehirn ist ein Maschine aus Fleisch und Blut. Das Gehirn ist nicht mehr länger der Ort wo das „Ich“ und die „Identität“ auf mysteriöse Weise durch Erinnerung und Bewusstsein kreiert werden. Es ist eine Maschine, die aus Schaltern, Kontrollkreisen, Rückkopplungsschleifen und Kommunikationsknoten besteht.“ Um zu verstehen wie sich das tendenziell heute äußert (und um den Hintergrund dessen zu skizzieren), geduldet euch mit uns durch ein längeres Zitat, in welchem die Autoren von ‚Google Dégage‘ spekulieren, dass „zur selben Zeit in der die neuen Kommunikationstechnologien eingeführt wurden – welche nicht nur die ganze Erde umspannen, sondern auch genau die Struktur der Welt, in der wir leben, bilden sollten – eine bestimmte Art des Denkens und des Regierens dabei war zu gewinnen. Die Grundprinzipien dieser neuen Wissenschaft des Regierens wurden von den gleichen Leuten – Ingenieure und Wissenschaftler – umrissen, die die technischen Mittel ihrer Anwendung entwickelten [und] den Grund geebnet haben für die „Wissenschaft“, die [der Mathematiker Norbert Wiener] „Kybernetik“ genannt hat. Ein Begriff für welchen ein Jahrhun- dert früher Ampère [ed. – einer der Begründer der Wissenschaft des klassischen Elektromagentismus] die gute Idee hatte, ihn als „Wissenschaft des Regierens“ zu definieren. Wir sprechen somit über eine Kunst des Regierens, deren prägende Bedeutung fast vergessen ist, aber deren Konzepte sich ihren Weg in den Untergrund geschlagen und zu den Informations-Technologien genau soviel beigetragen haben wie Biologie, künstliche Intelligenz, Management oder die kognitiven Wissenschaften, während zur selben Zeit all die Kabel, eins nach dem anderen, um den ganzen Globus geschlungen wurden.

Seit 2008 durchleben wir nicht etwa eine abrupte und unerwartete „Wirtschaftskrise“, sondern werden Zeugen des langsamen Kollaps der politischen Ökonomie als Regierungsform. Die Wirtschaft war niemals eine Realität oder eine Wissenschaft; seit ihren Anfängen im 17. Jahrhundert war sie nie etwas anderes als eine Kunst Bevölkerungen zu regieren. Um Unruhen zu vermeiden, musste Knappheit vermieden werden – daher die Wichtigkeit von Getreide – und Vermögen wurde produziert um die Macht der Herrscher zu erhöhen. „Der sicherste Weg für alle Regierungen ist, sich auf die Interessen der Menschen zu verlassen“, sagte Hamilton [ed. – einer der ‚Gründerväter‘ der U.S.A., er schuf das Finanzsystem der U.S.A. und ebenso die Zeitung ‚The New York Post‘]. Waren die „natürlichen“ Gesetze der Wirtschaft einmal erklärt, bedeutete Regieren ihre harmonischen Mechanismen frei walten zu lassen und die Interessen der Menschen so zu manipulieren, dass sie weiter funktionierten. Harmonie, die Vorhersagbarkeit von Verhalten, eine strahlende Zukunft, eine angenommene Rationalität der Akteure: all dies implizierte ein bestimmtes Vertrauen, die Fähigkeit „Kredite zu geben“ [hrsg. – das englische „to give credit“ kann im Deutschen ebenso heißen jemandem zu vertrauen bzw. Glauben zu schenken]. Jetzt sind es genau diese Lehren der alten Regierungspraxis, dessen Management auf Grund der permanenten Krise pulverisiert wird. Wir wohnen nicht der „Krise des Vertrauens“ bei, sondern dem Ende des Vertrauens, welches für dir Herrschaft überflüssig geworden ist. Wo Kontrolle und Transparenz regieren, wo das Verhalten der Subjekte in Echtzeit durch die algorithmische Auswertung von über sie vorhandene Daten vorhergesagt wird, ist es nicht mehr notwendig, ihnen zu vertrauen, noch, dass sie vertrauen. Es reicht aus, dass sie ausreichend überwacht werden. Wie Lenin sagte, „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“

Die Vertrauenskrise des Westens in sich selbst, in sein Wissen, in seine Sprache, in seinen Verstand, in seinen Liberalismus, in seine Subjekte und die Welt geht tatsächlich zurück bis zum Ende des 19. Jahrhunderts; sie breitet sich auf jeder Ebene mit und um den ersten Weltkrieg aus. Die Kybernetik entwickelte sich aus dieser offenen Wunde der Moderne. Sie setzte sich als Heilmittel für die existenzielle Krise – und somit Regierungskrise – des Westen durch. So wie Norbert Wiener es sah: „Wir sind schiffbrüchige Passagiere auf einem dem Untergang geweihtem Planeten. Aber auch wenn wir auf einem Schiffswrack sind, müssen menschlicher Anstand und menschliche Werte nicht notwendigerweise verschwinden und wir müssen das Beste aus ihnen machen. Wir werden untergehen, aber lasst es uns auf eine Art tun, welche wir unserer Würde angemessen finden.“ Kybernetische Herrschaft ist von Natur aus apokalyptisch. Ihr Zweck ist lokal die spontane entropische und chaotische Bewegung der Welt zu behindern und „Enklaven der Ordnung“, der Stabilität, zu schaffen und – wer weiß? – die ständige Selbstregulierung der Systeme, durch die unbehinderte, transparente und kontrollierbare Zirkulation von Informationen zu garantieren. „Kommunikation istder Zement unserer Gesellschaft und diejenigen, deren Arbeit daraus besteht, diese Kommunikationskanäle offen zu halten, sind die von denen das Fortbestehen oder der Untergang unsere Zivilisation größtenteils abhängt“, erklärte Wiener in dem Glauben es zu wissen. […]

Offiziell werden wir weiterhin von dem altem dualistischem Paradigma des Westens regiert in welchem es das Subjekt und die Welt, das Individuum und die Gesellschaft, Menschen und Maschinen, Geist und Körper, das Lebendige und Nicht-lebendige gibt. Das sind Unterscheidungen, die immer noch als allgemein gültig angesehen werden. In Wirklichkeit praktiziert der kybernetisierte Kapitalismus eine Ontologie, und somit eine Anthropologie, deren Schlüsselelemente den Eingeweihten vorenthalten sind. Das rationale westliche Subjekt ebnet dadurch, dass es anstrebt die Welt zu beherrschen und somit regierbar ist, den Weg zu einer kybernetischen Auffassung eines Wesens ohne Innerlichkeit, eines selbstlosen Selbst, eines aufstrebenden Wesens, das über seine Äußerlichkeit, seine Beziehungen definiert wird. Ein Wesen, das bewaffnet mit einer Apple Uhr, zu dem Punkt gelangt, dass es sich nur noch wirklich selbst versteht, anhand der externen Daten, anhand der Statistiken, die jede seiner Verhaltensweisen generiert. Ein Quantifiziertes Selbst, das willens ist jede einzelne Geste und die darauf folgenden Auswirkungen zu überwachen, zu messen und unbedingt zu optimieren. Für die am weitesten fortgeschrittene Kybernetik gibt es nicht mehr länger den Menschen und seine Umwelt, sondern ein System-Wesen, welches seinerseits Teil eines Ensembles komplexer Informationssysteme, Knotenpunkt autonomer Prozesse, ist – ein Wesen, das durch den Mittelweg des Indischen Buddhismus besser erklärt werden kann als durch Descartes [hrsgb. – franz. Philosoph und Mathematiker; lebte im 16. Jh. und gilt als Begründer des Dualismus Geist-Materie; außerdem wird ihm der Ausspruch „Ich denke, also bin ich“ zugeordnet]. „Für einen Menschen bedeutet am Leben zu sein das gleiche wie an einem breitem globalem Kommunikationssystem teilzunehmen“, beteuerte Wiener 1948.

Genauso wie die politische Ökonomie einen ‚homo economicus‘ produziert hat, kontrollierbar im Rahmen der industrialisierten Staaten, produziert auch die Kybernetik ihre eigene Menschheit. Eine durchsichtige Menschheit, entleert von den Strömen, die sie einst durchquerten, elektrifiziert von Informationen und verbunden mit der Welt durch eine stetig ansteigende Anzahl von Apparaten. Eine Menschheit, die untrennbar mit ihrer technologischen Umgebung verbunden ist, da sie von ihr definiert und somit angetrieben wird. Derart ist jetzt auch das Objekt der Herrschaft: nicht mehr länger der Mensch oder seine Interessen, sondern seine „soziale Umwelt“. Eine Umwelt, deren Modell die Smart City ist. Smart, da sie durch ihre Sensoren Informationen produziert, deren Auswertung in Echtzeit ein Selbst-Management möglich macht. Und smart, da sie smarte Einwohner produziert und von ihnen produziert wird. Die politische Ökonomie herrschte dadurch über die Menschen, dass sie ihnen die Freiheit ließ, ihre Interessen zu verfolgen; die Kybernetik kontrolliert sie, indem sie ihnen die Freiheit lässt zu kommunizieren.“

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, was würde unsere Verstrickung in den Kreisläufen der Welt des Internets (und nicht nur) uns über unsere Tendenz dazu regierbar zu werden verraten; auch (oder besonders dann) wenn wir den Zugang dazu als Beweis unserer Freiheit, unserer Verbindungen, unserer Ichs betrachten?

Dies sind keine gern gesehenen Fragen in dem heutigen Klima im Westen, sie lassen nur gefährliche Antworten zu. Auch wenn sogar in der Populärkultur einige Bedenken wahrgenommen werden können, so beispielsweise die Gedanken von Romanautor Benjamin Kunkel: „Das Internet, wie uns seine Befürworter richtigerweise erinnern, ergibt sich aus Vielfalt und Annehmlichkeiten; es zwingt dir nichts auf. Die Sache ist bloß, dass es sich so überhaupt nicht anfühlt. Wir haben nicht das Gefühl, als ob wir unsere Online-Praktiken frei gewählt haben. Wir haben eher das Gefühl, dass es Gewohnheiten sind, die wir hilflos übernommen haben oder die der Lauf der Geschichte uns aufgezwungen hat, und dass wir unsere Aufmerksamkeit nicht so einteilen wie wir es beabsichtigen zu tun oder überhaupt wollen.“ Noch dominanter ist jedoch der anhaltende Glaube, dass diese gepriesenen neuen Technologien nicht nur als getrennt von den Institutionen und Ideologien, aus welchen sie hervorgingen, verstanden werden können; sondern dass diese auf irgendeine Art inhärent ‚progressiv‘, gar befreiend, sind. Zwischen diesen Techno-Utopisten (oder zumindest unter jenen, die Technologien als von Natur aus frei von Werten und neutral betrachten) gibt es nicht wenige standhafte Kritiker der kapitalistischen sozialen Beziehungen und vielleicht sogar an der Staatsform an sich. Jetzt scheint die angemessene Zeit, wie immer, zu sein, unsere Waffen gegen diese Argumente zu richten.

Upgedatete Illusionen

Die Wahrheit ist, dass Technologie die Macht im generellen vergrößert, aber die Anpassungsraten sind verschieden. Die Unorganisierten, die Versprengten, die Marginalen, die Dissidenten, die Machtlosen, die Kriminellen: sie können von den neuen Technologien schneller Gebrauch machen. Und als diese Gruppen das Internet entdeckten, hatten sie auf einmal Macht. Aber als die bereits mächtigen Institutionen schlussendlich heraus fanden, wie sie das Internet für ihre Zwecke nutzen können, hatten sie mehr Macht zu vergrößern. Das ist der Unterschied: Die Versprengten waren flinker und waren schneller darin ihre neue Macht zu benutzen, während die Etablierten langsamer waren, sie ihre Macht aber effektiver benutzen konnten. So hat, während die syrischen Dissidenten Facebook benutzten um sich zu organisieren, das syrische Regime Facebook benutzt um die Dissidenten zu identifizieren.“

– Power in the Age of the Feudal Internet

Nie zuvor hat ein solcher Hort an Daten, über die Aspekte der heutigen Welt, welche wir als Horror bezeichnen könnten, auf so weit zugänglichen Plattformen existiert. Vergewaltigungen, vom Klima ausgelöste Überflutungen, Enthauptungen von Geiseln, industrielle ‚Desaster‘ und Polizeigewalt purzeln aus unseren News-Feeds und Video-Tubes und umgehen Zensur und Staatsgrenzen. Und trotzdem wurde, im Vergleich zu der ungeheuren Anzahl an Gefahren, denen wir gegenüberstehen, nie so wenig getan. Auf der einen Seite sehen einige das Potential dieser neuen Sichtbarkeit, Revolten gegen welche aktuelle Gräueltat auch immer auszulösen, Rebellionen, welche es die ganze vor-digitale Geschichte hindurch genauso immer schon gab. Auf der anderen Seite sehen manche die bloße Existenz dieser ‚Demokratisierung der Informationen‘ als Gegengewicht zu den Exzessen unserer Herrscher. Beide scheinen sich auf eine Annahme zu stützen, welche wir für uns nicht wahr finden: Nämlich, dass es eine einfache Kausalbeziehung zwischen Information und Aktion gibt. Ein anderer Blickwinkel, den man einnehmen könnte, wäre jedoch, dass es trotzdem noch Aufstände gibt, trotz der Vorherrschaft der digitalen Medien (deren Nutzung durch die Protagonisten der Aufstände selbst eingeschlossen), nicht wegen ihnen; und dass das Festmahl an Informationen unseren Appetit darauf, diese als Waffe einzusetzen und zu benutzen, sie uns zu eigen machen, verschwinden lässt.

So scheinen beispielsweise die Verhaltensmuster des Online-Medienkonsums reflektiertem Engagement entgegen gerichtet zu sein. Eine Studie von vor ein paar Jahren berichtete, dass die meisten Internetseiten für zehn Sekunden oder weniger betrachtet werden. Weniger als einer von zehn Seitenaufrufen war länger als zwei Minuten und ein erheblicher Anteil dieser schien Browser zu betreffen, die unbeobachtet offen gelassen worden sind. Und, wie schon weiter oben erwähnt, wenn die Schleusentore des Informationsüberflusses komplett geöffnet sind, wenn man keine Zeit hat, oder sich keine Zeit nimmt, um diese Informationen in einen Kontext zu setzen und sie zu reflektieren, können sie einfach einen betäubenden Effekt haben, oder eher dazu tendieren, vorgefertigte Meinungen zu vermitteln, anstatt kritischem Denken. Wie oft stoßen wir online auf scheinbar spannende oder schreckliche Informationen, oder überzeugende oder faszinierende Auseinandersetzungen; nur um diese sofort wieder zu vergessen, bis wir das nächste Mal, wenn wir wieder online sind, an sie erinnert werden? Das ist offensichtlich nicht immer der Fall, aber die Regelmäßigkeit mit der das passiert, sollte uns etwas darüber verraten wie wenige dieser ‚Informationen‘ ihren Weg in unser tägliches Leben finden, wenn es so schwierig ist Raum und Zeit zu finden, um einen Nutzen aus diesen zu ziehen – und besonders einen Nutzen, der mit irgendeiner tiefergehenden Reflexion einhergeht. Kombiniert mit einem ‚sozialem‘ Leben, das zuneh-

men daraus besteht, irgendwelche Banalitäten auszutauschen, sind das Resultat oft Individuen, die alleine herum sitzen und in Bildschirme starren, Themen, die sie in diesem Moment bewegen, oder Veranstaltungen, an welchen sie vielleicht, vielleicht aber auch nicht teilnehmen, ‚liken‘ und dann ins Bett gehen. Sogar wenn wir uns von Angesicht zu Angesicht treffen, fühlt es sich manchmal schwieriger an, unser Zusammensein zu praktizieren und einen greifbaren Sinn des Zusammenzukommen und der Offenheit zu entwickeln, die nicht über die Anforderungen unserer vermittelten Kommunikation (SMS, Tweets, Kommentare, etc.) definiert sind.

Die Resultate sind in vielen der heutigen sogenannten ‚Sozialen Bewegungen‘ sichtbar, die oft technisch ausgefuchste Elemente beinhalten, welche von vielen als wichtige oder sogar Hauptaspekte des Kampfs gesehen werden. Das betrifft viele grundlegenden Aktivitäten, von Bannern und Postern, die eher für die Kamera als für die Kommunikation auf der Straße gemacht werden, über die Reduzierung des Dialogs zwischen Teilnehmern und Zuschauern auf die Verbreitung eines bestimmten Hashtags, bis zur weiteren ‚Verdummung‘ von Ideen um Flugblatttexte leichter lesbar und ‚scannbar‘ bzw. überfliegbar zu machen. Jegliche Kreativität und Spontanität, die in Momenten der Auseinandersetzung übrig bleibt, wird direkt vor Ort durch die Reduktion von jeglicher Intervention auf darstellbare Daten, welche durch die Medien verbreitet werden domestiziert, egal wie selbstverwaltet diese sind. Um es zu wiederholen, die Plattformen selber verändern die Art und Weise wie Kämpfe konzipiert und aufgenommen werden, unabhängig von ihrem Inhalt und umso abhängiger Bewegungen von diesen werden, desto unwahrscheinlicher scheint es zu sein, dass sie diese kritisieren. Kevin Tucker blickte darauf zurück, wie er die Anfänge dieser Veränderung (zumindest in Nordamerika) wahrnahm. „Während der Anti-Globalisierungsbewegung und den Straßenkrawallen, die während den späten 90ern und durch die 2000er hindurch anwuchsen, konnte man beobachten, wie es eine Wandlung gab: von einer Idee der Beteiligung hin zur bloßen Zuschauerrolle. Es fand eine Verschiebung des Fokus vom Teilnehmen am Widerstand hin dazu statt, alles zu dokumentieren. Auf einmal war Indymedia [ed. – unabhängiges Openposting-Portal, ursprünglich gegründet, um Aktionen gegen die Tagung der Welthandelsorganisation in Seattle, U.S.A., 1999, zu erleichtern und zu kommunizieren] der Fokus. Das brachte sicherlich Vorteile mit sich, aber zu der Zeit fühlte es sich so an, als würde es ein bisschen das Rampenlicht klauen. Im Nachhinein war es auf jeden Fall so.

Und auf bestimmte Art und Weise machte es auch Sinn, als die Repression anstieg, war es wichtig, das zu dokumentieren. Aber irgendwie machten wir aus dem Dokumentieren die Story und nicht ein Mittel. Die Verbreitung des Internets war wirklich das letzte Puzzle-Teil, das fehlte, um das passieren zu lassen. Ich bin mir nicht sicher, ob man sagen kann, dass das zufällig war oder nicht, aber es gibt sich gegenseitig widerspiegelnde Veränderungen im Milieu und der Kultur als ganzes, zu einer mehr Internet versierten Herangehensweise an Radikalismus.“

Was für Bewegungen werden durch solch eine Veränderung kreiert? Inwiefern unterscheiden sie sich von dem, was es zuvor gab? Dies waren Fragen, die sich Zeynep Tufekci gestellt hat, sie identifizierte später deren Mangel an anhaltender Aufmerksamkeit und bleibender Stärke. „Der Kreislauf von Auf- und Abschwung, von Bewusstsein erwecken und Resignation, mag nur eine Phase im Leben von vernetzten sozialen Bewegungen sein. Oder, es könnte ihr entscheidendes Merkmal sein. […] Man kann von digitaler Infrastruktur sagen, dass sie einen ähnlichen Entwicklungsverlauf wie andere disruptive Technologien hat. Die ursprünglichen Anfälle von Ignoranz und Fehleinschätzungen wichen bald dem Erlernen der Stärken und Schwächen des Mediums und auch der Entwicklung von neuen Methoden um Dissens entgegenzuwirken. Trotzdem sind die veränderten Möglichkeiten einer Bewegung, die ihre Fähigkeit, Aktionen zu koordinieren oder ihre Anliegen zu publizieren, ausweitet, genau so real. […] Die sozialen Medien haben Protestierende in drei Schlüsselbereichen bestärkt: Der öffentlichen Aufmerksamkeit, dem Umgehen von Zensur und der Koordination bzw. Logistik. Alte Arten der Kontrolle, welche von der Zugangskontrolle zu den wenigen Rundfunkanstalten abhingen, funktionieren weder so effektiv, noch auf die selbe Art und Weise, wie sie es früher taten. Digitale Technologien stellen ein Mittel zur Verfügung, durch welches viele Menschen an Informationen kommen, welche ihnen die Regierungen lieber verweigern würden. Straßenproteste können ohne Vorbereitung koordiniert werden. Das heißt jedoch nicht, dass die sozialen Medien aus schließlich Protestierenden geholfen hat; ebenso haben sie Regierungen und andern Fraktionen der Gesellschaft geholfen indem sie ihnen Mitteln bereitstellen, die sie auch zu ihrem Vorteil nutzen können. […] Dadurch, dass sie es Protestierenden ermöglichen, schnell Viele zu werden, ohne jahrelange Vorbereitung, fungieren digitale Infrastrukturen für Bewegungen als Schafott [hrsg. – Platz für öffentliche Enthauptungen], das andere Schwächen kaschiert, besonders die kollektiven Fähigkeiten sich zu organisieren, Entscheidungen zu treffen und im generellen Arbeitsdynamiken, welche nur durch kontinuierliche Zusammenarbeit entstehen. […]

Digitale Technologien erweitern somit sicherlich in vielen Dimensionen die Fähigkeiten von Protestierenden, aber dies geht einher mit einem unerwartetem Trade-Off: Digitale Infrastrukturen helfen dabei Aufgaben durchzuführen, welche ansonsten ein langes Organisieren benötigt hätten und welche, beinahe wie ein Nebeneffekt, dabei helfen organisatorische Fähigkeiten aufzubauen, die für längerfristige Bewegungen nötig sind. Zusammenzuarbeiten, um sich um die Logistik einer Bewegung zu kümmern, hilft dabei, wie langweilig es auch sein mag, Vertrauen und die Fähigkeit effektiv zusammen zu wirken, aufzubauen. Folglich geraten viele der neueren Bewegungen direkt in die hitzigste Phase, die potentielle Konfrontation mit den Autoritäten, ohne irgendeine vorausgehende Geschichte der Zusammenarbeit oder Bewältigung von grundlegenden Momenten unter Stress.“ Nach der Betrachtung der Aufstände in der Türkei 2013 und im sogenannten Maghreb ab 2011, vergleicht sie diese mit dem Marsch auf Washington 1963, während der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. „Nachdem der Marsch stattgefunden hatte, war es nicht mehr nur ein Marsch von tausenden von Menschen, sondern er signalisierte den Mächtigen, dass eine organisatorische Kraft ihre Interessen bedrohen könnte. […] Im Kontrast dazu stehen die massiven Occupy-Märsche, die am 15. Oktober 2011 in weltweit über 900 Städten stattfanden und welche die meisten historischen Beispiele in Bezug auf ihre Größe als zwergenhaft erscheinen ließen, jedoch innerhalb von circa zwei Wochen organisiert wurden [aber] ohne vergleichbare organisatorische Fähigkeit. Während es für Protestierende wie eine Abkürzung erscheint, erzeugt es auch Schwächen, indem diese Proteste nicht den selben Grad an organisatorischer Fähigkeit signalisieren, wie vorherige Proteste und nicht unbedingt die selbe Bedrohung für Regierungen und Macht darstellen.“

Ferner gilt für die von uns, die weniger daran interessiert sind, sich von irgendwelchen sozialen Bewegungen, in deren Kontext unsere Aktionen dann immer unvermeidlicherweise stehen, einengen und definieren zu lassen, dass es schwieriger ist, eine ebensolche Einengung zu vermeiden. Im Zusammenhang damit meint der Text ‚Fighting in the New Terrain‘, dass „das Internet die Anonymität als Eigenheit der Kriminellen und Anarchisten hin zu einem Bestandteil der alltäglichen Kommunikation transformiert hat. Wenn auch unerwartet, so hat das Internet ebenso politische Identitäten und Positionen nach einer neuen Logik fixiert. Die Landschaft des politischen Diskurses ist im Vorhinein von URLs kartographiert; es ist schwierig einen Mythos von kollektiver Stärke und Veränderung zu erschaffen, wenn jede Aussage schon in einer bekannten Konstellation verortet ist. Ein Plakat an einer Wand könnte von jedem aufgehangen worden sein; es scheint ein generelles Gefühl zu vermitteln, auch wenn es nur die Ideen einer Person verkörpert. Eine Aussage auf einer Internetseite hingegen taucht in einer Welt auf, die dauerhaft in ideologische Ghettos unterteilt ist.“

Einmal mehr wird das auch in dem Text ‚Points for further Discussions…‘ erwähnt: „Der eher lächerliche digitale Utopismus hat sich als falsch erwiesen – wir sind nicht durch gleichen Zugang, in einer gleichen Gesellschaft angekommen. Sogar in dem besten Fall von Open-Source-Software, ist deren Herangehensweise nur ein Tropfen auf den heißen Stein und diese können oft genauso einfach für nicht-befreiende Ziele verwendet werden. Darüber hinaus haben das Internet und die Computertechnologien zu einer Situation von Informationsüberlastung und der Unterteilung in eine scheinbar unbegrenzte Anzahl unterschiedlicher Identitäten beigetragen, wodurch es schwieriger als je zuvor ist, in den digitalen Netzwerken gesehen zu werden, was wohl das ultimative Ziel ist. Hinzu kommt, dass die zunehmende Unterteilung und Personalisierung – ermöglicht durch ausgeklügelte Verhaltens- und Browser-Verfolgung – sicherstellt, dass es kein universell zugängliches Netzwerk gibt zu welchem man einfach Zugang hat, sondern eher eine Reihe von weitgehend geschlossenen und sich überlappenden Netzwerken. Diese Netzwerke erweitern die Logik der Computer auf alle Bereiche: Erfolg ist die dokumentier- und quantifizierbare Anzahl von „Freunden“ oder „Verbindungen“, die wir auf den unterschiedlichen Seiten haben, zukünftige Aktivität, Vorlieben und „Personalisierung“ werden von Algorithmen vorhergesagt, welche mit den gewaltigen Menge an gespeicherten persönlichen Daten gefüttert werden und alles wird eingestuft und bewertet.“

Um diejenigen anzusprechen, die der Meinung sind, dass die bloße Existenz von Informationen im Umlauf eine wirksame Kontrolle der Machthaber darstellt: Informationen haben ohne den Willen und die Fähigkeit, etwas aus diesen zu machen, kein Gewicht, im Gegensatz zu dem Narrativ des Wahrheit-als-Macht, das beispielsweise durch den Wikileaks Fall propagiert wird. Videoaufnahmen von der Polizei, als anderes Beispiel, können den Cops helfen ihr öffentliches Bild zu läutern, indem sie sie davon abhalten Dinge zu tun, die in dem Repräsentationsspiel der liberalen Demokratien schlecht aussehen. Aber das ist etwas anderes, als Menschen tatsächlich dazu zu befähigen etwas zu unternehmen, was den Machtunterschied ändert, und wurde in manchen Fällen benutzt, um ihre Argumentation für die zunehmend eingesetzten Bodycams zu stützen, die zu einer weiteren Verschärfung der Überwachung an Orten potentieller Konfrontation führen. In diesen Tagen werden wir, während wir unsere Feinde konfrontieren, noch zusätzlich durch die Fülle an von der Masse geschwungenen tragbaren Filmapparaten gefährdet, von denen die meisten nicht so zuvorkommend sein werden wie diejenigen, die die Mi‘kmaq Krieger und ihre Verbündete gebeten haben, all diese Geräte auszuschalten bevor sie die Polizeiautos abfackelten, die den weiteren Abbau von Bodenschätzen auf ihrem Territorium erzwingen wollten [ed. – siehe Return Fire Vol. 2, Seite 61].

Ein anderes Argument, das zugunsten der Nutzung von digitalen Plattformen in sozialen Bewegungen verwendet wird, oft zum Nachteil der mehr physischen Kommunikation und Begegnung, ist dass diejenigen, die sich nicht auf diese Art betätigen, hinter den (realen oder eingebildeten) Massen, die angeblich auf jegliches Problem aufmerksam sind, ‚zurückbleiben‘ werden. Das mag sein wie es ist (obwohl ein solches Denken die Priorität klar auf quantitative Ziele, z.B. die Anzahl an ‚erreichten‘ Personen setzt, als auf qualitative Faktoren wie die Tiefe der Kommunikation und die Stabilität der entdeckten Affinitäten), doch scheint das ‚Schritthalten‘ durch unkritisches Engagement eine Gefahr zu sein und treibt ebenso die Entwicklung der digitalen Medien, aus unseren Händen heraus, voran. Die omnipräsenten und meist entweder banalen oder höchst schädlichen Kommentarspalten, die viele Webseiten jetzt beherbergen, nahmen ihren Anfang als eine Erfindung des Indymedia-Netzwerks, während das vom ‚Institute for Applied Autonomy‘ für die Proteste gegen die landesweiten Parteitage der Demokraten und Republikaner entwickelte Textnachrichten-Programm als Vorlage für Twitter diente.

Ironischerweise scheinen, angesichts der ganzen Diskussion über die Vielfalt des Internets, viele Anarchisten und (andere) Radikale – selbst diejenigen, die den digitalen Optimismus ablehnen – gezwungen zu sein, sich für die Bequemlichkeiten des allumfassenden Facebook & Co im ‚informativen Mainstream‘ zu entscheiden, anstatt für autonome Kanäle. Dies scheint größtenteils die zunehmende Ghettoisierung von radikalen Kritiken zu einfach einer weiteren online Identitäts-Nische, zu einem weiterem Status in deinem Profil, zu befördern, und beschleunigt die weitere Zersplitterung, sogar innerhalb dieser Kritiken, in eine Reihe von Silos in welchem man sich sicher sein kann, nur Meinungen, die der eigenen gleichen zu hören. [14]

Anstatt sich über die Flucht aus den künstlich-beschränkten Debatten zu freuen, die in den vergangenen Jahren die Paradigmen der Massenmedien geprägt haben (in vielerlei Hinsicht der Klebstoff, der die Demokratien der jüngeren Moderne zusammengehalten hat) – und von welchen sich die sozialen Medien tatsächlich wegbewegen – würden wir gut daran tun, darüber nachzudenken, wie die Produktion von Meinungen in diesem neuen demokratischem Rahmen immer noch stattfindet. Wie wir in den letzten Monaten gesehen haben, kann ein Kandidat, trotz der Feindschaft von fast allen nationalen Massenmedien, Präsident der USA werden [hrsgb – gemeint ist Donald Trump], ein Hinweis darauf, dass soziale Medien inzwischen einen größeren Einfluss besitzen als diese Institutionen.

Aber selbstverständlich wird das Terrain der sozialen Netzwerke weiterhin durch enorme Ungleichheiten an Einfluss, Präsenz und Ressourcen charakterisiert, viel eher als durch eine Art von horizontalen oder ausgeglichenen Machtverhältnissen, somit ist es vielleicht präziser von einer Polyzentralisierung als von einer Dezentralisierung zu sprechen. Wichtiger ist noch, dass die Ideologie des demokratischen Pluralismus, in welcher diese technologischen Plattformen komfortabel eingebettet sind, jede Meinung (liberal, konservativ, anarchistisch, feministisch, kapitalistisch) für gleichberechtigt erklärt – solange sie auch nur das bleibt, eine Meinung. Die Abkehr von einer zentralen Bühne des gesellschaftlichen Diskurs und der ‚Faktenproduktion‘ führt tatsächlich zu einer weiteren Atomisierung – die verschiedenen Online-Nischen brauchen sich nie miteinander zu konfrontieren, die Menschen sind an alle Meinungen gewöhnt, die eine Homepage und einen festgelegten Rahmen haben und somit werden Debatten und die Auseinandersetzung mit Ideen (das heißt Spielzeugen, Waffen oder Werkzeugen, die wir aufnehmen und tatsächlich benutzen können) schwieriger oder kurzlebiger. Anstatt die online Aktivitäten zu zensieren, beobachten die Demokratien von heute und morgen größtenteils, was für demographischen Merkmale welchen Einfluss haben, welche Stimmen sie bringen, was für Werbeeinnahmen durch sie generiert werden können und welche Konsumenten-Nische die passende ist. In diesem Zusammenhang hat sich die Entfremdung tatsächlich weiter verstärkt: erfahrungsgemäß würde es scheinen, dass die fruchtbarsten Orte, um subversive Beziehungen aufzubauen, mit dem Ziel tatsächlich gemäß unseren Bedingungen zu handeln, in der Tat von dem Streiten über verschiedene Ideen der Welt und wie wir sie bewohnen könnten, kommen. Durch die Auflösung des Raums, der solche Konflikte entstehen lassen könnte und somit einer potentiellen Vertiefung von Analysen und Affinitäten, lässt das Internet uns schwächer werden.

Was ich natürlich am Internet hasse“ sagt Aragorn!, „ist, dass es sich schnell von einer dezentralisierten Kakofonie an Stimmen, Perspektiven und Medien um verschiedene Ideen zu vermitteln, zu einem kanalisierten, vermittelten, kontrollierten und zensierten Medium gewandelt hat, das die meisten Mängel der Medien reproduziert, welche ursprünglich zur Popularisierung des Internets geführt haben. Im Kontext des anarchistischen Internets bedeutet dies, dass die erste Welle anarchistischer Internet[-seiten] fast vollständig verschwunden ist. Die anarchistischen Diskussionen im Internet finden inzwischen fast alle bei Facebook und/oder im kurzlebigen Kontext von Snapchat, Instagram und Twitter statt.“ Trotz anerkennenswerten Online-Initiativen (einige davon von ihm, aber genauso von anderen), die versuchen diesem Trend entgegenzuwirken, ist die Atmosphäre der meisten ‚radikalen‘ Online-Konversationsräumen geprägt von Zynismus, Selbstkontrolle oder totaler Gedankenlosigkeit, und um jeden Preis die ‚Diskussion zu gewinnen‘ scheint Vorrang vor allem andern zu haben. „Innerhalb von einigen kurzen Jahren haben sich die Kommentar-Foren im Internet in einen repressiven Apparat verwandelt,“ beobachtet der Text ‚Robots of Repression‘ „obgleich demokratisch par excellence. Mit fast allen als Teilnehmenden, sind innerhalb von anarchistischen Kämpfen geschaffene und benutzte online Kommentar-Foren zu akzeptablen Räumen geworden für die Intensivierung von sektiererischen Spaltungen, die auf gerade mal einem Hauch von Abweichung basieren; für die Vervielfältigung von oberflächlichen oder ästhetischen Affinitäten; dafür Leute als Informanten oder Vergewaltiger zu bezichtigen; für die Veröffentlichung von rechtlich relevanten und gefährdenden Informationen; für die Gefährdung der Anonymität; für das Schwinden von Solidarität und ihre Ersetzung durch Oberflächlichkeit und sofortige Befriedigung; und für eine Verbreitung der Kultur des TLDR [Too Long; Didn‘t Read – Zu Lange; Nicht gelesen].“

Auch wenn es soziale Medien und Kommentar-Foren nicht schaffen uns zu verführen, ist es genauso einfach, sich von den unaufhörlichen Updates der spezifisch anarchistischen Online-Medien berauschen zu lassen. Unsere nachdenklichen und kreativen Wege, welche zuweilen anti-autoritäre Interventionen in Aspekten des sozialen Lebens gekennzeichnet haben, fallen dem konstanten Brummen des Informationsaustausch zum Opfer (wobei schablonenhafte und unter-kontextualisierte Events/ Aktionen oft besonders bejubelt werden), und wir werden sehr ähnlich zu anderen Internet-Surfern, die flüchtige Kicks zum Thema ihrer Wahl erleben. Dies ist ein vielleicht zu wenig evaluierter Teil des Konzepts des ‚Anarchismus der Aktion‘ (oft mit vielen spannenden Eigenschaften, um das klarzustellen), der in den letzten Jahren in den Vordergrund gerückt ist. Neben der offensichtlich existierenden Stärke, die oft dadurch entsteht, dass man Herzen in einem mehr oder weniger entfernten Teil der Welt erkennt, die in einem ähnlichem Rhythmus wie unsere eigenen schlagen, ist es nützlich zu hinterfragen, welche Auswirkungen die vorherrschenden kulturellen ‚Gruppengefühle‘, die auch in uns durch diese Medien ausgelöst werden, auf unsere Kämpfe haben können. Wir haben vielleicht nie zuvor auf einer ‚Bühne‘ gespielt, wo die ‚Audienz‘ aus so vielen (und wahrscheinlich oft ausschließlich) anderen Anarchisten besteht, auch wenn es lokal keine gibt, und nicht zum Großteil aus Bewohnern irgendeines sozialen Kontextes, in dem wir uns bewegen.

Auch wenn wir anerkennen, dass unsere Aktionen durch komplexe Faktoren bewirkt werden und solche bewirken – sowie den sozialisierten oder vielleicht sogar einfach nur allzu menschlichen Drang nach Anerkennung akzeptieren – und es somit nicht für nötig erachten ‚reine‘ Handlungsmotive zu bestimmen, sollten wir uns bewusst sein, dass solche Aktionen, dadurch dass sich zu ihnen bekannt wird, die Möglichkeit bergen, Großteils als etwas wahrgenommen zu werden, dass nur passiert, um auch Teil der virtuellen Arena zu sein. Oder zumindest dann, wenn dies zum Nachteil von Versuchen geschieht, die unsere alltäglichen Umgebungen und Bedingungen beeinflussen.

Ab welchem Punkt geht es weniger darum, Zeichen der Solidarität zu verbreiten, um eine tatsächliche Projektualität zu stärken, oder darum die benutzten Methoden zu beschreiben – was uns alles in unseren realen Kämpfen bestärkt – sondern eher um eine Selbstbefriedigung durch Web-Games? Das muss jedenfalls ohne Generalisierungen Fall für Fall beurteilt werden, aber wir denken, dass Antonio Antonacci etwas in der Art gemeint haben könnte als er folgendes schrieb: „Persönlich habe ich einige Bedenken was projektuelle Ziele und spektakuläre Propaganda angeht. Auch wenn ich anerkenne, dass diese Potential haben können, glaube ich ebenso, dass sie zu der auf das äußere Erscheinungsbild fixierten Gesellschaft gehören, basierend auf Nichts und tief eingetaucht in einer Zeit der Hyper-Information in der die Zentralisierung des Willens zu kommunizieren, oder ein Übermaß an Kommunikation, es riskieren, Verwirrung zu stiften und Begeisterung zu einem Ziel an sich zu degenerieren.“ Dieses neue Terrain ist verlockend und birgt ohne Zweifel einiges Potential; und so oder so, ob es einem gefällt oder nicht, es ist das Terrain auf dem sich viele von uns jetzt bewegen. In einem Teil ihres Beitrags für ein Treffen in dem anarchistischem Raum Nadir in Thessaloniki, Griechenland, zum Thema anarchistische ‚Gegen-Informations-‘Strukturen zur Verbreitung von Bekennerschreiben, Neuigkeiten und Analysen argumentieren die Administratoren von 325.nostate.net, dass sie „glauben, dass der Informationskrieg für die neue anarchistische Stadtguerilla ein entscheidendes Interventions-Terrain ist, genauso wie die Metropole oder die Grenze zwischen städtischen und ländlichen Gebieten es für die Revolutionäre der Vergangenheit war.

[…] Wir wollen es denen, die von direkten Aktionen über die Mainstream-Medien mitbekommen haben, sehr einfach machen, die Kommuniqués und Kontexte der Attacken zu finden, und den informellen Gegeninformations-Gruppen es ermöglichen zu wachsen und kontinuierlich die Umstände für weit verbreitete Subversion herzustellen. Der Zugang zu Informationen muss in eine Waffe gegen das System verwandelt werden, welches auf seiner Dominanz über die Medien beruht.“ Noch im selben Absatz wird jedoch zugegeben, dass „das Umfeld der neuen Medien nicht nur zunehmend auf Selbstveröffentlichung basiert, sondern es auch alle Blickpunkte in sich aufnehmen und integrieren kann, sogar reale Attacken.“ Inwiefern ist das mit der zuvor erwähnten Tendenz zur demokratischen Integration und Ghettoisierung verflochten? Wie können wir es schaffen, eine Präsenz im digitalen Bereich aufrechtzuerhalten, um einen Kontext für Aktionen und ähnliches bereitzustellen, und gleichzeitig den Grad minimieren, zu welchem diese lediglich als eine weitere ‚kantige‘ Ästhetik für eine bestimmte Klasse an Zuschauern integriert und ihren tatsächlichen Auswirkungen beraubt werden? Es wäre in der Tat eine vergeudete Möglichkeit – falls die Umstände auf Chancen hindeuten, unkontrollierbare Situationen in eine Richtung zu lenken, die offen für die experimentellen Formen des Lebens sind, welche wir realisieren und vielleicht auch generalisieren wollen – die Art des Dialogs, mit der wir am meisten vertraut sind, das Veröffentlichen von selbst-bewerbenden Texten im Internet ist.

Dennoch scheint es so, als wäre dies zunehmend der Zugang vieler Leute dazu, was bestimmte Arten von Anarchisten machen und auch die Messlatte für die Teilnahme. Dies war ein Punkt, der in einer Ausgabe der Aversión hervorgehoben wurde: „Das Internet zwingt dich zu unablässigem Updaten und alles passiert mit einer Geschwindigkeit, die die menschlichen Fähigkeiten weit überschreitet. Was ist der Sinn davon, alles was rund um den Planeten geschieht, in Echtzeit zu wissen? Unsere Interventionsfähigkeit in unserer unmittelbare Realität ist an sich schon sehr begrenzt. Bis zu welchem Punkt führt dies zu der gleichen Angst, die sich aus der Geschwindigkeit ergibt, mit der sich beispielsweise Technologie und Mode verändern und so ihren bisherigen Wert und Bedeutung verlieren? […] Viele von uns sind dadurch Anarchistinnen und Anarchisten geworden, dass sie an Diskussionen teilnahmen, Briefe an Gefangene schrieben, Broschüren lasen, anarchistische Bibliotheken besuchten, Zeitschriften von der anderen Seite des Globus abonnierten, mit alten Saboteuren und Kämpferinnen diskutierten, etc… Aber heute findet die Ideenbildung zum größten Teil über Blogs und soziale Netzwerke statt. […] Es scheint, dass das Internet heute viele Aspekte unserer Existenz beinhaltet und die menschlichen Beziehungen tiefgreifend beeinflusst und so zur Isolierung, Atomisierung und Entfremdung beiträgt.“ Mit anderen Worten, da viele Menchen ihren Anarchismus nun von Wikipedia ‚lernen‘, und ihre Ideen anhand von Repräsentationen bilden, die zu einem gewissen Grad von den tatsächlich gelebten Komplexitäten und den Versuchen in diesen zu leben entfernt sind, werden diese auf einem Terrain radikalisiert, das nur geringfügig innerhalb unseres tatsächlichen Einfluss ist; die Form widerspricht in gewissem Maße dem Inhalt. Unsere Frage muss sein, wo eröffnet uns das Internet neue Räume und wo schließt es uns ein? In welcher Weise hilft es der Selbstkreation und der Inspiration und wo beinhaltet es bloße Anwerbungen, oder einen Platz online, um unsere Unzufriedenheit unserer eigenen Bevölkerungsgruppe mitzuteilen?

Als sie ihren Rücktritt von der Verwaltung der Internetseite anarchistnews.org ankündigte, stellte ‚Worker‘ fest, dass „es einmal so war, dass Anarchismus (die Menge an Leuten, die den Begriff benutzen) mit einem Haufen von Leuten gefüllt war, die Sachen machten. Seit dem Aufkommen des Internets ist das zunehmend NICHT mehr der Fall. Meine größte Enttäuschung in der Mitarbeit bei anarchistnews.org ist, dass ich Zeugin dieser Degradierung von interessanten anarchistischen Aktivitäten geworden bin. Das Internet regt nicht zu interessanten Aktivitäten an, es tötet sie noch ungeboren. Die meisten neuen AnarchistInnen haben Angst vor der Aufmerksamkeit der breiteren anarchistischen Community, da diese fast nie unterstützend wirkt (und falls doch, dann zumeist in der Form eines NGO mäßigen Shit-Sandwich [Kompliment-Beleidigung-Kompliment] rhetorischen Freundlichkeit). Das Internet steht heute im Zentrum unserer Kommunikation und das bedeutet, dass unsere Kommunikation schlechter denn je ist.

Auch wenn ich nicht besonders naiv im Bezug darauf war, was ich hoffen sollte, als ich mit anarchistnews.org begann, begriff ich nicht, wie mächtig das Internet darin werden würde, alles zu formen, was hier passiert. 2015 ist es so gut wie unmöglich geworden eine DIY Internetseite zu starten und sie über den Kreis deiner sozialen Clique hinaus wahrnehmbar zu machen. Die Big Player dominieren komplett, worüber gesprochen wird und ich bin nicht motiviert diesen Teil des modernen Medienspiels zu spielen. Ich finde Facebook, Twitter, etc. absolut widerwärtig und, obwohl ich sie benutze, kann ich ihre Nutzung nicht unterstützen und sehe sie als gänzlich gegensätzlich zu unserem Projekt hier.“ Zur jetzigen Zeit vertraut ein großer Anteil der allgemein Andersdenkenden genau diesen Plattformen die Art an persönlichen Informationen an, die selbst die weniger Paranoiden unter ihnen niemals so bereitwillig einer nationalen Autorität anvertrauen würden. Jetzt kommen wir zu den Konsequenzen, die kein Radikaler ignorieren können sollte, wenn Internet-Technologien so viel von unserer Realität definieren: die erdrutschartigen Fortschritte der Überwachung, die sie bereithalten.

Den Big Brother herein beten

Computersysteme sind in ihrem Kern keine Technologien der Emanzipation. Es sind Technologien der Kontrolle. Sie wurden als Werkzeug entwickelt um zu überwachen und menschliches Verhalten zu beeinflussen, um zu kontrollieren was Menschen tun und wie sie es tun. Da wir immer mehr Zeit online verbringen und Datenbanken mit Details über unser Leben und Wünsche füllen, werden Softwareprogramme immer fähiger, subtile Muster in unserem Verhalten zu entdecken und zu nutzen.“

Nicolas Carr

Als ob es nötig wäre zu sagen, unsere Feinde sind auch in vielen Bereichen des digitalen Feldes aktiv. Bezeichnenderweise war eine der erste Personen, die in Spanien tatsächlich von dem neuen (und mit starkem Widerstand konfrontierten) ‚Öffentlichen Sicherheitsgesetz‘ betroffen war, das umgangssprachlich als „Gag-Gesetz“ [hrsgb. – „Witz-Gesetz“] bekannt ist, ein Matrose aus Teneriffa, der die Polizei auf der Facebookseite des Bürgermeisters als „Faulpelze“ bezeichnete. Innerhalb von sechs Stunden nachdem er auf ‚senden‘ gedrückt hatte, klopfte die Polizei an seine Tür, trotz seines Protests, dass er kein „perroflauta“ [hrsgb. – etwa obdachloser Hippie; Penner] wie jene in den sozialen Bewegungen sei, gegen welche das Gesetz mutmaßlich gerichtet war.[15] Direktere Interventionen gegen die organisatorischen Fähigkeiten, die mit den neuen Technologien assoziiert werden, beinhalten das Unterbrechen der Netze von iPhone und Co innerhalb eines ‚Protestgebiets‘ (ähnlich als das Handynetz während der jährlichen 1. Mai Demonstration in einem besonders konflikthaftem Teil Berlins 2010 unterbrochen wurde), aber oft scheint es, als läge das Interesse der Autoritäten eher in der Überwachung solcher Situationen als darin, eine Unterbrechung herbeizuführen – daher das Auftauchen von weißen einmotorigen Flugzeugen in den USA, die über Brennpunkten kreisen wie Ferguson, Baltimore und zuletzt Olympia während einer kurzen Eisenbahnblockade, um Fracking-Zubehör daran zu hindern, das Bakken Ölfeld in Northdakota zu erreichen, in Solidarität mit dem Standing Rock Camp. Von diesen Flugzeugen wird angenommen, dass sie vom FBI verwendet werden um die komplette mobile Kommunikation in ihrer Reichweite aufzusaugen, vermutlich für Echtzeiterfassung und -analyse. Das Militär folgt natürlich den Auswirkungen der Kriegsführung im Informationszeitalter und den zunehmend asymmetrischen Konflikten der heutigen Tage. Dies nimmt bereits in einem sehr greifbarem Sinne Form an, wie die drei US-gelenkten Bomben, welche ein mutmaßliches IS Hauptquartier zerstörten, weniger als 24 Stunden nach dem die für das Durchkämmen der sozialen Medien zuständige Division, auf ein angeberisches Selfie innerhalb der Basis gestoßen ist und die Herkunft geortet hat. Aber, wie General Nick Carter, als Teil der Initiative die Britische Armee ‚smarter‘ zu machen, welcher er vorsteht, verkündet, erkennen zeitgemäße Militärverbände an, dass „auf einem modernen Schlachtfeld die Aktionen von anderen auf Arten beeinflusst werden können, die nicht unbedingt gewaltsam sind und [die neue Strategie] sich stark auf wichtige Lehren aus unseren Einsätzen in, unter anderen, Afghanistan stützt.“ In der Tat wird die ‚digitale Kriegsführung‘ in dieser Periode als zentral für die Operationen der Britischen Armee beschrieben, Ausdruck davon sind 1900 zusätzliche Sicherheits- und Geheimdienstmitarbeiter. Zwei „innovative Brigaden“, bestehend aus Regulären- sowie Reservetruppen mit Kompetenzen in offensiver sowie defensiver digitaler Kriegsführung; Kämpfer, die nicht nur Waffen tragen, sondern die auch qualifiziert in der Nutzung von sozialen Medien und der dunklen Kunst der ‚psyops‘ sind – psychologischer Kriegsführung. Darin sehen wir eine Verwischung von militärischen und polizeilichen Funktionen in ihrem ‚klassischem‘ Sinne, als Teil einer Entwicklung der allgemeinen Aufstandsbekämpfung.[16]

Zweifellos wird jede Nutzung von digitalen Werkzeugen im besten Fall zumindest ein zweischneidiges Messer; während Menschen vor den Folgen der gerühmten ‚Facebook-Revolutionen‘ in der arabischen Welt und darüber hinaus fliehen, hat die europäische transnationale Polizei Europol seit 2015 eine neue Partnerschaft mit den großen sozialen Medien geschlossen, um nach verdächtigten Akteuren zu suchen, welche diese Flucht erleichtern – alles unter der Aufsicht des europäischen Zentrum für Terrorismusbekämpfung. Um das Offensichtliche noch einmal zu sagen: Solche Plattformen sind auf gewisse Art für die Geheimdienste ein Geschenk des Himmels, verglichen mit der Arbeit, die sie in vergangenen Tagen hätten unternehmen müssen, um diese Zielgruppen zu infiltrieren. (Eine andere Sache ist es, die Individuen aus den Millionen von Personen herauszuziehen, die tatsächlich interessant sind, aber man kann nicht sagen, dass die Autoritäten keinen Erfolg in diesem Unterfangen hatten, vielleicht durch die Kombination der Wissenschaft der Netzwerkanalyse mit älteren Geheimdienstwissen).

Es kommt heutzutage nur selten vor, dass Regierungen auf die Art von autokratischen Internet-Shutdowns (wie zu den letzten Tagen des Mubarak-Regimes in Ägypten) während sozialen Turbulenzen zurückgreifen – auch wenn es nichts Unbekanntes ist, so passierte es auch in der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo während Anti-Regime-Auseinandersetzungen 2015 – weitet dies doch so klar die Erfahrung eines Bruchs mit der täglichen Normalität aus und schadet der wirtschaftlichen Aktivität. Vielleicht ist etwas Rumschrauben in Ordnung, so wie die Twitterbots aus der letzte Fußnote oder die fast totale Abwesenheit von Nachrichten über den Aufstand in Ferguson in Tufekcis Facebook Feed, der algorithmisch nach ‚persönlicher Relevanz‘ editiert wird (während es anscheinend auf Twitter kein anderes Thema gab), aber Tatsache ist, dass diese Werkzeuge ebenso für eine Restabilisierung wie für eine Destabilisierung geeignet sind. So zum Beispiel die Twitter-Mobilisierung, die die mit ihren Besen bewaffneten Freiwilligen zusammenbrachte um die Nachwirkungen der Unruhen in London 2011 wegzufegen, koordiniert von CrisisCommons, einem „globalem Netzwerk von Freiwilligen, die zusammenarbeiten, um technologische Mittel zu entwickeln und anzuwenden, um auf Katastrophen zu reagieren und die Widerstandsfähigkeit und Reaktion vor einer Krise zu verbessern“. Die durch diese Technologien ermöglichte ‚Selbstorganisierung‘, ist auf keine Weise in sich befreiend.

Regierungsparteien, Konzerne und Institutionen müssen selbst zu Experten auf dem Spielfeld der sozialen Medien werden und dieses Spiel auch zu ihrem Vorteil ausspielen. Nach den Unruhen 2011 in ganz England veröffentlichte der Vorsitzende der Polizeistiftung einen Beitrag auf dem Blog der British Telecom (BT). „Der Übergang von einer traditionelleren und stabileren Gesellschaft hin zu einer viel schnelleren, konsumorientierten Welt schafft viele Herausforderungen für die Polizei. Menschen werden von den Gemeinschaften in denen sie wohnen und schlussendlich auch voneinander getrennt.

Dieses Gefühl der Unverbundenheit und Trennung lässt Menschen sich unsicher fühlen, was wiederum zur Angst vor Kriminalität und der Furcht vor Respektlosigkeit im öffentlichen Raum beiträgt. In einer Welt in der Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz und der Respekt für die Rechte und Freiheiten anderer der Klebstoff einer zersplitterten Gesellschaft darstellen, werden diese immer wichtiger für die konsensuelle Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung. Wenn die Allgemeinheit der Polizei als legitime Autoritätsfiguren vertraut, so ist es wahrscheinlicher, dass sich die Menschen im Einklang mit den Gesetzen verhalten und sich innerhalb ihrer Gemeinschaft engagieren und Bedenken und Fehlverhalten melden.

Diese Herausforderungen prägten auch die Eröffnung der zweiten alljährlichen Konferenz der Polizeistiftung ‚Effektivität der Polizei in einer sich verändernden Welt‘, die letzten Mittwoch im BT-Center [British Telecom] stattfand. Diese wurde von Stuart Hill eröffnet, dem Vizepräsident für Regierungs- und Kundenangelegenheiten der BT und konnte mit einer herausragenden Besetzung an Sprechern aufwarten, so zum Beispiel Professor Sir Anthony Bottoms [einflussreicher Kriminologe], Shani Chakrabarti [Politikerin und Mitglied des House of Lords], Sara Thornton [damals Polzeichefin der Polizei von Thames Valley], Nick Herbert [damals Staatsminister für Polizei und Justiz] und Nick Gargan [damals Polizeichef der Polizei von Avon und Somerset].

Selten, falls überhaupt jemals, wurde die Polizei – sowohl im sozialen, als auch im politischen Sinn – vor eine solche Prüfung gestellt und es ist allgemein akzeptiert, dass sie ihre operative Unabhängigkeit schützen und jeglichem politischem Druck, soziale Probleme zu lösen, widerstehen muss. Sie muss die Macht der Kommunikation und der sozialen Medien zu ihrem Vorteil nutzen und mit diesen Innovationen, anstatt gegen sie, arbeiten. Die kürzlichen Unruhen zeigten auf, wie Protestierende soziale Medien nutzen konnten, um sich freier und schneller als Polizeieinheiten zu bewegen, also ist eine logische Antwort der Kräfte darauf eine Twitterpräsenz einzurichten und das Medium zu benutzen, um das Vertrauen und den Glauben der Follower zu gewinnen.“[17] Nach dieser kurzen Zeit des Chaos‘ wurden nicht wenige verdächtigte Randalierer wegen ihren Aktivitäten in den sozialen Medien zu Gefängnisstrafen verurteilt (oder auch nur diejenigen, die online Aktionen glorifiziert und verteidigt hatten und Strafen von zwei bis vier Jahren für Facebook Posts erhielten).

Während die Unverfrorenheit an der Tastatur von einigen britischen Aufständischen und ihren Verehrern dieser Tage vielleicht teilweise auf die Unerfahrenheit und Naivität bezüglich Polizeiüberwachung zurückzuführen war, ist es völlig rätselhaft warum viele, denen eine Kritik am Überwachungsstaat geläufiger ist, solchen Plattformen nicht ablehnender gegenüberstehen. Das Nadir Tech-Kollektiv merkte im Jahr 2012 das Gleiche an: „Durch das jahrelange Arbeiten – und manchmal auch Lohnarbeiten – mit dem Netz und mit Computern, Systemadministration, Programmierung, Kryptografie, und vielem mehr, ist Facebook so etwas wie ein natürlicher Feind. […] Wir hatten nur nicht realisiert, dass nach all dem Stress auf den Straßen und all diesen langen Gruppendiskussionen, viele AktivistInnen das Verlangen zu haben scheinen, auf Facebook in aller Länge über alles herzulabern. Wir realisierten nicht, dass es AktivistInnen, gemeinsam mit dem Rest, genießen in dem subtilen Fluss der Ausbeutung, da wo es anscheinend nicht weh tut, mitzuschwimmen, und, endlich einmal, sich nicht widersetzen zu müssen. Viele Menschen leiden unter einem schlechten Gewissen. Während das bei vielen dazu führt, dass sie mit den fatalen Konsequenzen von Facebook rechnen, scheint es nicht zu tatsächlichen Handlungen zu führen. Ist es wirklich bloß Ignoranz? Nur um das Problem kurz zu umreißen; dadurch, dass sie Facebook benutzen, machen AktivistInnen nicht nur ihre eigene Kommunikation, ihre eigene Meinung und Likes etc. transparent und stellen sie zur Auswertung zur Verfügung. Sondern – und das sehen wir als viel wichtiger an – sie enthüllen Strukturen und Individuen, die ihrerseits wenig oder gar nichts mit Facebook zu tun haben. Die Fähigkeit von Facebook das Netz nach Beziehungen, Ähnlichkeiten etc. zu durchsuchen ist für Laien schwierig zu verstehen. Das Geschwätz auf Facebook reproduziert politische Strukturen für die Autoritäten und Konzerne. Diese können durchsucht, sortiert und zusammengefasst werden, nicht nur um genaue Beschreibungen von soziale Beziehungen, wichtigen Personen etc. zu erlangen, sondern auch um Vorhersagen zu machen aus welchen Regelmäßigkeiten abgeleitet werden können. Nach Mobiltelefonen ist Facebook die subtilste, billigste, und beste verfügbare Überwachungstechnologie.

[…] Darum sehen wir Facebook-NutzerInnen als eine echte Gefahr für unsere Kämpfe. Besonders AktivistInnen, die wichtige Informationen auf Facebook publizieren (oft ohne zu wissen, was sie tun), dies wird auch zunehmend von Strafverfolgungsbehörden genutzt. Wir könnten fast soweit gehen, diese AktivistInnen der Kollaboration zu beschuldigen. Aber an dem Punkt sind wir noch nicht ganz angelangt. Wir hoffen immer noch, dass Leute realisieren werden, dass Facebook ein politischer Feind ist und dass diejenigen, die Facebook benutzen, es mächtiger und mächtiger machen. AktivistInnen, die Facebook nutzen, füttern die Maschine und legen dadurch unsere Strukturen offen – ohne jegliche Notwendigkeit, ohne irgendwelche Gerichtsbeschlüsse, ohne jeglichen Druck.“ In dem selben Jahr, als diese Worte geschrieben wurden, basierte der Schlag gegen bolivianische Anarchisten, Syndikalisten und Feministen hauptsächlich auf Informationen von Facebook-Profilen, und fünf Anarchisten wurden in Spanien für ‚Mitgliedschaft in einer terroristischen Gruppe‘ auf Basis ihrer Beteiligung an Facebook-Gruppen eingesperrt. Weiter zitierend aus ihrem Beitrag zu dem Treffen in Thessaloniki, unterstreicht 325.nostate.net die „dringende und ernsthafte Notwendigkeit für aufständische Gruppen aufzuhören reguläre, konzerneigene Dienste (z.B. Yahoo, Facebook, Gmail, Hotmail, WordPress, Blogspot, etc.) zu nutzen und sich grundlegende Kenntnisse der Computersicherheit anzueignen.

Diese Aufgabe ist für AnarchistInnen in allen Ländern dringend notwendig, aber speziell in jenen mit merklich repressiven Regimen. Diese Unternehmen werden beim geringsten Druck sofort mit den Autoritäten kooperieren. Dies muss soweit irgendwie möglich durch Dienste aus der Bewegung und Verschlüsselung ersetzt werden. Es ist schon seit 2003, anlässlich eines Anti-Knast-Treffens in Barcelona, durch einen Anwalt aus der Bewegung bestätigt, dass die europäischen Polizei- und Sicherheitsbehörden die Internetunternehmen nutzen, um AnarchistInnen, die diese Dienste nutzen zu identifizieren, zu beobachten, zu verfolgen und zu überwachen. Dies hat Europol und den verschiedenen staatlichen Polizeibehörden Zugang zu einer enormen Menge an Analysedaten ermöglicht; den Standort, den Inhalt, das wer-kommuniziert-mit-wem, etc. AnarchistInnen werden systematisch, durch die Software auf die sie sich für die Kommunikation/Veröffentlichung verlassen, ins Visier genommen und wir sollten darauf hinarbeiten, ihre Fähigkeit uns zu stören, so weit es uns irgendwie möglich ist, unterbinden.

Die Autoritäten beabsichtigen unsere Internetnutzung in eine Waffe gegen uns umzuwandeln, durch das Tracking der IP-Adresse [ed. – Interne Protokoll Adresse, identifiziert den Standort, die technischen Details und den Provider einer Internetverbindung] und Dataveillance [hrsgb. – das Sammeln von Onlinedaten sowie Metadaten; das Wort ist eine Mischung der beiden englischen Wörtern ‚data‘ und ‚surveillance‘], die zu unserer Strafverfolgung – oder versuchten Neutralisierung – führen.“

Schon jetzt kann man in Frankreich für das Öffnen von ‚terroristischen Internetseiten‘ zwei Jahre ins Gefängnis kommen, während 2013 die Administratoren des anarchistischen Internetportals non-fides.fr wegen der ‚öffentlichen Diffamierung von staatlichen Amtsträgern‘ und der ‚Anstiftung zum Begehen eines Angriffs auf eine Person ohne Auswirkung‘ angeklagt waren, da sie einen Text verbreiteten, der die Pariser ‚Nachtkorrespondenten‘ bloßstellte.[18] (Beide GefährtInnen verweigerten es zu kooperieren oder freiwillig bei Anhörungen zu erscheinen, sowie Fingerabdrücke, DNA-Proben und biometrische Fotos abzugeben und sagten „wir wissen, dass diese Affäre nur ein Vorwand der Schweine und Gerichte ist uns weiter zu schikanieren, nachdem sie uns 2011 wegen einer anderen Sache für ein paar Monate ins Gefängnis warfen[19] und nach ungefähr drei Jahren von unterschiedlicher, fast ununterbrochener rechtlicher Überwachung, während welcher wir uns theoretisch weder sehen, noch das Land verlassen durften, und uns jede Woche bei der Polizei melden sowie ein Lösegeld von € 4,000 an den Staat zahlen mussten. All diese Maßnahmen (die uns genauso beeinflussen wie sie andere GefährtInnen vor uns und zehntausende Menschen überall beeinträchtigt haben) zielen darauf ab, uns zu brechen, indem sie uns voneinander isolieren und uns beide von der Bewegung isolieren, aber auch dadurch, dass sie Dynamiken des Kampfes brechen.“)

Wie in dem anonymen Text ‚Desert‘ von 2011 zitiert, „einer mittelfristigen Zukunftsprognose des britischen Militärs zufolge: „Bis zum Ende dieser Periode [hrsgb. – im Jahr 2036] wird es wahrscheinlich dem Großteil der Weltbevölkerung schwerfallen die ‚Außenwelt abzuschalten‘. Die Informations- und Kommunikationstechnologien werden wahr scheinlich so allgegenwärtig sein, dass Menschen permanent mit einem Netzwerk oder einem Zwei-Wege-Datenstrom verbunden sind, was inhärente Herausforderungen für die bürgerlichen Freiheiten mit sich bringt; nicht verbunden zu sein, könnte als verdächtig angesehen werden.“ Auf so eine Zukunft bewegen wir uns schnell zu. Als die französische Anti-Terror Polizei in die Landkommune Tarnac eingefallen ist, war eine der öffentlichen Rechtfertigungen für ihre Verdächtigung, dass sich dort eine terroristische Zelle formiert, dass nur wenige Personen dort Handys hatten! Die vereinbarte Übereinkunft besagt, dass der erste Schritt für diejenigen, die die Zukunft geplant haben und sie nun auch herbeiführen wollen, darin besteht, sich bekannt zu machen, ihre Stimme hörbar zu machen – die Wahrheit an die Macht zu bringen. Doch „der Hörer legt die Bedingungen fest, nicht der Sprecher“ [‚Silence & Beyond‘]. Viele der Auseinandersetzungen auf niedriger Ebene, welche Aktivismus charakterisieren, und der limitierten sozialen Räume, welche Gegenkultur ausmachen, tragen aktiv dazu bei, Gebiete und Menschen zu bestimmen, die überwacht werden müssen.

Damit ist weder gemeint, dass aller Widerstand vergeblich ist, noch dass wir damit aufhören sollten, Communities entstehen zu lassen, in welchen wir leben und lieben; sondern wir täten gut daran zu verstehen, dass viele ‚subversive‘ Aktionen – und soziale Beziehungen – zunehmend sowohl den Bedürfnissen der Macht als auch jenen der Freiheit dienen. Die Ausgeglichenheit der Vorteile sollte immer in Erwägung gezogen werden.

Wir müssen uns immer die Frage stellen: Wie wahrscheinlich gehen durch die geplante Aktion oder die Art der sozialen Beziehung im großen Stil Daten über potentiell widerständige Identitäten an den Feind verloren? Durch immer mächtigere Überwachungsstaaten und -stürme die auf uns zukommen, wächst unsere Verantwortung gegenüber uns und speziell gegenüber jenen, die noch nicht mit uns in Verbindung stehen.[20]

Dies macht auch einen Teil der Regierungs- und Unternehmensinitiative verständlicher, alle Menschen zu ermutigen, das Internet zu benutzen. („Die Unverbundenen ermutigen auch online zu gehen“ wurde von einem Journalisten der Washington Post als „nationale Priorität“ beschrieben. [21]) Das viel verkaufte politische Buch ‚Die Vernetzung der Welt‘ (engl.: ‚The New Digital Age: Reshaping the Future of Peoples, Nations and Business‘). geschrieben von dem (jetzt ehemaligen) CEO von Google Eric Schmidt und Jared Cohen (dem heutigen Vorsitzenden der ‚Ideen‘-Sparte von Google), schlägt offen den Zentralismus des digitalen Sektors vor, im Rahmen einer weltweiten Aufstandsbekämpfungsstrategie gegen die vielen Bedrohungen, die sie in ihren Alpträumen heimsuchen. Die Technologie-Unternehmen sind ihnen zufolge in der privilegierten Position ‚Radikalisierung‘ auf internationaler Ebene zu bekämpfen: sie können dort agieren, wo Regierungen nicht hinkommen, ohne von dem überkommenen Vermächtnissen der lokalen Staaten eingeschränkt zu werden; sie können ohne diplomatische Zurückhaltung mit Menschen sprechen; und sie operieren in der‚universellen‘ und ‚neutralen‘ Sprache der Technologie. (Darüber hinaus erkennen sie den schädlichen Einfluss ihrer Produkte auf alle Kinder und, dass Kinder der „echte demographische Nährbodenfür terroristische Gruppen“ sind, und dass es die Technologieindustrie, und nicht der Staat ist, die Videospiele, soziale Netzwerke und Mobiltelefone produziert. „Nur wenn wir ihre Aufmerksamkeit haben“, schließen die Autoren, „können wir darauf hoffen, ihre Herzen und Köpfe zu gewinnen.“)

In ihren Worten: „Natürlich wird es auch in Zukunft Menschen geben , die sich der Technologie verweigern und nichts mit virtuellen Profilen, Datenspeicherung und Smartphones zu tun haben wollen. Doch Behörden können den Verdacht hegen, dass Menschen, die sich völlig aus der digitalen Welt ausklinken, etwas zu verbergen haben und sich mit großer Wahrscheinlichkeit gesetzeswidrig verhalten. Im Rahmen der Terrorbekämpfung könnten sie eine Kartei der ‚unsichtbaren Menschen‘ anlegen. Wer weder einem sozialen Onlinenetzwerk angehört noch ein Mobiltelefon hat, ist schwer zu finden und könnte ein Kandidat für eine solche Kartei werden. Er oder sie könnte neuen Regelungen unterworfen werden und müsste zum Beispiel am Flughafen mit einer strengeren Überprüfung oder vielleicht sogar mit Reisebeschränkungen rechnen.“ Wir haben schon Anekdoten über die deutsche Polizei gehört, die nach einem Einbruch vor der Haustüre von Freunden auftauchte, allein aus dem Grund, dass sie nicht bei Facebook sind; hatten sie etwas zu verbergen? Und vergessen wir nicht, dass Jared Cohen, der Mitverfasser von ‚Die Vernetzung der Welt‘, Anti-Terrorismus Berater der amerikanischen Regierung ist, der während den Unruhen 2009 im Iran und der Zensur von Twitter durch die Regierung, das Unternehmen dazu drängte, ihre Dienste aufrechtzuerhalten; oder dass Google selbst Premiumpartner des umfassenden Spionageprogramms PRISM von NSA und Co ist.

Genauso wichtig wie die Machenschaften der verschiedenen Eliten mit ihren Generälen und Bürokraten zu erkennen, sind die Verhaltensweisen, die viel mehr Menschen dadurch eingeimpft werden. Um erneut auf ‚Robots of Repression‘ zurückzukommen: „Auf der ganzen Welt haben Internetnachrichtenseiten sich von Kommentarforen beeinflussen lassen, um das Interesse der Leser zu steigern und die Meinungen der LeserInnen weiter zu formen. Davon ausgehend, dass die Öffentlichkeit immer schon eine imaginäre Kraft war, die dazu benutzt wurde, kollektives und individuelles Verhalten zu disziplinieren, musste die Eröffnung eines neuen potentiellen Ausdrucks von Kollektivität, im Internet, durch eine neue Öffentlichkeit ersetzt werden. Und diese Öffentlichkeit musste, wie alle Öffentlichkeiten, diszipliniert werden. Am Anfang geschah dies durch sogenanntes Astroturfing: Internet-Trolle, angestellt bei Werbefirmen oder Regierungsbehörden, die gegen Bezahlung Kommentare posten, die eine positive Meinung von bestimmten Marken oder politischen Linien, und im weiteren Sinne eine generelle Mehrheit, erzeugen sollen, die nach sozialem Frieden und Konsum verlangt. Dieses Astroturfing wird dadurch zunehmend automatisiert, dass die durchführenden Werbefirmen und Regierungen ihre Effizienz erhöhen, indem sie ihre Meinungs-Former zu Aufsehern von dutzenden von computergesteuerten Meinungsverbreitungs-Maschinen machen, welche den Eindruck einer unterwürfigen Masse erzeugen, feindlich gegenüber jeglichen Extremisten, wohlwollend gegenüber den Produkten und voll blinder Akzeptanz für die Linsen, durch welche ihnen die Medien die Welt präsentieren.

Da Maschinen die Arbeitskräfte durch zunehmend mechanisches Verhalten konditionieren und die Apparate ihre Gefangenen so konditionieren, dass sie nur noch innerhalb vorgegebener Bahnen agieren, können wir vermuten, dass die Robotisierung der Arbeitskräfte, welche die informationelle und emotionelle Arbeit der Internetforen erledigen, nur von zweitrangiger Wichtigkeit für die Einimpfung von roboterhaften Gesinnungen in die übrigen Menschen ist. In anderen Worten, der Horror einer Massenproduktion einer imaginärer Öffentlichkeit durch Internetkommentare hat seine Wurzeln nicht in dem Bild von echten Menschen, die von im Dienst von Firmen stehenden Robotern überwältigt werden und die ein zuvor demokratisches Gleichgewicht gefährden; sondern eher in dem Bild von echten Menschen, die zunehmend den Robotern gleichen, von denen sie ersetzt wurden, und diese somit wieder überflüssig machen (aber nicht nutzlos).“

Die Formen von diffuser und anonymer Macht, die es im Internet so reichlich gibt, können bestehende Herrschaftsstrukturen genauso leicht ausweiten, wie sie auch unterschiedliche Gruppen von Menschen zusammenwerfen können. Eine eher dystopische Kehrseite des Versprechens des Zusammenwachsens der Welt zu einem ‚grossen Dorf‘ als Folge der digitalen Kommunikation ist die berüchtigte Online-Nachbarschaftsgruppe NextDoor. In der Stadt Oakland in den USA wird NextDoor für das zügellose Racial Profiling genutzt, durch seine überwiegend weißen BenutzerInnen, die sich gegenseitig dazu ermutigen, die Polizei anzurufen (wegen Verdächtigen mit der Beschreibung „schwarz“ oder „trägt einen Kapuzenpullover“, die sich in der Nähe von Busstationen aufhalten, U-Turns machen oder vor Kaffees herumhängen), um Tipps austauschen, wie die Ordnungskräfte am besten zu erreichen sind und manchmal, um die Cops und Securities auf Grund von verdächtigen Aktivitäten zu alarmieren, von denen sie nur aus zweiter Hand durch Kommentare erfahren haben. 2014 haben die Polizei von Oakland und NextDoor (welche schätzen, dass 20% der Haushalte der Stadt die Seite nutzen) eine formelle Stadt-weite Partnerschaft gestartet und heute veröffentlicht die Polizei dort regelmäßig Warnungen, Fotos von Verdächtigen und Verbrechensstatistiken, und die Firma hat weitere Partnerschaften mit mehr als 1,200 Regierungsinstanzen – die meisten davon Polizeibehörden – in den ganzen USA.

Die neuen Grenzen des kapitalistischen Wachstums

„Der Grund dafür, dass Umweltschützer, sogar die radikalsten unter ihnen, die letzten dreißig Jahre kein Wort über die durch den Mikrochip eingeleitete Computerisierung der Welt verloren haben, ist, dass sie die Rolle, die die Computerisierung in der Modernisierung der Herrschaft gespielt hat, nicht verstanden haben. Die technologischen Wissenschaften der Informatik und Kommunikation haben sich seit den 1950er Jahren konstant immer weiter durchgesetzt. Ihre Einführung in den am meisten industrialisierten Ländern seit den 1970er Jahren hat die meisten Bereiche der Gesellschaft beeinflusst. Mit dem Erscheinen und der Verbreitung der Personal Computer ging es richtig los, teilweise auch als Konsequenz der massiven Opposition zur „big science“. Die „kleine Wissenschaft für jedermann“ wurde zu einer Realität, basierend auf den wieder aufgewärmten Illusionen einer vorherigen speziell kalifornischen Ära. Zusammen mit der Robotik erwies sie sich als eine effektive Waffe gegen die in den 1960er Jahren ausbrechenden Revolten, insbesondere gegen die langfristige tayloristische Mechanisierung der Arbeit. Es kam zu einer tiefgreifenden Veränderung des Verhaltens der beherrschten Klassen, besonders im geistigen Verhalten wie der Sensibilität, der Sprache, der Erinnerung, dem Vorstellungsvermögen, den Beziehungen zu Anderen, sowie ihren Beziehungen zu Raum und Zeit. Die Menschen haben sich daran gewöhnt, die Welt gemäß einer algorithmischen Logik zu betrachten. Technologische Macht – welche Teil und zugleich Repräsentation von gesellschaftlicher Macht ist – tendiert dazu, die Funktionsweise des menschlichen Geists mit der eines Computers gleichzusetzen und das Fokussieren auf Vorhersagen und Berechnung überschattete jedes Verlangen die Welt zu verstehen. Zuallererst versteckt sich hinter der Besessenheit der IT-Branche von dem „kleiner, billiger und schneller“ das „Zeit ist Geld“ von unserem alten Feind, dem Kapital. In einer Periode von tiefgreifenden Veränderungen des Systems, wie wir sie gerade erleben, ist der Zeitgewinn auf jeder Ebene so wichtig wie noch nie in dem Versuch, Profit zu machen. Angesichts der zentralen Rolle der Verarbeitung von Informationen in der Ausübung moderner Herrschaft, sind die Zunahme der Schnelligkeit von modernen Mikroprozessoren und Netzwerken, genauso wie die Masse an anfallenden Daten, immer größere Machtquellen. Die totalitäre Utopie der Macht ist nicht mehr länger Benthams Panoptikum, das Modell, um Disziplin in Gefängnissen zu erzwingen, sondern das „global brain“, wie von Bill Gates angedacht, das Modell von Kontrolle, ausgeübt durch das Netzwerk der Netzwerke.“

André Dréan

Das Kapital hat scheinbar schon immer seine Hohepriester und Visionäre benötigt, solche die zugleich Ambitionen für die Richtung der Entwicklung des Systems besitzen als auch die wirtschaftliche, technische und politische Macht um dieses zu beeinflussen. Die großen Tech-Eliten von heute besitzen diese Eigenschaften. Eines der klaren Ziele, das diese Klasse in der digitalen Ära erreicht hat (während sie auf einer individuellen Ebene natürlich oft auch Opfer dieser Entwicklung sein werden), ist die Erweiterung des Arbeitsplatz auf so gut wie die ganze Zeit und den gesamten Raum. Es wird oft erwartet, dass Angestellte (oder Selbstständige) 24/7 erreichbar sind; obwohl sogar eine deutsche Arbeitsministerin gegenüber der Presse zugegen hat, dass es unbestreitbar ist, „dass es eine Verbindung zwischen permanenter Erreichbarkeit und psychischen Krankheiten gibt“, die Norm ist immer noch, dass man auf dem Weg zur Arbeit E-Mails beantwortet, Blogposts während dem Mittagessen machst, Arbeitsanrufe lange nach den Bürozeiten entgegen nimmt etc., nur um Schritt zu halten mit dem Tempo, dass die Tech-Giganten vorgeben. Schon in den 1980er Jahren wurde Büroarbeit von einigen das ‚elektronische Fließband‘ genannt; heutzutage findet Arbeit genauso wenig nur noch im Büro statt, wie nur in Einkaufszentren eingekauft wird, und wir alle müssen permanent Wert erzeugen aus dem Kapital geschlagen werden kann, sogar ohne dass wir es merken. „Denk darüber nach, was die Menschen heute auf Facebook machen“, begeisterte sich der Vorsitzende Mark Zuckerberg, „sie halten Kontakt mit ihren Freunden und Familien, aber sie arbeiten genauso an einem Image und einer Identität für sich selbst, was auf gewisse Art ihre Marke ist. Sie treten mit der Audienz in Verbindung, mit der sie sich verbinden wollen. […] Es ist jetzt schon fast ein Nachteil, wenn du kein Profil hast.“

Die Autoren von ‚The Smartphone Society‘ kommen zu dem selben Schluss, allerdings ohne den Enthusiasmus. „Wenn wir unsere Handys benutzen, um Freunden und Liebhabern zu schreiben, um Kommentare auf Facebook zu posten oder um durch unsere Twitter-Feeds zu scrollen, sind wir nicht am arbeiten – wir relaxen, haben Spaß und erschaffen etwas. Trotzdem produzieren wir im Endeffekt kollektiv etwas einzigartiges und wertvolles: unser Selbst. […] Die Leute werden nicht bezahlt für das Erschaffen und Erhalten ihres digitalen Selbst – sie werden durch die Befriedigung, an Ritualen teilzunehmen, entlohnt, und durch die Kontrolle, die sie dadurch über ihre sozialen Interaktionen haben. Sie werden mit dem Gefühl bezahlt, in der riesigen virtuellen Konnektivität zu schwimmen, zur selben Zeit wie ihre Handmaschinen [der chinesische Begriff für Smartphone] ihre sozialen Bindungen vermitteln und den Menschen dabei helfen, sich ihr Zusammensein einzubilden, während sie als eigenständige Produktionseinheiten voneinander getrennt gehalten werden. Der freiwillige Charakter dieser Rituale macht sie nicht weniger wichtig oder profitabel für das Kapital.“ Das bedeutet eine tiefgreifende Umgestaltung des Produktionssystems, in dem wir gefangen sind. Alex Gorrion zufolge „wird heute von all den trostlosen Seelen, die ein Gefängnis bewohnen müssen, mentale Hingabe und Kreativität verlangt, unabhängig von dem Level ihrer relativen Privilegien.

Der Vorläufer dieser Dynamik, die sich jetzt mit einer höheren Intensität wiederholt, ist das patriarchale System der Bestechung, dass es jedem beliebigem Mann, ob Proletarier oder Bauer, ermöglichte einen Tyrannen zu spielen und eine kleine Dose der Droge zu probieren, die das Elend genießbar machte. […] Während der Kapitalismus immer schon auf unbezahlte Arbeit angewiesen war, wurde diese bis jetzt durch das Patriarchat oder den Kolonialismus ermöglicht. Im Wikipedia-Zeitalter ist der freiwillige Charakter von unbezahlter Produktion extrem verschieden.“

Aber obwohl Google auch ein eigenes Kampfjet besitzt, muss die Macht, die von diesen modernen Konquisitadoren und Eroberern eingesetzt wird, nicht immer so indiskret sein. Durch Befriedung und Disziplinierung sind sie soweit gekommen und setzen die früheren Anläufe fort, die diese Prinzipien schon immer versucht haben der Gesellschaft einzuritzen, um Geld und Macht anzuhäufen. Wir pflichten jenen bei, die in ‚Deserting the Digital Utopia‘ geschrieben haben, dass „die neuen Unternehmen wie Google den fordistischen Kompromiss aktualisieren und zwar durch unbezahlte Arbeit und kostenlose Verteilung. Ford hat seinen Arbeitern eine größere Teilnahme am Kapitalismus durch den Massenkonsum ermöglicht. Google bietet alles kostenlos an, indem es alles zu einem unbezahlten Job macht. Durch das Anbieten von Krediten hat es Ford den Arbeitern ermöglicht Konsumenten zu werden, indem sie sowohl ihre zukünftige als auch ihre gegenwärtige Arbeitskraft verkaufen; Google hat die Unterscheidung zwischen Produktion, Konsum und Überwachung aufgehoben und es somit möglich gemacht, aus denjenigen Gewinn zu schlagen, die vielleicht niemals etwas zum Ausgeben haben werden.“ Aber verglichen mit vergangenen Anläufen Dinge zu kapitalisieren, wie der Mechanisierung industrieller Arbeit, der Verbannung von sozialer Reproduktion in eine private und ‚feminisierte‘ Sphäre oder der Besetzung und Ausbeutung von fremden Territorien, ist der technologische Angriff bisher auf relativ wenig expliziten Widerstand gestoßen. Im Gegenteil, viele zelebrieren die Online-Welt, welche sie zugleich mit kreieren und bewohnen, als befreiend, auch wenn es zunehmend unfreiwillige Züge annimmt, wenn wir gezwungen sind auf digitaler Ebene für Arbeit, Bildung und das soziale Leben zu funktionieren. Hier werden wir ebenso beides, Produzenten und Konsumenten, zugleich Teilnehmende und Gefangene.

Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts“ heißt es in einer Passage von ‚The Internet as New Enclosure‘, „funktionierten die Massenmedien im wesentlichen nur als Einbahnstraße, Informationen liefen in die eine und die Aufmerksamkeit in die andere Richtung. Die Kritiken fokussierten sich im generellen auf diesen Aspekt ihrer Struktur und prangerten an, dass sie einer Clique einen enormen Einfluss auf die Gesellschaft verschafften und alle anderen als reine Zuschauer ruhig stellten. Im Gegensatz verfochten die Untergrundmedien partizipativere und dezentralisiertere Formen. Mit der Ankunft von breit zugänglichen digitalen Medien wurden Partizipation und Dezentralisation Mainstream. In vielerlei Hinsicht eröffnete das Internet ein befreiendes und bestärkendes Terrain für neue Kommunikationsformen. Da das zugrunde liegende Modell von Forschern entwickelt wurde, die vom Militär und nicht vom privaten Sektor finanziert wurden, war es darauf ausgelegt nützlich und nicht profitabel zu sein. […]

Die Netzwerke die Facebook anbietet, sind nicht neu; was neu ist, ist dass sie uns als etwas externes vorkommen. Wir hatten schon immer soziale Netzwerke, aber niemand konnte diese benutzen um Werbung zu verkaufen – noch waren sie so einfach zu kartographieren. Jetzt erscheinen sie wieder, aber als etwas, das wir konsultieren müssen. Menschen haben mit alten Freunden geschrieben, sich Fähigkeiten beigebracht und von öffentlichen Veranstaltungen gehört, lange bevor es E-Mails, Google und Twitter gab. Natürlich sind diese Technologien in einer Welt, in der wenige von uns eine enge Bindung mit ihren Nachbarn haben, oder mehr als ein paar Jahre an einem Ort verbringen, extrem hilfreich. Die Formen, die Technologie annimmt, und unser tägliches Leben beeinflussen einander und machen es zunehmend undenkbar diese voneinander loszulösen.

[…] Da unser Bedürfnis nach und Zugang zu Informationen weit über das Maß hinausgeht, in dem wir Informationen aufnehmen können, erscheinen diese als etwas von uns getrenntes. Das hat verdächtige Gemeinsamkeiten mit der erzwungenen Trennung von den Produkten ihrer Arbeit, die Arbeiter in Konsumenten verwandelt hat. Die Informationen im Internet sind nicht komplett kostenlos – Computer und Internetzugänge kosten Geld, nicht zu reden von den Strom- und Umweltkosten die bei der Produktion und dem Betreiben von Servern auf der ganzen Welt anfallen.

Und was, wenn Unternehmen herausfinden, wie sie mehr Geld für den Zugang zu all diesen Technologien verlangen können, sobald wir komplett abhängig von ihnen geworden sind? Falls das passiert, sind nicht mehr länger nur Macht und Wissen, sondern auch die Fähigkeit soziale Bindungen aufrechtzuerhalten, direkt abhängig von Wohlstand.

Aber das könnte die falsche Sache sein, auf die man achten sollte. Denalten Firmen-Konglomeraten wird es im Endeffekt vielleicht nicht möglich sein, Macht in diesem neuen Terrain anzuhäufen. Die Art wie der Kapitalismus unsere Leben durch digitale Technologien kolonisiert, gleicht möglicherweise nicht den alten Formen der Kolonialisierung.

Wie jedes Pyramidensystem muss der Kapitalismus durchgehend expandieren und neue Ressourcen und Subjekte verschlucken. Er erstreckt sich bereits über den gesamten Planeten; die letzte Schlacht der Kolonialisierung wird am Fuß des Himalayas ausgetragen, dem äußersten Ende der Welt. Theoretisch sollte er nun, da es keine weiteren Horizonte zu erobern gibt, kurz davor stehen zu kollabieren. Aber was, wenn er es schaffen könnte in uns hinein zu expandieren, und diese neuen Technologien, gleich der Niña, Pinta und Santa María [ed. – Schiffe, die von Christopher Colombus auf seiner ersten Reisen nach Amerika benutzt wurden], gerade an den Kontinenten unserer eigenen mentalen Abläufen und sozialen Bindungen anlegen? In dieser Hinsicht fungiert das Internet als eine weitere aufeinanderfolgende Ebene der Entfremdung, die auf der materiellen Ökonomie aufbaut. Wenn ein großer Teil der Dienste im Internet kostenlos ist, liegt das nicht nur daran, dass der Prozess der Kolonialisierung noch nicht abgeschlossen ist, sondern auch daran, dass die bestimmende Währung im Internet nicht Dollars oder Euros sind, sondern Aufmerksamkeit.[22]

Obwohl sie herausgefunden haben, wie sie der dynamischste Sektor des Kapitals bleiben und weiter von Unternehmen außerhalb von ihnen profitieren können, haben die Tech-Unternehmen nichtsdestotrotz ihre Probleme. Das Silicon Valley und ähnliche müssen durchgehend die Crème de la Crème des internationalen intellektuellen Kapitals abernten (Programmierer, Wissenschaftler, etc.) und es wird zunehmend schwer in dem Sektor seinen Lebensunterhalt zu bestreiten ohne diese Firmen zu bereichern. Unabhängige Entwickler mögen beispielsweise über YouTube eine große Audienz erreichen, generieren dementsprechend aberzuerst Einnahmen für den Eigentümer Google und nicht für sichselbst und das mit der Aussicht, Verkaufszahlen von einigen Tausend erreichen zu müssen, um die Kosten für die teure Designsoftware wieder hereinzuholen: oder kostenlose bzw. billige Versionen zu benutzen, welche im Gegenzug die persönlichen Informationen nicht schützen und einen selbst ausspionieren.

In dem Narrativ der Dokumentation ‚Metropolis‘ aus dem Jahr 2012 setzen die Macher den „Madenmann“, eine Figur aus der Arbeit des Philosoph Friedrich Nietzsche, neu ein, um die neue Avantgarde der kapitalistischen Klasse zu beschreiben. „Der Madenmann ist das endgültige menschliche Wesen, er braucht den letzten Rest Menschlichkeit auf, der dem Tod überlassen wurde. Die Madenmänner sind die rekuperativen Waffen des virtuellen Kapitals auf der Suche nach Nahrung, die auf Widerstand treffen, diesen integrieren, sich aneignen und überwältigen und zum Schluss die digital-nomadischen Proletarier erobern.

Obwohl zur Mittelmäßigkeit verdammt, sieht er sich als die Krönung der menschlichen Geschichte. Der Madenmann wandelt lebendige Energie und Arbeit in elektronische Nachbauten von Häuten toter Kulturen um und kriecht in sie hinein. Der Madenmann setzt alle kulturellen Hebel in Bewegung. Im Geiste des digitalen Kapitalismus stellt der Madenmann die Maschinerie von toter Arbeit und virtuellem Wert da. Er ist der kreative Führer des virtuellen Kapitals, er ernährt sich von totem Fleisch und ist der letzte Eindruck der menschlichen Sinne vor ihrer Verwandlung in einen Cyborg. Der Madenmann, seiner selbst überdrüssig, braucht die Technologie. In seiner Zukunft spaltet sich die Technologie von der menschlichen Spezies ab. Das menschliche Tier bricht auf in die vernetzte Intelligenz der digitalen Technologien.“

Falls diese Vision sich weit hergeholt anhört, ist sie doch nur ein blasser Schatten der Rhetorik der überhitzten Köpfe der Futuristen, mit welchen diese Unternehmen bis oben hin vollgestopft sind. Ihre technokratischen Ideologien nehmen jetzt schon in den vollautomatisierten Fabriken Gestalt an, die, komplett robotisiert, fast komplett ohne menschliches Zutun funktionieren, während jene, die nicht wegrationalisiert wurden und an die wirtschaftlichen Ränder gedrängt wurden, vor der Perspektive des praktisch lebenslangen Lernens stehen, um mit der Evolution der Maschinen mitzuhalten. Es gibt eine bestimmte Grenze, bis zu der solch ein Vorhaben des menschlichen Updatens reicht. In dem Maße wie Menschen unzuverlässiger werden – wie weiter oben in diesem Text beschrieben – und kombiniert mit dem technologischem Fetisch unserer Kultur, wird maschinelle Kontrolle von den Bossen zunehmend als vernünftiger gerechtfertigt werden – als ob sie irgendeine Entschuldigung dafür brauchen würden, Arbeiter zu beschäftigen, die sie nicht bezahlen müssen.

Die großen Tech-Unternehmen scheinen bemüht, nicht mehr nur loyale Handlanger der Regierungen zu spielen, sondern in einigen Fällen aktiv an dem elenden politischem Prozess selbst teilzunehmen (neben dem Lobbyismus). Offensichtlich waren Kapitalisten schon immer, seitdem Kapitalismus und Demokratie existieren, Schlüsselfiguren in diesem Gebiet, aber auf gewisse Weisen ist es heute unverhohlener. Als der Kopf der kanadischen Grünen Partei gezielt nicht zur TV-Debatte geladen wurde, hat Twitter bekanntgegeben, dass es parallel Antwortvideos auf die Fragen derhen und posten würde, in dem Wissen, dass solche Plattformen bereits zentrale Orte politischer Diskussionen sind. Aber schon seit langer Zeit geben die großen Spieler der Industrie, zusammen mit den langjährigen Anhängern der kapitalistischen Eliten, weniger direkte, subtilere Impulse für globale Angelegenheiten: zum Beispiel in Gestalt der Menschenliebe. Ein gutes Beispiel hierfür wäre Bill Gates, bis vor kurzem der CEO von Microsoft.

Die Bill und Melinda Gates Stiftung verteilt auf der ganzen Welt große Summen an Geld, fördert und unterstützt selektiv das Wachstum von aufkommenden Technologien und kulturellen Trends und finanziert mehrere Methoden der Bevölkerungskontrolle. Die Stiftung treibt nicht nur die Benutzung und Eingliederung von Microsoft-Computern in der dritten Welt voran; sie versucht auch die Kontrolle über die weltweite Lebensmittelversorgung zu erlangen, indem sie Länder dazu zwingt, den Goldenen Reis von Monsanto anzubauen, eine genetisch modifizierte Reissorte, die unter Copyright und strenger Kontrolle steht. […] 2012 traf sich eine Gruppe von Microsoft-Chefs um zu diskutieren wie Shakespeares Der Sturm ihnen helfen könnte, bessere Entscheidungen zu treffen. Die Chefs wurden mit den auf der Insel ankommenden Kolonisatoren gleichgesetzt. Jegliche Probleme auf die diese Chefs stoßen könnten, wurden gleichgesetzt mit dem dunkelhäutigen einheimischen Caliban und seiner Mutter Sycorax, der Hexe.“ (– Metropolis)

Hi-Tech Himmel, Hi-Tech Hölle

„Für den Fall nicht unfallbedingter Verletzungen (einschließlich Selbstmord, Selbstverstümmlung, etc.) stimme ich zu, dass das Unternehmen ordnungsgemäß in Übereinstimmung mit den relevanten Gesetzen und Regulierungen gehandelt hat und werde das Unternehmen nicht verklagen, übermäßige Anprüche stellen, drastische Maßnahmen ergreifen, die den Ruf des Unternehmens schädigen würden, oder Störungen verursachen, welche den normalen Betrieb beeinträchtigen.“

– verpflichtende Klausel für Angestellte des FoxConn Montagewerks in China

So sehr wir uns auch von seinen Verlockungen einwickeln lassen, unser Erbe ist eine vom Digitalen entstellte Welt, und zwar mehr als auf einer individuellen Ebene. So wie diese Technologien unseren Verstand und unsere sozialen Interaktionen formen und kolonisieren, so müssen auch sie und ihre industrielle Grundlage – Elektrizität, Land und Arbeitskraft – sich ausbreiten. Diese Technologien entstehen nicht aus dem Nichts, vielmehr sind sie untrennbar von dem Rest des weltweiten technologisch-industriellen Systems, das sie hervorgebracht hat. Sie benötigen die gigantischen Elektrizitätsflüsse, welche über zerstörerische Stromtrassen geleitet werden, die Funkübertragung von Routern und Mobilfunkmasten, die nicht nur uns selbst, sondern auch die uns umgebenden Spezien vergiften, und die flüchtige Körperlichkeit der ‚Cloud‘ und ähnlichem, welche in den riesigen Serverfarmen Form annimmt, wie z.B. den enormen Flächen voller klimatisierter Hallen, die die Hochwüste Oregons industrialisieren und welche nunmehr kein Rückzuggebiet vor dem Müll der Zivilisation ist. Hinter dem polierten, sterilen Äußeren der seidig glänzenden Geräte, die die Rucksäcke der Konsumenten im globalen Norden (und zunehmend nicht nur dort) füllen, lungern der Tod und das Elend, das sie hauptsächlich im globalen Süden anrichten.

Wie wir von Gianluca Iacovacci erinnert werden, „wird das technologische Wettrennen von Hi-Tech Unternehmen wie Amazon, Apple, Samsung, Sony etc. finanziert, welche den Markt skrupellos mit Computern und Geräten versorgen – alles nutzlose Idiotie erzeugendes Zeug, gut für Statistiken und die Kontrolle von Massen – und verantwortlich für die verschmutzende Gewinnung von Mineralien für die Fertigung von Schaltkreisen. Eben diese Schaltkreise, die zu einem späteren Punkt und in einem absurden Konsumkreislauf mit bloßen Händen und der Hilfe von Säuren in China, Ghana, Vietnam und Indien wieder zerlegt werden; sogar von Kindern, deren kleine Hände für diesen Zweck besonders geeignet sind.“

Schlüsselkomponenten für die Produktion moderner Elektronik sind neben hochgiftigen synthetischen Chemikalien eine Vielzahl von Schwermetallen und als “seltene Erden” bezeichnete Mineralien. Coltan ist ein klassisches Beispiel der Letzteren, welches essenziell für die Steuerung von Stromflüssen in elektronischen Geräten ist. Staatliche und nicht-staatliche Akteure haben in ihrer Konkurrenz, um Territorien für ihre, von Zwangsarbeitern betriebenen Mienen zur Gewinnung dieser hitzebeständigen Mineralerze in Zentralafrika durch Krieg und Entwaldung gefährdete Spezien ausgerottet und buchstäblich Millionen Menschenleben gefordert. China versorgt den Weltmarkt mit der überwältigenden Mehrheit der “seltenen Erden” für Telefone, Hybridautos, Windräder, etc. Ein beträchtlicher Teil der chinesischen Arbeiter für den Abbau [der Metalle], der oft Krebs und anderen ernsthafte Probleme verursacht, kommt aus dem besetzten Gebiet Tibet, wo das chinesische Militär gewaltsam Gemeinschaften zerstört und in solche Arbeitslager schickt. Bis zum Jahr 2014 ist ein Fünftel der tibetischen Bevölkerung (1,2 Millionen, Tendenz steigend) in solchen Mienen gestorben.

Das ausgedehnte industrielle Gebiet Bautous, ein trostloses Gebiet endloser Schornsteine, Raffinerien und Müllgruben in der inneren Mongolei, betrachtend, bemerkte ein BBC Journalist: „Es ist die Art industrieller Landschaft, die Amerika und Europa größtenteils vergessen haben – Teile Detroits oder Scheffields müssen einmal so ausgesehen und gerochen haben. […] Die verblüffende Tatsache an Neodym und Cerium ist, dass sie zwar seltene Erden genannt werden, tatsächlich aber recht häufig vorkommen. Neodym ist nicht seltener als Kupfer oder Nickel und ist ziemlich gleichmäßig in der Erdkruste verteilt. Während China 90% des Neodyms für den Weltmarkt produziert, verfügt es nur über 30% der weltweiten Vorkommen. Was es [Neodym] und Cerium wohl knapp genug macht um profitabel zu sein, sind die immens zerstörerischen und giftigen Prozesse um sie aus dem Erz zu herauszulösen und in nutzbare Produkte zu raffinieren. Cerium wird beispielsweise gewonnen, indem eine Mischung von Mineralien gemahlen und in Schwefel- und Salpetersäure aufgelöst wird, was auf gigantischem industriellem Maßstab stattfinden muss und eine immense Menge an Giftmüll als Nebenprodukt zur Folge hat. Man könnte argumentieren, dass Chinas Dominanz des Marktes seltener Erden weniger geologisch bedingt ist, als vielmehr durch seine Bereitschaft, Umweltschäden in Kauf zu nehmen, vor denen andere Länder zurückschrecken.“

In einer wettbewerbsorientierten, unersättlichen kapitalistischen Ökonomie sind jedoch verschiedene Quellen nötig und folglich sterben auch in den Coltan-Mienen südlich von Inirida in Kolumbien in Scharen einheimischer Piaroa Arbeiter, während das Schürfen nach seltenen Erden in einer Miene fast am westlichsten Punkt Europas, nahe Vigo an der nordatlantischen Küste der Iberischen Halbinsel, begonnen hat.

Apples Lieferkette verbindet Kolonien von Softwareentwicklern mit hunderten Einzelteilzulieferern in Nordamerika, Europa und Ostasien – Gorilla Glass aus Kentucky, Bewegungs-Prozessoren aus den Niederlanden, Kamerachips aus Taiwan und Sendemodule aus Costa Rica fließen in dutzende Montagewerke in China. […] Apple Insider bezeichnen Fox-Conns Montagestadt in Shenzen als Mordor – das Höllenloch von J.R.R. Tolkiens Mittel Erde in ‚Herr der Ringe‘. Wie eine Welle von Selbstmorden von 2010 tragisch aufdeckte, ist der Spitzname nur eine leichte Übertreibung der Zustände in den Fabriken, in denen junge chinesische Arbeiter iPhones zusammensetzen.“ (- The Smartphone Society). Dieser spezifische industrielle Alptraum ist allein dem Mobiltelefon zu verdanken; vor 30 Jahren war dieses städtische Moloch mit 12 Millionen Einwohnern ein von Reisfeldern umgebenes Fischerdorf. Als das erste iPhone herauskam, so hieß es, war Apple Chef Steve Jobs so verärgert darüber, dass der Bildschirm leichter verkratzte, als er es wollte, dass er darauf bestand, dass FoxConn eine neue Bildschirmbeschichtung nutze, die die Arbeiter erblinden ließ. 2012 kletterten mehr als 300 Arbeiter in einer FoxConn Fabrik für X-Box Spielkonsolen von Microsoft auf das Dach und drohten Massen-Selbstmord zu begehen. Unter dem Druck Apples Image zu bessern, kümmerte sich FoxConn um eine Serie von Selbstmorden am Arbeitsplatz – indem große Netze vor die Fabrikgebäude gehängt wurden, um Springende aufzufangen.

Die generellere Enteignung und Verdummung wird jedoch nicht dadurch angegangen, einfach nur diese spektakulären (und zunehmend bekannten) Beispiele zu fetischisieren. Besonders wenn diese innerhalb der Grenzen einer Nation stattfinden, die im Westen für eine Arbeits- und Umweltpolitik schlecht gemacht wird, die auf viele Weisen ein Versuch ist, die Jahrhunderte lange Verschmutzung und Proletarisierung, die die Industrialisierung in Europa hervorbrachte, in weniger als ein Jahrhundert zu quetschen, um aufzuholen. Wir könnten der Darstellung des Microsoft Hauptsitzes östlich Seattles von den Erzähler der Dokumentation ‚Metropolis‘ betrachten: „Die Microsoft-Stadt ist eine Wüste. Der Firmensitz erstreckt sich mit 150 Campusgebäuden über ein Drittel der geographischen Fläche der Gemeinde Redmond […] . Die Angestellten haben Zugang zu einem eigenen Einkaufszentrum und wandern jeden Tag durch die Parkplätze, Restaurants, Büros und Ablenkungen die ihr Arbeitgeber bereitstellt. Sie werden in jedem Moment des Tages beobachtet und sind mit Werbung für die Waren umgeben, die sie helfen zu kreieren. Dies ist die Armee, die, alles Leben in Schaltkreise, Metall und Glas […] verwandelnd, die Welt digitalisiert. Redmond Campus ist ein Bienenstock, eine Apparatur psychischer Repression, die ihre oft depressiven Angestellten in einer langen Narkose hält, welche ihre Fähigkeit, die Grenzen der natürlichen Welt zu verstehen, zerstört und sie ihrer Kreativität und psychischer Energie ausgesaugt und entleert zurück lässt. Alles, was sie schaffen, wird aus etwas anderem erschaffen. Im Gegenzug für ihre Dienste werden sie mit einem entfremdenden, inselartigen Leben belohnt, in dem Arbeit alles ist und alles Arbeit ist. Ihre individuellen Anstrengungen tragen alle zu einheitlichen Produkten bei und die Dinge, die sie kreieren, haben sie wiederum selbst verdinglicht. Zusammen ergeben sie die Schwarmintelligenz.

Zusammen streben sie danach, die reinste Form von Information zu schaffen; die digitale Cloud, getrennt von allen Beschränkungen durch welche die natürliche Welt in die digitale eingebunden ist.“ In vielerlei Hinsicht sind diese Labyrinthe der Hi-Tech Giganten die neuen Firmen-Städte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts: Büroangestellten mögen farbenfrohe Umgebungen, vegane Essensmöglichkeiten, kostenlose Waschmaschinen oder Eismaschinen auf dem Gelände angeboten werden, aber nur um die Tatsache zu verwischen, immer noch nur so und so viele Pfund Bürofutter für die Chefs zu sein. In bestimmten Städten rund um die Welt beschränken sich die Unternehmen des Technologiesektor nicht auf ihre firmeneigenen Gelände. Vielmehr sickern sie heraus, um alles was ihnen nutzt, um sich weiter zu befeuern, auszuschlachten und umzugestalten. Ein wirklich klassisches Beispiel dafür ist das Gebiet um San Francisco an der Westküste der USA. „IronischerWeise“ bemerken die Autoren von ‚Precarity in Paradise‘, „war es wahrscheinlich San Franciscos Status als rohes und draufgängerisches Paradies für Straßenkultur, der es interessant für die Yuppies des Silicon Valley machte. Im Lauf von Jahrzehnten wurde Gegenkultur in kulturelles Kapital umgewandelt und die Stadt wurde ein Spielplatz für die Angestellten von Google, Facebook, Twitter und anderen IT-Firmen.

Dieser Spielplatz ist jedoch nicht die typische Dienstleistungs-Zone, entworfen um die Gehälter eines benachbarten großen Arbeitgebers abzuschöpfen, wie beispielsweise die Bars und Strip-Clubs, die stets an Armee-Stützpunkte grenzen. Das vielleicht wesentlichste Element dieser neuen Wirtschaft ist, dass der Spielplatz zuerst und vor allem ein produktives Modell ist. Würde irgendjemand wirklich denken, der Technologiesektor würde, so intelligent und skrupellos wie er ist, seine Angestellten jemals aufhören lassen zu arbeiten? Weit gefehlt: die Tage des arbeitsfreien Feierabends und nach Hause Gehens sind vorbei.

So wie Mobiltelefone die Produktivität der Arbeiter verachtenswert steigern, indem sie uns alle zwingen, ununterbrochen auf Abruf zu sein, werden IT-Angestellte zunehmend in kulturell anregenden Nachbarschaften konzentriert, wo sie Kontakte zu anderen Yuppies knüpfen, ihre Geräte präsentieren und über immer weitere Anwendungen der neuesten Technologien brainstormen können. Offiziell arbeiten sie nicht durchgehend, aber sie sollen ihre Arbeit mit nach Hause nehmen. Die Spielwiesen, auf denen sie herumtollen, müssen also das infrastrukturelle Gerüst besitzen, um den neusten Apps, die heutzutage einen großen Teil der wirtschaftlichen Produktion ausmachen, zu genügen; ebenso braucht es die sozialen und kulturellen Verlockungen, die solche Apps, für ihre Erfinder ebenso wie für ihre Konsumenten, spannend machen. Diese können beispielsweise Dating-Apps, oder Apps zum Finden hipper Restaurants und Clubs und um Leute mit geteilten Hobbys zu verbinden, sein. Eine Stadt, die nicht eine Vielzahl von Hobbys ermöglicht, die keine gute Infrastruktur und keine erstklassige Küche und Nachtleben vorzuweisen hat, wird nicht in der Lage sein, die für das Wachstum im Technologiesektor nötigen, hellsten jungen Köpfe anzuziehen, noch wird sie sie inspirieren, Tag und Nacht durchgehend produktiv zu sein. Ebenso wie Arbeit und Freizeit verschmelzen, werden kulturelle, materielle und intellektuelle Produktion ununterscheidbar.”

Vielleicht gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Städten, die diesen Anforderungen schlussendlich wirklich gerecht werden, aber viele setzen sicherlich darauf, eine davon zu werden. Im Allgemeinen wird unsere Umwelt, während die Anwendungen digitaler Netzwerke den öffentlichen und privaten Raum durchdringen, von Programmierern und Ingenieuren mit mal mehr, mal weniger subtilen Linien der Einbeziehung und Ausschließung, neu gestaltet. Als unter anderem durch Googles eigene Buslinien, die im Gebiet um San Francisco Googles Angestellte von den Wohngebieten auf den Campus und zurück fahren, die Vermieter entlang dieser Routen beschlossen, die Mieten um 20% zu erhöhen und Räumungsbescheide ausstellten, blockierten Anti-Räumungs-Aktivisten einige dieser Busse.

Die Einstellung auf die man traf, so erzählte es ein Autor auf dem Blog ‚Mismanaging Perception‘, waren im Bezug auf die benannte Haltung, von der die Unternehmen leben, bezeichnend: „Den Slogan von New York Citys früherem Bürgermeister Ed Koch wiedergebend, rief ein Google-Angestellter aus einem blockierten Bus ‘Wenn ihr es euch nicht leisten könnt hier zu leben, dann zieht um!’, ‘Das ist eine Stadt für die richtigen Leute, die es sich leisten können’. Von Portland bis Miami tauchen immer wieder die gleichen Muster auf. Arbeitsplätze werden in Firmen-Campusen zentriert, während sich die höherbezahlten Angestellten in den Innenstädten niederlassen und die Städte in der Lage sind, ihre Dominanz über die Peripherie wiederherzustellen. Googles Kontrolle über große Teile der Informationsflüsse, die die Peripherie mit dem Zentrum verbinden, zeigt die koloniale Qualität der Massenmedien in der Zeit der Hyper-Moderne. […] Sind nicht die Google Glasses[23] genau die Demonstration der Krise der Verständlichkeit von städtischem Raum? Hier können zwei Klassen, eine arme und eine reiche in der selben Stadt nebeneinander bestehen, während sie im Wortsinne auf zwei gänzlich verschiedenen Ebenen von Verständnis leben. Für die reiche besteht die Stadt aus Daten und Informationen, die elitäre Zugangsmöglichkeiten verschaffen können, während die untere Klasse, die außerhalb der Stadt lebt und in der Dienstleistungsbranche arbeitet, eine Stadt reproduziert, die sie selbst keine Chance hat zu erleben und die Rolle von Automaten übernimmt.”[24]

Ohne auf das falsche Gerede von “öffentlich” versus “privat”, das von zu vielen Anti-Gentrifizierungs-Bestrebungen[25] aufgeworfen wurde, zurückzukommen, widmet sich der Text “Precarity in Paradise” der spezifischen Nische, welche die katalanische Stadt Barcelona in dieser Einteilung gefunden hat, und was das für ihre Bewohner bedeutet: „Mit wachsendem Erfolg vermarktet sich Barcelona, andere Großstädte eher ergänzend als ersetzend, als idealer Ort für Arbeit und Spaß. Handelsmessen fördern Vernetzung unter den weltweiten Delegierten einer gewissen Industrie, indem sie ihnen ermöglichen ihre Produkte zu präsentieren und neue Kontakte zu knüpfen. Aber sie sollen auch Spaß machen. Niemand will eine Messe in Des Moines besuchen.

Barcelona ist nicht nur eine Stadt mit Eleganz, sondern auch ein Ort der Innovation in IT und anderen Industrien. Barcelona ist weltweit die Stadt, die die meisten Konferenzteilnehmer beherbergt (tatsächlich sind 40% der übernachtenden Besucher für eine internationale Veranstaltung in der Stadt) und auf dem dritten Platz bezogen auf die Zahl der internationalen Konferenzen. Seine wichtigste Messe ist der Mobile World Congress (MWC), die größte Handy- und App-Messe der Welt. Der Kongress ist eine Quelle von Unmut und war in den vergangenen Jahren Ziel von Protesten oder wurde gar teilweise durch Krawalle unterbrochen. Obgleich sich viele Menschen auf die wirtschaftliche Aktivität im Zusammenhang mit dem MWC verlassen, sind die erzeugten Arbeitsplätze temporär und stressig, und die tausenden teilnehmenden Delegierten besetzen die Stadt mit einer extremen Selbstverständlichkeit. Wie jedes Großevent bringt der Kongress schwerwiegende Polizeipräsenz und extreme Sicherheitsmaßnahmen für die angrenzenden Nachbarschaften und seine eigene Belegschaft mit sich. Dieses Jahr [ed. – 2015] verweigerte die Polizei mindestens einem Dutzend Leute, die bereist für die Messe angestellt wurden, dort zu arbeiten. Hauptsächlich Anarchisten, viele von ihnen ohne Vorstrafen und keiner von ihnen war für etwas verhaftet worden, das ein legitimes Sicherheitsbedenken für Zeitarbeiter dargestellt hätte. Nichtsdestotrotz hat die katalanische Polizei die Sicherheitsverantwortung über die Fira, dem großen Komplex, der die wichtigsten Messen in Barcelona beherbergt, und sie behalten sich vor, nach ihrem Belieben Bedingungen aufzuerlegen.

Um eine Messe zu beherbergen, benötigt eine Stadt in großem Umfang verfügbare, prekäre Arbeitskraft. Der Mobile World Congress beschäftigt jedes Jahr über 12.000 Menschen, die meisten davon nur für eine gute Woche, oft 14 Stunden am Tag. Die einzigen Leute, die unter solchen Bedingungen arbeiten würden, sind solche, die von Monat zu Monat leben, keine feste Anstellung haben und nehmen müssen, was auch immer für Jobs sie bekommen können. Mit einer Jugendarbeitslosigkeit von um die 50% hat Barcelona diese Masse an freien Arbeitskräften.”

Während dies als spezifischer Fall dient, in dem die Interessen der Tech-Industrie wachsenden Einfluss auf die Zusammensetzung bestimmter Zentren des Kapitals haben, ist die Reichweite der Erzeugnisse dieser Industrie noch viel größer. Von der Architektur über die Anordnung von Versorgungsinfrastruktur, neuen Informations- und Energieversorgungsadern, Verkehrslenkung und Polizei- oder Kontrolltechniken, der digitale Sektor schlägt seine diversen “Lösungen” für die in den städtischen Monstrositäten der Welt erschaffenen, bevorstehenden Krisen vor: die Smart City[26], die Alptraum-Fantasie in deren Richtung Staat und Kapital Hand in Hand gehen. In diesem Licht nimmt die zunehmende Abnahme subversiver oder widerständischer Aktivitäten in physischen und öffentlichen Räumen seitens Radikaler, die stattdessen online stattfindende Formen der Auseinandersetzung bevorzugen, eine neue Bedenklichkeit an.

Die Herausforderung scheint die Wiederverkörperung der Kraft des willentlichen Aufstands zu sein, die droht immer flüchtiger zu werden, während zeitgleich die Plätze unseres tatsächlichen Lebens gentrifiziert, gesichert, weiter zubetoniert und digitalisiert werden. Wie jedoch sich diesem Vordringen mehr als nur im Diskurs widersetzen? Was ist die Ausgangslage und was ist das Terrain auf dem wir heute stehen?

Steine schmeißen auf den Google Bus

Heute wird jemand aufwachen und wie jeden anderen Morgen, vor allem Anderen, seinen Facebook-Account oder irgendwelche anderen virtuellen Medien checken, die entwickelt sind, um unsere Formen der Interaktion in bloße Algorithmen für die fortlaufende Versorgung ihrer kapitalistischen Maschinerie umzuwandeln. Der Großteil der Industrie ist heutzutage im Grunde finanzieller Natur und die Entwicklung von Technologien ist wieder ein weiteres Werkzeug dieses großen Monsters, um umfassendere Herrschaft zu erzeugen. Heute werden ihre Telefone, Fernseher und ihr Internet keinen Ton von sich geben. Dieser Morgen wird über mehrere Tage ausgedehnt werden, in denen die Unternehmen versuchen werden, zu reparieren, was durch diesen Akt der Sabotage erstört wurde.“

– Bekennerschreiben für die Brandstiftung an einem Verteilerkasten der Firma Telmex in Mexico City, 05.04.15

Am 22. Mai 1971 erschütterte eine Serie von Explosionen das Hauptquartier der Staatspolizei im Tintagel Gebäude, das Polizeigebäude der London Metropolitan Police am Ufer der Themse. (Der von der Angry Brigade ausgeführte Bombenangriff war mit zeitgleichen Attacken anderer europäischer anarchistischer Gruppen in Paris gegen ein Büro der British Rail, ein Rolls Royce Showroom und Zulieferer für Landrover koordiniert. Er war, unter anderem, eine Reaktion auf die Festnahme und Anklage zweier Männer in England wegen Angry Brigade Zugehörigkeit und Aktionen). Eine der Explosionen im Tintagel Hause war gegen den Polizeicomputer gerichtet – ein hochmoderner, in Großbritannien konstruierter ICT 1301 Mainframe. In dem Kommuniqué, wo sie die Verantwortung für die Aktion übernehmen, schrieben sie: „Wir kommen näher. Langsam zerstören wir die langen Tentakeln der erdrückenden Staatsmaschinerie… geheime Akten in den Universitäten, Arbeitsstudien in den Fabriken, die Volkszählung zu Hause, Sozialversicherungsakten, Computer, Fernsehen, Girokonten, Reisepässe, Arbeitserlaubnisse, Versicherungskarten. Bürokratie und Technologie beschleunigten für gewöhnlich unsere Arbeit, und verlangsamten unseren Verstand und unsere Handlungen…“ Angeblich war der Schaden minimal.

Wenn wir uns heutzutage über eines sicher sein können, ist es, dass es nicht mehr zutreffend ist, sich die Zentren digitaler Herrschaft in solchen Einrichtungen vorzustellen. Dennoch ist es lehrreich die Entwicklung einiger Anderer zu sehen, die, vor dem Abgrund der kommenden technologischen Welle stehend, die gleichen Taktiken nutzten. Das Beispiel der antiautoritären Gruppe CLODO (‚Kommite für die Liquidierung und Subversion der Computer‘, oder „clodo” was auf Französisch umgangssprachlich auch obdachlos bedeutet), das wir nutzen werden, entstand aus einem Kontext von Sabotagen durch Feuer oder Explosionen an Unternehmens- oder Staatseigentum im Zusammenhang mit der nuklearer Entwicklung (neben anderen Zielen) in Frankreich in den 1970er und 80er Jahren. Im Lauf der Reihe von Aktionen, die sie über die Jahre für sich beanspruchten, die meisten davon beinhalteten das in Brand setzen oder anderweitige Zerstören von Computerzentren, prangerten sie die von dieser Technologie gebrachte „Domystifizierung“ (Domestizierung und Mystifizierung) an und zeigten „den Missbrauch des Quantitativen und die Reduzierung auf das Binäre“ genau an seinem Ursprung, während sie auch in [manchen] Fällen ihre Angriffsziele mit dem Imperialismus der USA verbanden. Ihre Methoden und ihr Diskurs waren oft spielerisch und informell und bis heute wurden sie nie erwischt.[27]

Interessanterweise behaupteten sie selbst im IT-Bereich zu arbeiten und so „konsequenter Weise gut platziert zu sein, um die derzeitigen und zukünftigen Gefahren der Datenverarbeitung und Telekommunikation zu kennen“.[28] (Wenn sie das tatsächlich waren, so müssen wir sagen, bevorzugen wir ihren Ansatz gegenüber jenem Aufruf des Wkileaks Gründers Julian Assanges, der sagte, Computerprogrammierer sollten ihre Interessen als Klasse verteidigen; analog dazu könnten CLODOs Ziele als das Abschaffen ihrer selbst als Klasse verstanden werden…) In ihrem letzten Kommuniqué plädierte die Gruppe dafür, zukünftige Aktionen speziell auf die bevorstehende, explosionsartige Ausbreitung der Telekommunikation zu richten, Aktionen, die scheinbar weniger spektakulär sein würden (vielleicht hörten sie auch deswegen auf Bekennerschreiben zu verfassen…) als der Brandbombenanschlag auf die Sperry-Univac Computer-Einrichtung für den sie am bekanntesten waren.

In Folge dieser Telekommunikationsexplosion, in welcher Computer-Sachverständnis auf recht hohem Niveau – wenngleich sicherlich nicht generalisiert – zumindest verbreiteter ist, als es früher war, sehen wir, wie das Phänomen des Hackens zunimmt und vielfältiger wird. Sicherlich ist es interessant von Ereignisse wie dem “größten je aufgedeckten Cyberverbrechen” zu hören, in dem zwischen 2013 und 2015 eine Gruppe aus Russland Computerviren nutzte, um Netzwerke von mehr als 100 Finanzinstitutionen zu infizieren und €750 Millionen verschwinden zu lassen, oder der Hack, in welchem alle Dateien von Richtern und der Staatsanwaltschaft von Udine in Italien gekapert und gegen Lösegeld freigegeben wurden. Neben Enteignungen gab es den Fall eines Angriffs (unbekannten Ursprungs) auf ein deutsches Stahlwerk, der es nach dem Hacken des Hauptrechners durch bewirkte Ausfälle schaffte, dem Werk ernsthaften physischen Schaden zuzufügen. Die erhöhte Vernetzung vieler Objekte und Prozesse untereinander scheint diesbezüglich verletzlich zu sein. Im Bezug auf Hacks aus einem explizit radikalen Umfeld werden mittlerweile viele von der Dach-Organisation #Anonymous und ihren Taten gehört haben; einschließlich einer ambitionierten Drohung am Abend bevor die New Yorker Börse zeitweise den Handel von Wertpapieren aufgrund eines „technischen Problems“ aussetzte und United Airlines kurzzeitig alle Flugzeuge wegen eines systemweiten Fehlers am Boden ließ. Manchmal bezieht sich Hacken auf oder ergänzt andere „real-life“ Interventionen, so wie 2012 als das Facebookprofil von Egypt Air verwüstet wurde während Anti-Abschiebungs-Aktivisten in Cardif, Wales, deren Telefonleitung verstopften, Fenster des Büros der U.K. Grenzbehörde einschlugen und versuchten den Bus, der ihren Freund zu seiner Abschiebung bringen sollte, daran zu hindern, die Autobahn zu erreichen. Im Vorjahr ereignete sich eine anarchistische Brandstiftung der oberen Stockwerke des €200 Millionen teuren Rabobank-Wolkenkratzers in Utrecht, Holland (zum dritten Mal innerhalb von neun Monaten, während die Waffen, in welche die Bank investierte, genutzt wurden, um unter anderem Aufstände in Ägypten, Libyen, Algerien, Israel und Griechenland zu unterdrücken) ebenfalls zeitgleich mit einer Cyberattacke auf die Website der Bank.

Von unserem Standpunkt, ohne viel technisches Wissen um die Auswirkung bestimmter elektronischer Störungen abzuschätzen, ist es schwer zu sagen, wie effektiv einige dieser Schläge wohl sein müssen. Die flüchtige Qualität, die Cyber-Attacken mit sich zu bringen scheinen, ist etwas, das die, die ausreichend lange an Computern herumgebastelt haben, um diese zu realisieren, vielleicht weniger spüren; sicherlich ist der Staat darauf aus, die digitalen Banditen, die er zu fassen kriegt, hart zu bestrafen, oder talentierte Hacker abzuwerben, um „white-hat“ („gute“) Agenten für Regierungen und Unternehmen zu werden. Gibt es ein Potenzial für elektronische Saboteure einen Angriff zu starten, der anstrebt kybernetische Regierungsgewalt und die Reproduktion der Computertechnologien selbst zu untergraben und einstürzen zu lassen, statt sich diese Technologien einfach nur für angeblich „befreiende“ Ziele anzueignen, oder gar nur die naive Erzählung vom demokratischen Verbreiten von „Fakten“, welche eine „Tyrannische Ordnung“ den Massen verheimlichen will, fortzuführen? Wir werden diese Frage den für die Beantwortung besser qualifizierten überlassen; jenen mit Geduld, den Mitteln und der Strapazierfähigkeit, sich selbst noch mehr Zeit vor dem Bildschirm auszusetzen, als im alltäglichen Leben schon nötig. Für unseren Teil werden wir uns einem eher physischem Widerstand und dem, was das beinhalten mag, zuwenden.

Nach Fernsehsendungen wie „Black Mirror“, Romanen wie Eggers „The Circle“ und Hollywoodfilmen wie „Transcendence“ zu urteilen, gibt es in dem Zeitgeist der Popkultur definitiv etwas Unterbewusstes über unsere Einsperrung durch digitale Technologie und einen Impuls ihr zu entfliehen. (Jene, jedoch die das außerhalb des Dampf-Ablassens in der Unterhaltungsindustrie zu scharf kritisieren, müssen von den Anschuldigungen der Paranoia oder unverblümten Wahnsinns, welche solche Kritiker in der Vergangenheit stigmatisierten, jedoch erst noch verschont werden.) Dies in Betracht ziehend, könnten Angriffe, von denen man sagen könnte, dass sie hauptsächlich ein symbolisches Element haben (von wiederholten Angriffen auf die griechischen Hauptsitze Microsofts zu genereller Subversion der Techindustrie-Propaganda, sichtbaren Belästigungen von Angestellten und Managern, etc.), möglicherweise heute mehr Resonanz haben als früher, um klarere Linien des Konflikts zwischen dem Digitalen und dem Unmut ihm gegenüber zu ziehen. Gerade diesen Juni [hrsgb. – 2016] wurde in Kalifornien ein Mann verhaftet, nachdem er ein für Googles StreetView fotografierendes Auto, aus Ärger über seine Aufdringlichkeit, mit zwei Molotovcoktails anzündete. (Die Polizei brachte ihn mit zwei Weiteren Taten in Verbindung; Schüsse in Fenster auf dem Fimengelände dieses Unternehmens in Mountainview und Brandstiftung an einem weiteren SteetView Fahrzeug.) „Ein Unternehmen, das den Planet Erde kartographiert, Teams in jede Straße jeder seiner Städte sendet, kann nicht rein kommerzielle Ziele haben“, warnen die Autoren von „Google Degage“. „Man kartiert nie ein Gebiet, das man nicht erwägt sich anzueignen“. Wenn doch nur mehr Menschen diese Vorbereitungen zur Besetzung als solche erkennen würden und dementsprechend reagieren würden! Wie viele ähnliche Projekte könnten entdeckt werden, wie sie sich still in unseren Nachbarschaften ausbreiten, wenn wir nachforschen würden und welche darauf zählen, nicht auf solchen Widerstand zu stoßen?

Es ist leicht zu vergessen, dass das Internet tatsächliche physische Strukturen hat und zwar nicht nur die schwer zugänglichen Knotenpunkte, wie die abgelegenen Server-Farmen, die Kontinente verbindenden Tiefseekabel oder sogar die als Serverhousings bezeichneten Rechenzentren, die meist in urbanen Einrichtungen der Telekommunikationsindustrie untergebracht sind. In einem Bezirk Porto Alegres in Brasilien verschaffte sich im Mai dieses Jahres [hrsgb. – 2016] die Gruppe “Feindseligkeit gegen Herrschaft” („Hostility Against Domination“) unbemerkt gewaltsam Zugang zu den Übertragungsantennen von NetSul – diese dienen dem Staat, der Armee und verschiedenen privaten Firmen ebenso wie einem Glasfasernetzwerk, dem Internet und Fernsehen – und legten ein zerstörerisches Feuer.[29] Auf ähnliche Art und Weise genügte, im Vorlauf der Eröffnung des Hauptsitzes der Europäischen Zentralbank in Deutschland, eine Brandstiftung im Kontrollzentrum einer Hochspannungsleitung nahe Eschborn durch Gegner der Bank und ihrer Welt, um Ausfälle in den Datenzentren Frankfurts zu verursachen.

In einer von superschnellen und ununterbrochenen Datenflüssen abhängenden Weltwirtschaft werden an manchen Stellen für einen Vorteil von buchstäblich Millisekunden neue private Langstrecken-Glasfaserkabel errichtet. Das FBI in Kalifornien untersucht 14 anonyme Angriffe seit Sommer 2014 auf genau dieses digitale Rückgrat. Nach einer solchen Sabotage, als in dem Gebiet um San Francisco, welches das Lawrence Livermore National Laboratory und viele Hightech-Pendler beheimatet, zwei Glasfaserkabel von AT&T (die gesetzlich als kritischer Teil der Internetinfrastruktur des Landes angesehen werden) durchtrennt wurden, konnte man in den Nachrichten lesen, dass „die leistungsstarken Leitungen, die nicht viel dicker sind als ein Bleistift, riesige Mengen an Daten übertragen. Alles, von Telefonanrufen zu Computer-Transaktionen, E-mails und sogar die Übertragungen der Sicherheitskameras, die die Kabel selbst überwachen, fließen als Lichtimpulse durch diese Plastik- oder Glasfasern. Die Kabel sind die Hochgeschwindigkeitsautobahnen des Informationsschnellstraßennetzes. Wer auch immer die Kabel angegriffen hat, öffnete laut FBI für gewöhnlich einen unterirdischen Schacht, klettert hinein und schnitt dann den die Kabel schützenden metallenen Kabelkanal durch, bevor die Kabel selbst durchtrennt wurden.“ (Die Ermittler sagten auch, dass wer auch immer verantwortlich ist, als Telekom-Wartungsarbeiter gekleidet sein könnte, oder “zu diesem Job passende Werkzeuge besitze”.) Zurück auf dieser Seite des Atlantiks könnten wir als Beispiel (neben anderen aus diesem Land) den Brand in einem Datenzentrum des Mobilfunkbetreibers Base vor ein paar Jahren nehmen, der zeitweise dessen Netzabdeckung in ganz Belgien für 2G, 3G und 4G Internet lahmlegte.

Was andere Arten angeht, die sozialen Prozesse zu konfrontieren, durch die das digitale kapitalistische Modell auferlegt wird, erwähnten wir bereits die Pendler-Blockaden in San Francisco, obwohl die Umsetzung und der Diskurs aus unserer Sicht zu wünschen übrig lassen. Wenn die Formen der Macht gegen die wir uns stellen flüchtiger sind, können unsere Möglichkeiten manchmal trotzdem nicht außerhalb unserer Reichweite sein, wie einmal mehr in „Robots of Repression“ erwähnt wird: „Eine durch die partizipative Natur des Internets eröffnete Möglichkeit ist das Crowdsourcing von Repression. „Crowdsourcing“ selbst ist eine Wortneuschöpfung aus dem Zeitalter des Internets, die das zuvor undenkbare Phänomen widerspiegelt, welches Krawallen von London bis Toronto folgte: Die Polizei veröffentlicht Fotos und Videos im Umfang von tausenden Megabytes und ruft die Öffentlichkeit dazu auf, ihr beim Ausfindigmachen und Identifizieren von Gesetzesbrechern zu helfen, was den Vorgänger dieses Phänomens, das gute altmodische „Gesucht“ Plakat, qualitativ übertrifft. Natürlich, zu jeder Aktion eine Reaktion: dieses Crowdsourcing von Repression wurde bereits von Anarchisten sabotiert, die die Identifikationsbemühungen der Polizei zumüllten, manchmal mit Hilfe von Computerprogrammen, die die Datenbanken automatisch mit tausenden falschen und lustigen Namen überfluteten (das Äquivalent dazu das „Gesucht“ Plakat herunterzureißen, einen Schnurrbart darauf zu malen oder, á la Robin Hood, einen verdammten Pfeil hindurch zu schießen).”

Wo immer der Fortschritt der kybernetischen Monstrosität seine eigene spezifische Form annimmt, können verschiedene Möglichkeiten, ihn zu untergraben, existieren, würden wir danach suchen. In ihrem Fall behaupten die Autoren von “Precarity in Paradise”, dass „die katalanische Regierung keine Chance hat, Barcelona auf eine internationales IT-Niveau zu bringen, wenn sie ihre eigene Bevölkerung nicht kontrollieren kann. Menschen sollen schließlich Ressourcen sein und nicht selbstorganisierte Wesen mit ihren eigenen Träumen, einer Fähigkeit ihre eigenen Wünschen und Bedürfnisse zu definieren und ihrer eigenen Vorstellung davon, wie ihre Nachbarschaften aussehen sollten. Manche Katalanen kaufen sich in das neue Stadtmodell ein, indem sie Webdesign studieren, sich ihre eigenen Tech-Startups ausdenken oder sich mit Jobs in hippen Bars und Restaurants zufrieden geben. Aber viele Bewohner Barcelonas sind überhaupt nicht glücklich mit der neuen Gestaltung und bilden zunehmend eine Kraft, die in der Lage ist, die Pläne der Investoren und der Stadtregierung zu blockieren. Messebesucher, die auf der Straße beleidigt und angespuckt werden, oder deren Dienstreisen-Urlaub durch ein Schülerkrawall oder einen Verkehrsstreik unterbrochen wird, kommen nicht zurück. Touristen die ausgeraubt werden oder keine günstige Unterkunft finden können, suchen nach anderen Zielen. Wenn Nachbarn sich kollektiv Räumungen widersetzen, kann der Charakter ihrer Nachbarschaft nicht so schnell verändert werden.“

Um so besser, wenn solche Akteure ihre Kämpfe mit einem Verlangen nach einem allgemeineren Bruch verbinden, mit einem Konflikt gegen die Außenwelt, da diese all unsere Leben in die eine oder andere Form großstädtischer Isolation sperrt. Und das ohne (eine vorherige Form) dieser Isolation weiterhin hochzuhalten, wie beispielsweise durch politische Gruppierungen a la „Arme Leute gegen Gentrifizierer“, „Bürger für eine demokratischere Stadt“, etc.

Vorläufige Schlussfolgerungen zur Aneignung, Ergänzung oder Weiterentwicklung

„Ein bestimmter Ort, betrieben von einer Apparatur – zum Beispiel eine Internetseite – funktioniert wie ein Gehäuse. Sogar ohne Anleitung regt schon ihre Gestalt eine bestimmte Nutzung und einen Ablauf an, die dazu dienen, sie nachzubilden.[…] Es gibt viele Anarchisten, die Zuflucht in den Bergen gesucht haben, als würde es, dadurch dass sie anarchistische Internetseiten vollständig ignorieren und auf alle zivilisatorischen Wunder des Internetlandes verzichten, ihnen Formen des Diskurses zugänglich machen, die im Flachland unverständlich sind. Durch Ausweichen schützen sie sich vor der rekuperierenden Falle, das Problem zu versuchen zu lösen, jedoch gehen sie auch das, historisch öfters wiederholte, Risiko ein, eine auf einem Feld von dem sie abwesend sind geschlagene Schlacht zu verlieren und so sicher zu gehen, anschließend überrannt und von der Bildfläche getilgt zu werden. Was sollen wir angesichts der Oberflächlichkeit von Internetkommunikation und ihrer schädlichen Wirkung auf unsere eigenen Verhaltensweisen und Netzwerke tun? Ich biete dir keine Lösung für diese Frage an. Ich bezwecke die Frage an sich als Subversion, eine Einladung dem Fluss des ganzen Apparats, der dich bereits dazu bewegt auf den Link zum nächsten Artikel zu klicken, noch bevor du diesen auch nur bis zur Hälfte gelesen hast (denn du hast nur überflogen, nicht?) durch Grübeln – lange und unproduktiv – entgegen zu treten, eine Einladung wegzuschauen, was deine Augenmuskeln sich an Entfernung und Fokus erinnern lässt, tief einzuatmen und dich ebenfalls daran zu erinnern, es davor nicht getan zu haben und um dich daran zu erinnern, dass dein Kopf und deine Schultern, die aufrecht und bereit für einen Kampf oder einen langen Fußweg sein sollten, stattdessen gebeugt sind, wie unter einer großen Last, die du mit dir tragen musst, wohin du auch gehst. Was sollen wir tun?“

-Robots of Repression

Früher einmal, es ist nicht sehr lange her, schien es unter Radikalen (oder sogar allgemein in der “Gegenkultur”) eine klare Einstellung zu sein, keinen Fernseher zu besitzen. Jetzt ist, durch das digitale Medium, in fast jedem unserer Räume, wenn nicht in jeder Tasche, ein Bildschirm. Es fühlt sich für solche Radikale ebenso typisch an, wie für jeden anderen, süchtig nach der neuesten Serie zu sein; und für die von uns, die das nicht sind – wie unterschiedlich spielen sich unsere tatsächlichen Leben ab, wenn die Medien, die wir begierig konsumieren, anarchistisch sind, statt Pop-Kultur? Die Akzeptanz ist mehr oder weniger offensichtlich und trotz unserer Bedenken, findet auch für uns das mit Freunden Kommunizieren, Einkaufen, Informieren und Dates Finden (soweit all das momentan trennbar ist) mittlerweile online statt. Aber diese Formen der Aktivität sind nicht die gleichen, die sie einmal waren; mehr und mehr werden sie zu Varianten der Selbst-Produktion geformt, um ein Stück Demographie heraus zu filtern und sie kybernetischer Herrschaft zu unterwerfen. Wieder einmal kann das Medium ebenso viel bestimmen, wie der Inhalt.

Es liegt uns fern, eine Art „unverdorbene“ Politik oder eine bestimmte Weise des Konsums vorzuschlagen, erbärmlich wie alle Arten der Politik, welche nur zur Verwirrung zwischen den Entscheidungen derjenigen führt, die digitale Technologien entwerfen, produzieren und verbreiten und des Rests von uns, die sich in dem dadurch auferlegten Terrain zurecht finden müssen; eine Verwirrung, die die Rebellion schwächt.[30] Wie können wir uns also bewegen ohne die oben beschriebenen Dynamiken aufrecht zu erhalten? Der Blogger Ian Erik Smith reflektiert eine ähnliche Frage über seine eigene Online-Aktivität: „Wie so viele andere spüre ich einen Drang etwas zu produzieren, mich auszudrücken und einen bestimmten Standpunkt voranzutreiben. Aber ich erfahre auch ein wiederkehrendes Gefühl, dass die Anstrengung nutzlos und potenziell sogar kontraproduktiv ist. So, als ob alle schreien würden und meine dumme, aber vielleicht natürliche, Antwort wäre zu versuchen, noch lauter zu schreien als die Menge. Nichts kann auch nur irgendwie tatsächlich gehört werden und so trage ich in Wahrheit nur zu dem Lärm bei.

Ich kann das generieren, was heutzutage gemeinhin „Inhalt“ genannt wird – Futter für ein bestimmtes Format – und kann es dann, auf irgendeine Weise, in die Welt setzen. Ich kann Kopien auf Papier machen und sie in an verlassenen Steinmauern hängende versteckten Briefkästen stopfen oder sie in Glasflaschen stecken und ins Meer schleudern. Wahrscheinlicher aber werde ich, was immer ich produziere, auf dem digitalen Marktplatz der Ideen, wo Ideen keine Ideen, sondern einfach nur einen Platz füllender Inhalt sind, abladen.

An diesem Punkt wurde wahrscheinlich schon jeder meiner Schritte vorausgesehen und alle meine Absichten bereits untergraben; meine Bemühungen könnten sogar kanalisiert werden, um Zwecken zu dienen, die nicht meine eigenen sind. Indem ich Inhalt zu der digitalen Welt beitrage, stütze ich, was ich nieder zu reißen wünsche, und dennoch scheint eine Flasche ins Meer zu werfen nicht vielversprechend. […]

Es ist egal wie aufschlussreich oder gut gemacht etwas ist, wenn es nicht den Platz gibt, es zu verstehen, zu bedenken oder nachzuvollziehen. Während dem Schreibprozess mag man sich auf Klarheit und Genauigkeit, was qualitative Gesichtspunkte sind, konzentrieren; doch sobald es in die digitale Welt gestellt wird, haben fast ausschließlich quantitative Überlegungen Relevanz. Was wir von unserem Inhalt wollen, ist laut genug zu sein, alle anderen zum Schweigen zu bringen; den Raum zu bestimmen. Wenn wir nicht die schlaueste Stimme sein können, so können wir vielleicht wenigstens die lauteste sein.

Aber sieht es wirklich so düster aus?

Selbst in den lautesten Plätzen können wir normalerweise stimmige Stücke ausfindig machen. Zivilisation ist eine homogenisierende, totalisierende Kraft, aber sie ist noch nicht vollständig realisiert, noch nicht perfekt. Es bleiben Risse. Es bleibt Raum für Lernen, Dialog und letztendlich Widerstand. Man muss sich nur seiner eigenen Erfahrungen besinnen und wahrscheinlich wird man sich an zahlreiche Male erinnern, als einem etwas Wichtiges zur rechten Zeit zu Augen oder Ohren kam und einen Richtungswechsel auslöste.

1964 klagte der Anarchist und Kunstkritiker Herbert Read: “Der Untergang der letzten Zivilisation wird zwischen dem ununterbrochenen Getöse nicht gehört werden”. Dieses Klagen eines ehemaligen Anarchisten kann eine Quelle von Hoffnung für zeitgenössische Anarchisten sein, die die Zivilisation nicht als etwas zu Bewahrendes oder zu Betrauerndes, sondern eher als etwas, das es loszuwerden gilt, ansehen. […]

Wir sollten nicht individuell erwarten die Massengesellschaft in irgendeine Richtung lenken zu können, als wären wir Generäle, stattdessen sollten wir uns selbst als Mäuse und Ratten imaginieren, die an den Kabeln knappern… bald wird es Flammen geben.“ Auch wenn wir Vieles, das wir online lesen, so schnell wieder vergessen wie wir das Captcha für die nächste Seite eingeben, bleiben manche Dinge hängen, und es wird nötig, einen Weg zu finden, sie ohne Bildschirm in unsere Leben zu bringen.

Wie können wir weniger digitalisierte Orte oder Momente schaffen, solche, die es möglich machen, sich wieder gegenseitig in die Augen zu schauen und unser Verlangen und unsere Freude für ein Leben in Feindschaft zu dem, was uns entwürdigt, zu äußern? Wenn Formen der online Aktivität existieren, die Menschen ausrüsten, um sich an aufständischen Kämpfen zu beteiligen, die unsere Umstände umwandeln können (wie manche es von virtuellen Kartenprogrammen während der kürzlichen Unruhen in der Türkei erzählten), während sie tatsächlich unsere breitere Abhängigkeit von dem Medium selbst untergraben, indem sie zu Orten beitragen, wo sich potenzielle Rebellen – und, warum nicht auch diese, von denen sie mit der Zeit lernen werden müssen, sich zu unterscheiden – persönlich treffen können, dann ist es vielleicht interessant, diese für unsere Ziele zu nutzen. Der Schlüssel wäre, das zu erkennen, was Aufstände kreiert, in denen die Überwachung der am Kampf Beteiligten, die im Internet möglich ist, nicht mehr möglich ist, da sie außerhalb des Feldes der Repräsentation handeln, statt neue, für unsere Gegner leicht überschaubare Felder zu erschaffen. Eine solche Ausrichtung bräuchte an ihrer Basis die Anerkennung, dass ein Kampf um so verletzlicher wird, je mehr er von außerhalb der Kontrolle seiner Kämpfer produzierten Technologien abhängig ist.

Einer unser Vorschläge, um das digitale Delirium innerhalb unserer eigenen anarchistischen Kreise und darüber hinaus zu bekämpfen, ist, dass Gefährten sich abwechselnd Nachrichten, Neuigkeiten, Kommuniqués und Analysen herauszusuchen und dann die (vielleicht ausgedruckten) Informationen auf regelmäßigen Zusammenkommen persönlich teilen, während andere davon entbunden sind, das Netz nach diesen Details zu durchforsten. Auf diese Art würden diese Medien einen Weg finden, in einen sozialeren statt einem individualisierteren und passiven Kontext behandelt zu werden, während sie einer Gruppe erlauben würden, in der echten Welt Affinitäten und projektuelle Ziele zu entwickeln. Vielleicht könnte dieser Angesicht-zu-Angesicht Aspekt (zumindest potentiell?) manche der prahlerischen und entmenschlichenden Erscheinungen, die online aufzublühen scheinen, mindern. Zugegebenermaßen einen ein wenig anderen Vorschlag betreffend, stießen die Autoren von „We Are All Very Anxious“ auf ein paar naheliegende Hindernisse für einen derartigen Prozess in Gesellschaften, wie der unseren. „Ein wesentliches Problem wird es sein, in einem Kontext von andauerndem Zeit- und Aufmerksamkeitsdruck einen regelmäßigen zeitlichen Rahmen zu finden. Der Prozess hat eine langsamere Geschwindigkeit und ein menschlicheres Ausmaß als heutzutage kulturell akzeptiert. Die Tatsache jedoch, dass Gruppen eine Atempause von den täglichen Anstrengungen anbieten, ebenso wie vielleicht einen ruhigeren Stil des Interagierens und Zuhörens, was den Druck, aufmerksam zu sein, erleichtert, könnte auch attraktiv sein. Die Beteiligten müssten lernen, für sich selbst zu sprechen (statt einem neoliberalen Auftritt, der sich aus der Verpflichtung, banale Information weiterzugeben, ergibt), zuzuhören und zu analysieren.“ (Ein weiterer Fallstrick könnte das Erschaffen von Orten für reines Gelaber, um Dampf abzulassen, sein, nämlich dann, falls ein Drang Handlungsoptionen zu finden fehlt).

Ob mit diesem Mittel oder einem anderen, es fühlt sich wahr an, dass dadurch, dass wir den Raum finden mit einem oder mehreren Freunden tatsächlich über ein Thema zu reden, das dieses realer macht; ob es darum geht eine soziale Dynamik zu identifizieren, einen Gefangenen vor der Nichtbeachtung und Vergessenheit zu retten, worauf die Repression abzielt, oder auf eine auszunutzende Verletzlichkeit im System aufmerksam zu machen.

Trotz der verheerenden, offensichtlich unumkehrbaren, Auswirkungen der Herstellung digitaler Geräte auf uns und den Rest der Biosphäre, gibt es Grund zu hoffen, dass, wenn auch nur temporär, zumindest einem Teil der Verschwommenheit, mit der das Netz unsere Sicht verschleiert, entkommen werden kann. Carr erzählt von seine Erfahrung einer experimentellen Trennung [vom Internet]: „Ich löschte meinen Twitter Account, pausierte meine Facebook Mitgliedschaft und legte meinen Blog still. Ich schaltete meinen RSS Reader aus und schränkte mein Skypen und Insant-messaging ein. Am wichtigsten war es, mein E-mail Programm zu drosseln. Es war lange so eingestellt, jede Minute neue Nachrichten abzurufen. Ich stellte es auf einmal in der Stunde zurück und als das immer noch zu viel Ablenkung erzeugte, begann ich das Programm einen großen Teil des Tages geschlossen zu lassen.

Das Abbauen meines online Lebens war bei weitem nicht schmerzlos. Über Monate schrien meine Synapsen nach ihrer Internet-Dosis. Ich bemerkte mich dabei, heimlich auf „Neue Mails abrufen“ zu klicken. Gelegentlich hatte ich den ganzen Tag andauernde Internetexzesse. Aber mit der Zeit ließ das Verlangen nach und ich fand mich selbst in der Lage, stundenlang an meiner Tastatur zu tippen, oder einen anspruchsvollen akademischen Aufsatz durchzulesen, ohne abzuschweifen. Einige alte, ungenutzte neuronale Verknüpfungen sprangen zurück ins Leben, so schien es, und einige neuere, mit dem Internet verbundene, beruhigten sich. Ich begann mich allgemein ruhiger und mehr in Kontrolle über meine Gedanken zu fühlen. Weniger wie eine einen Hebel drückende Laborratte und mehr wie, nun ja, ein Mensch. Mein Gehirn konnte wieder atmen.

Mein Fall, erkenne ich, ist nicht typisch. Beruflich selbstständig und von ziemlich einzelgängerischer Natur, habe ich die Möglichkeit des Verbindungsabbruchs. Die meisten Leute heutzutage haben das nicht. Das Internet ist so essenziell für ihre Arbeit und ihr soziales Leben, dass selbst wenn sie ihm entkommen wollten, sie es nicht könnten.“ Zumindest jedoch in der Sphäre unserer online Leben, welche sich um unsere Radikalität dreht (während das nie klar trennbar ist), könnten wir fähig sein, neben dem oben beschriebenen Minimieren unserer persönlichen Zeit vor dem Bildschirm, so weit möglich, den in der Form enthaltenen Inhalt anzugehen. Ein Vorschlag, was den Inhalt, der die Gegeninformations-Netzwerke füllt, betrifft, wäre Dinge mit erkennbar analytischem, poetischem oder inspirierendem Inhalt und Anleitungen zu bevorzugen, auch (oder gerade) wenn es zu einer Verlangsamung führt: Wenn wir uns mit der Neigung zum „Dazugehören-Wollen“ abfinden müssen, die das Internet zu enthalten scheint, könnten wir zumindest versuchen, die Schwelle, um teilzunehmen, zu erhöhen und uns selbst mehr fordern.

Zweifelsfrei kann dieser subjektive Ansatz zu Elitedenken verkommen; wir selbst möchten sicherlich keine Anarchie der intellektuell bewanderten oder geübten Schreiber allein, aber wir wollen die Annahme konfrontieren, dass alle Aspekte unserer anarchistischen Leben online existieren sollten (oder auch nur könnten!), und somit nur den quantitativen Rausch nähren. Es sollte selbstverständlich sein, dass wir die Weiterführung und das Wiederaufleben von gedruckter, verschickbarer oder von Hand-zu-Hand-Propaganda sehr wertschätzen, die ein geeigneteres Format für die Arten von Inhalt bieten könnten, die nicht so sehr in das oben Beschriebene passen. Eine Frage könnte sein, welchem Zweck es dient, was auch immer ins Internet hochzuladen, oder zu welchem Grad es nur zur einfacheren Möglichkeit wird, anstatt Wege zu suchen, einer Sache eine Lebendigkeit zu geben, die wir auf den Straßen, wo wir tatsächlich leben und unsere Zeit verbringen, leichter erkennen können.

Auch könnten die Autoren in Situationen, in denen diese Urheber von online Dialogen Individuen in der offline Welt bekannt sind, von Angesicht zu Angesicht (konfrontativ oder nicht, wie es der Fall erfordert) von denen zu Rede gestellt werden, die ihre Aktivität für besonders schädlich, irreführend oder eine Sicherheitsbelastung halten, und somit die Entfremdung zwischen dem reduzieren, was jemand durch eine virtuelle Figur online darstellt und dessen ganz realen Konsequenzen in der Wirklichkeit. Schließlich reproduzieren wir noch einen anderen Teil des Beitrages von 325.nostate.net zum Nadir Treffen:

Die Verbreitung von “Computersicherheitseinführungen” für Anfänger, wie der amerikanischen Gefährten [‘Anonymity Security’], ist wirklich wichtig und das gilt besonders für die von polizeilicher Überwachung und Ermittlung Betroffenen, die elektronische Mittel zur Organisation und Kommunikation in der aufständischen Strömung nutzen. Es ist das Gleiche, wie irgendetwas anderes im Kampf zu lernen. Manche Dinge sind vielleicht nicht für jeden, aber ohne unseren Kampf zu verstärken, die Fähigkeiten zu teilen und anderen tatsächlich auszuhelfen, die nach technischer Solidarität fragen, werden wir es dem Feind erlauben, uns zu überflügeln, da es zu wenige Leute mit dem technischen Wissen gibt. Das generelle Problem der Internet- und Computersicherheit ist Teil des generellen ‘Problems’ der Repression; Hierarchien aufgrund von Spezialisierungen innerhalb der Bewegung führen zu schnellem Zerfall in Phasen starker Repression.“ Zu dem Grad, zu dem sich ein jeder von uns in der digitalen Sphäre beteiligt, bringt diese Entscheidung Verantwortlichkeiten und Gefahren mit sich, die auf die leichte Schulter zu nehmen eine Dummheit von uns wäre.

Dies sind nur vorläufige und unvollständige Gedanken, die erst noch ausgearbeitet werden müssen. Jenseits der dringenden Notwendigkeit, die wir spüren, damit zu beginnen, uns mehr auszutauschen, um dem digitale Delirium zu begegnen, in das wir hineinrutschen, legen wir hier nicht allzu großen Fokus auf die spezifischen Vorschläge dazu. Wir werden diesen Überblick über die Gedanken von anderen und uns selbst zu dem Thema abschließen, indem wir wiederholen: Das Feld der online Repräsentation als Mittel zu nutzen, um die von der andauernden Digitalisierung unser Leben aufrecht erhaltenen und verstärkten Machtstrukturen zu unterbrechen, ist die einzige Intervention, die sich auf diesem Terrain gerechtfertigt anfühlt, und es ist bei weitem nicht klar, welche Erfolgschancen solche Bestrebungen haben. Im besten Fall macht es das Beste aus einem tiefgreifenden Nachteil, in dem wir uns befinden; im schlechtesten ist es eine verlorene Schlacht, solange die das Internet ermöglichende techno-industrielle Struktur noch besteht. Weit von den Illusionen digitaler Utopien auf der einen und moralistischem Boykott auf der anderen Seite, ist unsere These schlicht, dass während sich die ökologischen, existenziellen und wirtschaftlichen Krisen in den kommenden Jahren verschärfen werden, es heute so ist und auch zukünftig so sein wird, dass es Kräfte in der Welt jenseits der Bildschirme sind, die uns beweglicher sein lassen und unseren Ideen erlauben werden durch gelebte Praxis greifbar zu sein.

Es scheint, dass ein zumindest latenter Wunsch, dem Internet zu entfliehen, vorhanden ist. Berichten zufolge über eine gewisse Verdrossenheit über das digitale Zeitalter, sogar unter jüngeren Technologienutzern, die bis zu unerwarteten Ausbrüchen der Wiederentdeckung tatsächlicher, körperlicher Anwesen- heit, die in der Occupy Bewegung von 2011 an erfahren wurde, reicht (trotz ihrer praktischen und konzeptuellen Mängel und der Unvertrautheit vieler im digitalen Zeitalter aufgewachsener Teilnehmer mit den Komplexitäten persönlicher Interaktionen). Während unsere Hoffnung ehrlich gesagt nicht sehr groß ist (das muss sie als Bedingung für unseren Kampf um unsere Würde auch nicht), sehen wir auch keine zwingenden Gründe, anzunehmen, dass dieser Funke komplett erlöschen wird, und wir glauben, dass er sich immer noch, jederzeit, zu einer Flamme entwickeln könnte, die diese soziale Dämmerung entzünden kann.

All dies bildet eine bestimmte, wenn auch eine phänomenologisch dominante, Sphäre unseres Dilemmas als zivilisierte Wesen auf der Suche nach einem Ausweg aus unserer Kultur. Was wir jenseits des industriellen Systems niederreißen wollen, ist die Art und Weise, die Welt zu begreifen, mit der wir aufgewachsen sind; insofern dies oft dadurch getan werden kann, Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Form unserer Verstümmelung durch sie zu lenken. Unsere generelle Stärke misst sich eher nicht darin, verschiedene Themen (einzeln) anzusprechen, sondern in dem Grad zu dem wir fähig sind, sie durch eine Vertiefung unserer Kritik zu verknüpfen und den Weg zur Befreiung weiter zu gehen. Dort, auf den Schnittpunkten von Leidenschaft und Klarheit, Intuition und Hass. Ebenso wie wir die digitalen Eliten nicht nur für ihre Visionen der Zukunft verachten, sondern genauso für die heutigen globalen Trends in Richtung Desensibilisierung, Entpersonalisierung und eines Verlusts an Fähigkeiten, die der Computer mit sich brachte, reicht unsere Perspektive jenseits der Zivilisation bis hinzu einem Leben ohne Klassenhierarchien und Anthropozentrismus. Letztendlich ist unsere Feindschaft gegenüber dem Digitalen nichts, als ein Teilaspekt einer breiteren Frage menschlicher Kulturen, was sie in manchen Fällen waren, wurden und sein könnten. Es quält uns genug, dass wir und viele in ähnlichen Kulturen, den Großteil unserer Leben in vorgefertigten Umgebungen verbringen, die die Neurosen der Zivilisation einfach auf uns widerspiegeln – zu enormen Kosten für die nicht-menschliche Umwelt und Allem, was wir wertschätzen. Die weitere Reduzierung in eine virtuelle Welt, in der wir für einen zunehmenden Teil der Zeit, die wir wach sind, buchstäblich nichts anderes erleben, ist ganz einfach ein Ausprägung davon, für gebildete westliche Kulturen vielleicht sogar eine logische, wie es David Abram untersucht: „Die scheinbar autonome, ursprünglich durch das Alphabet eröffnete, geistige Dimension – die Fähigkeit in völliger Abstraktion von unseren irdischen Umgebungen mit unseren eigenen Zeichen zu interagieren – ist heutzutage zu einem riesigen, kognitiven Gefilde aufgeblüht, einem endlosen Raum virtueller Interaktionen und Begegnungen. Unser reflektierender Verstand bewohnt ein globales Informationsfeld, während wir abwesend Essen in unsere Münder schaufeln, […] über das neueste Szenario des Ursprungs des Universums grüblen, Informationen über Genabschnitte und Militärputsche austauschen, Besprechungen abhalten, um globale Umweltprobleme zu lösen, all das ohne zu bemerken, dass der Mond über unseren Hausdächern aufgeht. Mit unserem Nervensystem an einem Gerät angeschlossen, bemerken wir nicht, dass der Chor von Fröschen an dem nahegelegenen Fluss dieses Jahr zu einer einsamen Stimme verkümmert ist und die Spatzen nicht mehr in die Bäume zurückkehren.“

Hier und jetzt, egal was die Zukunft bringen mag, anders zu leben, dem Zugriff eines Netzes von Anthropozentrismus und Ideologie, an das wir uns und unsere Beziehungen verlieren würden, zu trotzen, würde einen Prozess nach sich ziehen, den Robinson Jeffers als sich nach außen zu verlieben beschreibt, in die Erde, die uns umgibt. Sind wir dazu noch fähig?

Wir können uns keine besseren Worte denken als die, die erst kürzlich in der anarchistischen Wandzeitung „Blasphegme“ in die Straßen von Paris geklebt wurden.

Wir haben fast vergessen, dass wir, wenn wir mit jemand reden wollen, zu ihm/ihr nach Hause gehen und an die Tür klopfen können. Wir haben fast vergessen, was es heißt, persönlich zu kommunizieren, mit Emotionen, Lachen oder Wut, die wir an unseren Gesichtern, an dem Tonfall unserer Stimme oder dem Zittern unserer Hände ablesen können. Wir haben fast vergessen, dass diese Maschinen vor gar nicht so langer Zeit noch kein Teil unserer Leben waren, dass wir nicht in diese digitalen Welten eingeschlossen waren, die mehr und mehr die Kontrolle über unsere Tage übernehmen, dass die Menschen ohne diese durchdringende Technologien lebten, liebten, kommunizierten und sich auf dem neusten Stand hielten.

Manchmal fühlen wir uns in der U-Bahn als Eindringlinge, als eines der wenigen, nicht in seinen kleinen Bildschirm und Kopfhörer vertieften, die Leute um sich herum nicht wahrnehmenden Individuen. Indem wir uns so in uns selbst zurückziehen, bemerken wir gar nicht, wie die Gesellschaft durch diese Technologien verändert wird. […]

Und wenn wir wieder lernen würden ohne diese Maschinen zu leben? Was, wenn wir die virtuelle Leine durchschneiden würden, uns wieder miteinander in Verbindung setzen und persönliche Komplizenschaften weben würden, um die durch unsere Vereinzelung geschaffene Leere zu füllen? Wir könnten uns wieder mit der Zeit, dem Raum und untereinander verbinden, mit allem, was die kalte Interaktion durch Maschinen in den Hintergrund gedrängt hat.

 

Was, wenn wir offene Blasphemie gegen die Religion der Konnektivität betreiben? Was wenn wir diesen viel gepriesenen, aber mehr wie ein Sciencefiction-Alptraum scheinenden technologischen Himmel stürmen?

 

Was wenn wir die Maschinen zerstören?“

 

 

[1] „Was könnten diese Umwelteinflüsse sein? In den letzten zwanzig Jahren haben wir unseren Straßen- und Lufttransport vervierfacht, mit der unweigerlichen Zunahme von Luftverschmutzung, wodurch wir einer Reihe von giftigen Substanzen ausgesetzt sind; die Hintergrundstrahlung hat mit der Verwendung von technologischen Gerätschaften zugenommen; in unserer Essenskette befinden sich alle möglichen Schadstoffe. Wir müssen die wechselseitigen Beziehungen zwischen diesen kleinen Irritationen anerkennen, die zusammengenommen die Gesundheit des Menschen beeinflussen. Wir beginnen den menschlichen Einfluss auf die natürliche Umwelt anzuerkennen, aber vergessen dabei, dass wir selbst Teil der natürlichen Umwelt sind.“
– Why Modern Life is Making Dementia in Your 40s More Likely [- Wieso modernes Leben Demenz in deinen Vierzigern wahrscheinlicher macht]

[2] „Dr. Denis Henshaw, Professor für Human Radiation Effects an der Universität Bristol, wissenschaftlicher Berater für Children with Cancer UK [hrsgb. – Wohltätigkeitsorganisation aus dem Vereinigten Königreich für Kinder mit Krebs], sagt, dass Luftverschmutzung bei weitem der größte Verursacher ist, verantwortlich für circa 40 Prozent des Anstiegs, jedoch sind auch andere Elemente des modernen Lebensstils schuld. Unter diesen sind Fettleibigkeit, Pestizide und Lösungsmittel die während der Schwangerschaft eingeatmet werden, Unterbrechung des Biorhythmus durch zu viel helles Licht während der Nacht, Verstrahlung durch Röntgenstrahlen und CT-Scans, Rauchen während und nach der Schwangerschaft, magnetische Felder von Hochspannungsleitungen, Gadgets, die man Zuhause hat und potentiell [sic] Verstrahlung durch Handys. […]
Bei mehr als 4.000 Kindern und jungen Menschen wird jedes Jahr in Großbritannien Krebs diagnostiziert und Krebs ist die verbreitetste Todesursache für Kinder die jünger als 14 sind.“ – Modern life is killing our children

[3] Dieser Konditionierung und Reduktion haben ihre Äquivalente auf einem institutionellen Level und einer zunehmenden Standardisierung des Schulsystems. Als ein kurzes Beispiel, Carr schreibt, dass bereits 2009 Edexcel, die größte Bildungstest-Firma in England [hrsgb. – Firma, die Schulprüfungen vereinheitlicht und überprüft] Computer für das Bewerten von Essays auf ihre sprachliche Fertigkeiten hin eingeführt hat. „Ein Prüfungsexperte erzählte der Zeitung, dass die computerisierte Evaluierung von Essays ein Meilenstein in der Bildung der Zukunft sein würde: „Die Frage ist ‚wann‘ nicht ‚ob‘“. Wie, fragte ich mich, würde die Edexcel-Software unterscheiden zwischen jenen seltenen Schülern, die von den Konventionen des Schreibens abweichen, nicht weil sie inkompetent sind, sondern weil sie einen besonderen Funken Brillanz besitzen? Ich wusste die Antwort: Es würde nicht unterscheiden. Computer folgen Regeln, wie Joseph Weizenbaum aufgezeigt hat; sie fällen keine Urteile. Anstatt Subjektivität geben sie uns Formeln.“

[4] Die etablierte Theorie der elektromagnetischen Kommunikation zwischen Zellen, Stoffen und Organen besagt, dass WiFi-Strahlung diese überschneidet und unterbricht, was Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem, das Immunsystem und die Proteinsynthese hat. Wenn dies in Betracht gezogen wird, muss es natürlich eigentlich bloß als eine weitere Strahlungsquelle, zusätzlich zu den „Radio- und TV-Antennen, Radarsystemen, Hochspannungsleitungen, Militärstationen und dutzende verschiedene elektronischen Haushaltsgegenständen, die bereits seit Jahrzehnten Wellen aussenden, betrachtet werden, auch wenn sie einzeln als unbedeutend abgetan werden, können diese zusammen und durch ein kontinuierliches Ausgesetztsein Effekte auf die Gesundheit von Lebewesen haben.“ (- The Enemy is Quite Visible)

[5] Es ist lange her, seitdem dies das erste Mal angeprangert wurde; zum Beispiel durch Jerry Manders 1991 publizierten Worte: „Über viele Jahre hinweg gab es medizinische Berichte zu Beschwerden wie Müdigkeit, Augenbelastung, Migräne, grauem Star und, unter schwangeren Frauen, die VDTs (video display terminals) verwenden, Fehlgeburten, Geburtsfehler, Frühgeburten und Kindersterblichkeit. Zuerst wurde nicht geglaubt, dass Computer solche Effekte haben könnten. Jüngste Untersuchungen haben sich jedoch auf die Strahlung konzentriert, die mit Computern in Verbindung steht. VDTs generieren eine Reihe von elektromagnetischen Strahlungen, von Röntgen-, Ultraviolet-, Infrarotstrahlung hin zu Strahlung mit niederfrequenten Wellenlängen. Zu einem Zeitpunkt wurde geglaubt, dass diese Niederfrequenzstrahlungen nicht in der Lage sei dem Körper Schaden zuzufügen, aber es wurde jetzt gezeigt, dass die Leute viel empfindlicher gegenüber jedweder Strahlung sind, als vormals angenommen wurde und zunehmend kausale Zusammenhänge sichtbar werden.“

[6] Eine weitere Vorbedingung der Cyberrealität ist die Notwendigkeit Multitasking-fähig zu sein, also mehrere Tätigkeiten zur selben Zeit ausüben zu können. Dies macht uns jedoch, während es uns den Eindruck vermittelt, geistig flink und behände zu sein, anfällig dafür weniger abzuwägen und uns mehr auf konventionelle Ideen und Lösungen zu verlassen, als sie in Frage zu stellen und macht es folglich schwerer aus den roboterhaften, normierten Kreisläufen auszubrechen. In den Worten des römischen Philosophien Seneca: „Überall zu sein, heißt nirgendwo zu sein“.

[7] Quinn Norton beklagte sich darüber wie schwer es heutzutage ist Geschichten zu erzählen, „in einer Welt, in der sich verlieben, in den Krieg ziehen und Steuerformulare ausfüllen die gleiche Form annimmt: das Tippen auf einer Tastatur.“

[8] Eine andere Antwort des Managements auf das Angestelltenwohlergehen – d. h. die Produktivität –, die sich in die entgegengesetzte Richtung entwickelt (obwohl Teil eines viel längeren historischen Trends in der westlichen Kultur), in diesem Fall oft selbst verwaltet, ist die Bewegung des quantifizierbaren Selbst. Unter dem Motto „Selbsterkenntnis durch Zahlen“ beziffern Anhänger ihr Leben anhand von aufgezeichneten oder maschinell aufgenommenen Daten: Blutdruck, Herzfrequenz, Nahrungsaufnahme, Schlaf, Trainingsqualität sowie Art und Umfang der Interaktionen in den sozialen Medien und Realität und passen sich selbst entsprechend an. In dem Bestreben, dem größten Feind der globalen Produktivität – der „stressbedingten Krankheit“ bzw. „Burnout“ – zu begegnen, hat ein deutsches Start-up namens Soma Analytics ein System zur Messung der Frühwarnzeichen von Angst und Schlafentzug entwickelt (nur böse Zungen könnten auf den Gedanken kommen, dass die Überwachung von Stressleveln selbst Stress induzieren könnte!). Man mag uns vielleicht verzeihen, dass unsere Gedanken zu Aldous Huxley‘s „Brave New World“ abschweifen. Der Roman, in dem die Droge, nach der das Unternehmen benannt ist, die Wirtschaft des Weltstaates aufrechterhält. Ein Anhänger, Alistair Shepherd, behauptete von seinem Büro in Googles Brutkasten-Campus direkt neben dem ‚Silicon Roundabout‘ an der Kreuzung von City Road und Old Street in London, dass „wir uns gerne für etwas Besonderes und Einzigartiges halten, wir denken, dass ein Computer uns nicht sagen kann wer wir sind, das ist falsch, weil ein Computer es meistens kann.“ Google beschäftigt bekanntermaßen ein Team von Industrie-Organisationspsychologen, Verhaltensökonomen und Statistikern, die Tools wie die jährliche Umfrage an allen Mitarbeitern „Googlegeist” verwenden, um mit jedem Detail des Campus-Lebens zu experimentieren, von der Größe der Mahlzeiten bis hin zu den Abständen zwischen den Bildschirmen.

[9] “Es ist fast unmöglich für die Bewohner dieser geschlossenen Welt, sich vorzustellen, von der Maschinerie des künstlichen Lebens abgekoppelt zu sein und man könnte sich zu Recht fragen, in welche ruinöse Zustände die menschliche Spezies geraten würde, wäre sie den durch ihre Maschinerie übertragenen Impulsen endgültig beraubt. Die Verbesserung der Vernetzungstechnologie ist daher für viele die realistischste Lösung: „Die einzige Rettung für unsere Kinder: einen Anzug mit allen Biosensoren zu tragen, die das Moorsche Gesetz uns liefern konnte, um fühlen, sehen und virtuell anfassen zu können, eine gute Dosis euphorisierender Drogen zu schlucken und am Ende jeder Woche in das Land ihrer Träume mit ihrem Lieblingsstar zu gehen, mit ihren Augen auf die Bildschirme ihrer Visiere gerichtet, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft.“ Dies ist kein Auszug aus einer Hommage an das visionäre Genie des Philip K. Dick von The Days of Perky Pat; es ist das Ergebnis einer sehr gut dokumentierten Arbeit (J. Blamont, Introduction au siècle des menaces, 2004), das von einem Mitglied des wissenschaftlichen Establishments verfasst wurde, der, nachdem er seine Karriere beendet und sich in den Ruhestand verabschiedet hat, singt wie ein Kanarienvogel“ (- Jaime Semprun & René Riesel).

[10] Der Autor, der zuerst unsere Notizen für diesen Artikel zum ersten Mal niedergeschrieben hat, schrieb zufällig selflie (hrsg. – engl. „Selbstlüge“) statt selfie; wir könnten die Ironie kommentieren, angesichts der glamourösen, rosaroten Selbstdarstellung, die Nutzer sich online geben müssen …

[11] Dies ist ein weiterer Schritt entlang des Weges, der bereits vor Jahrzehnten vom Telekommunikationsboom eingeschlagen wurde. Stanley Diamond verurteilte dies in seiner weit gefassten Zivilisationskritik aus dem Jahr 1974: „Das herrische Klingeln des Telefons unterbricht alle anderen Aktivitäten. Sein trivialer, losgelöster und obsessiver Gebrauch reflektiert sowohl den entfremdenden Charakter der Gesellschaft, die ihn so hoch bewertet, als auch die transnationalen Konzerne, die davon profitieren. So ist das Telefon, wie es gewöhnlich verwendet wird, nicht ein Zeichen der Kommunikation, sondern des Mangels an Kommunikation und des daraus folgenden, unwiderstehlichen Wunsches, sich auf Andere zu beziehen, aber aus der Ferne – und in Form einer frustrierten Sprache.“

[12] Eine Studie aus dem Jahr 2012 untersuchte die Facebook-Gewohnheiten von 294 Studenten im Alter von 18 bis 65 Jahren und bestimmte zwei „sozial disruptive“ Elemente des Narzissmus – übermäßiger Exhibitionismus (grandiose exhibitionism; GE) und Anspruch/ Ausbeutung an bzw. von Anderen (entitlement/exploitativeness; EE). GE beinhaltet „Selbstentfaltung, Eitelkeit, Überlegenheit und exhibitionistische Tendenzen“, Menschen, die bei diesem Aspekt hohe Punktzahlen erzielen, müssen ständig im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Sie sagen oft schockierende Dinge und enthüllen sich unangemessen selbst, weil sie es nicht ertragen können, ignoriert zu werden oder eine Chance auf Eigenwerbung zu verschwenden. Der EE-Aspekt beinhaltet „ein Gefühl, Respekt zu verdienen und die Bereitschaft, andere zu manipulieren und auszunutzen“. Die Studie ergab, je mehr auf jemanden Aspekte von GE zutreffen, desto mehr Facebook-Freunde hat er, durchschnittlich knapp 800. Diejenigen, auf die Aspekte von EE zutrafen, waren auch eher bereit Freundschaftsanfragen von Fremden anzunehmen und soziale Unterstützung einzufordern, aber weniger sie zu bieten …

[13] Wenn man bedenkt, dass Facebook selbst als eine Seite begann, die Studenten nach ihrem Aussehen bewertete, ist es nicht verwunderlich, dass die digitalen Netzwerke zu einer Mischung aus Unsicherheit und Cyber-Mobbing geführt haben, die der Leiter von ChildLine als „die größte Herausforderung, der wir uns jemals gestellt haben“ beschreibt. „Hier macht es keinen Sinn ihr Telefon auszuschalten, weil die Nachrichten einfach da sind und auf sie warten.“

[14] Auch wenn zumindest einige Konversationen, im Vergleich zu vor-digitalen sozialen Netzwerken, gelegentlich breiter und vielfältiger geführt werden, schmälert das nicht das besorgniserregende Ausmaß, in welchem echte physische Treffen abnehmen für die vermeintliche ‚Effizienz‘ im Netz.

[15] „Das Gag-Gesetz verbietet eine Reihe an online Inhalten, inklusive Videoaufnahmen wie sie in den USA zunehmend genutzt werden um Polizeitaktiken zu enthüllen und welche das Verprügeln von Demonstranten im Baskenland zeigte. Das Gesetz sieht auch heftige Strafen für eine Reihe an Vergehen vor, die mit vermeintlichen Beleidigungen der Polizei oder ungenehmigten Demonstrationen zu tun haben: €600 für das Beleidigen eines Polizisten, bis zu €30,000 für das Verbreiten von der Polizei schädlichen Fotos und € 600,000 für die Teilnahme an ungenehmigten Demonstrationen in der Nähe des Parlaments und anderen sensiblen Orten.“

[16] Das weniger ausgeklügelte Endprodukt davon, wie das aussehen könnte, wären die während der sozialen Revolte in Mexiko 2016 benutzten ‚Twitterbots‘ (automatisierte Accounts, wobei eine Person 25-50 Profile kontrolliert), welche, um populäre, dem Regime feindlich gestimmte Hashtags weg-zu-spammen – was ihnen, nach dem Präsidenten des Landes, den Spitzname ‚Peña-bots‘ einbrachte – banale Trends als Gegengewicht kreierten und wöchentlich Schmierkampagnen gegen Aktivisten und Journalisten starteten.

[17] Die Wahl des Veranstaltungsorts der Konferenz war auf keinen Fall willkürlich. British Telecom [BT] als gigantischer Telekommunikations-Player, der IT-Infrastruktur für das britische Gefängnissystem und die Polizei bereitstellt, während er dem zivile Leben schleichend ein heimtückisches digitales/kabelloses Netz überstülpt, hat allein letztes Jahr [hrsgb. – 2015] die futuristische multinationale ‚Policing 2020‘ Technologie-Konferenz im BT-Tower beherbergt, außerdem ist er tief verflochten in der Kriegstechnologie. Sogar bevor die letzten weit verbreiteten Unruhen in dem U.K. diskutiert wurden, legten Anarchisten Feuer an Fahrzeuge der BT im Bezirk Avon & Somerset des zuvor erwähnten Nick Gargan (wobei in Bristol ein BT-Gebäude angegriffen und besprüht wurde) im Rahmen von Solidaritätsaktionen gegen die Gefängnisgesellschaft.

[18] „‚Nachtkorrespondenten‘ sind ein Art von Bürger-Polizei Initiativen, ähnlich den ‚city ambassadors‘ in einigen amerikanischen Städten. Diese halten den sozialen Frieden aufrecht, sowohl dadurch, dass sie die Armen überwachen und schikanieren, als auch dadurch, dass sie sofort die Polizei rufen. Ihre Propaganda ermutigt Anwohner darin, Nachbarn, die zu laut Musik hören oder sich auf öffentlichen Plätzen versammeln zu melden.“
(– waronsociety.noblogs.org)

[19] Sie wurden dabei erwischt solidarische Parolen mit den Aufständen des ‚Arabischem Frühlings‘ zu sprühen und eingesperrt aufgrund des Verstoßes gegen ihre juristischen Auflagen; ihnen war verboten einander zu sehen, wegen früheren Anklagen von Branstiftungs- und Explosionsattacken während einer Sabotageserie 2008/2009 gegen (unter anderem) Banken, in Solidarität mit einer Gefangenenrevolte im Zuge deren Vincennes, das größte Abschiebezentrum Frankreichs, 2008 komplett niedergebrannt wurde. In dieser Zeit wurden um die 100 Geldautomaten eingeschlagen/ in Brand gesetzt/ in die Luft gejagt oder durch Säure unbrauchbar gemacht.

[20] Anm.d.Hrsg.: Unserer Meinung nach macht es keinen Sinn, Anonymität zu einem allgemein gültigen Wert in sozialen Beziehungen zu erklären – dann müsste jeder Anarchist in der Klandestinität leben. Wenn wir Begegnungen und Beziehungen mit Fremden scheuen und uns auf Grund von Überwachung marginalisieren und isolieren lassen, sind wir genau da, wo uns die Macht haben will. Im Gegenteil ist es wohl der natürlichste Ausdruck unserer Ideen, diese auch in allen sozialen (also realen und nicht digitalen) Beziehungen zu vertreten. Repression folgt keiner einfachen Additionsrechnung und kann uns als Anarchisten immer treffen. Natürlich wollen wir dem Feind seine Arbeit erschweren, aber das heißt nicht, von unseren Ideen oder Beziehungen abzuweichen.

[21] Das Projekt internet.org von Facebook hat das Ziel, den Armen in abgelegenen Teilen der Welt freies Internet zur Verfügung zu stellen; sprich, eine Version mit der man nur 35 bestimmte Webseiten besuchen kann; zuallererst natürlich Facebook. Mit der weitverbreiteten Beschuldigung der Zensur konfrontiert, war die arrogante Antwort von Facebook-Chef Mark Zuckerberg , dass „es immer besser ist, etwas Zugang zu haben als gar keinen“.

[22] Douglas Rushkoff beschreibt die Prekarität einer Marktordnung, die sich bereits in praktisch jedes Territorium und jede Sphäre eingeschlichen hat, ähnlich, sogar bevor die Biotechnologie noch eine zuverlässige Grenze für eine weitere Expansion dargestellt hat (so einschneidend Biotechnologien, zunehmen im Zusammenspiel mit Nano-Wissenschaften und ähnlichem, in der Zukunft auch sein mögen). „Aber wir entdeckten ein neues Territorium in der menschlichen Aufmerksamkeit, in menschlicher Zeit. Also begannen wir menschliche Zeit zu kommodifizieren [hrsgb. – zur Ware machen] und als Wert zu generieren. Und die Worte die zunehmend die Entwicklung des Internets beschrieben waren Dinge wie „stickiness“ und „eyeball hours“ [hrsgb. – die Wiederbesuchshäufigkeit und Nutzungsdauer einer Internetseite seitens der Besucher]. Das Wired Magazin hat die „Aufmerksamkeits-Wirtschaft“ ausgerufen; wir mögen im Internet unbegrenzte Möglichkeiten haben, aber es gibt nur so und so viele „eyeball hours“ pro Tag. Also war das Ziel des Spiels jetzt diese „eyeball hours“ als Ausdruck ihrer Aufmerksamkeit aus den Menschen zu extrahieren. Also kamen wir schließlich dazu, ein asynchrones Mittel [ein Mittel, das nicht gleichzeitig mit anderen Mitteln genutzt werden kann], wie das Internet in ein Gerät zu transformieren, dass immer an ist, wie das iPhone; wir schnallen uns das Internet um unsere Körper, und lassen uns davon jedes Mal unterbrechen, wenn jemand ein Facebook Update macht, über uns twittert, uns eine E-Mail schickt, unsere Aufmerksamkeit will oder eine App uns sagen will, dass es Neuigkeiten gibt. Und wir leben in einem Modus immerwährender notfallmäßiger Unterbrechung, welchen zuvor nur Angestellte von Notrufzentralen und Fluglotsen ertragen haben; und diese machten es immer nur für vier Stunden am Stück und bekamen Drogen dafür!“

[23] Ein auf dem Kopf befestigter tragbarer Computer mit einem Display in Form einer Brille, womit Nutzer über Sprachbefehle durchs Internet navigieren. Manche Polizeibehörden sind besonders interessiert. Nach vorläufiger Einführung 2013 zog Google die Technologie zurück. Dies geschah nach viel Kritik und Privatsphäre-Bedenken bezüglich der kontinuierlich aufnehmenden und Daten scannenden Kamera, einschließlich des Verbots der Brille und der sie tragenden “Glassholes” in einigen öffentlichen Räumen und mindestens einem Fall in dem ein Träger der Brille wegen ihrer invasiven Präsenz in einer Bar in San Francisco angegriffen und der Brille entledigt wurde. Versuchsweise kündigte Google an 2017 einen überarbeiteten Prototyp (dessen Headset vermutlich etwas weniger aufdringlich erscheinen wird) vorzustellen.

[24] Tatsächlich folgten die ersten Proteste in San Francisco gegen die Technologiebranche auf eine Rede des Bio-Technologie-Unternehmers Balaji Srinivasan, in der er feststellte, dass der Rest Amerikas das Silicon Valley aufhalte, und dass es Zeit sei, eine Abspaltung zu erwägen. Damit das nicht für einen Witz gehalten wird, reichte ein Risikokapital-Anleger namens Tim Draper ordnungsgemäß eine Petition ein, Kalifornien in sechs Teile, mit einem unabhängigen Silicon Valley, dem mutmaßlich reichsten Staat in Amerika und dem angrenzenden Central California, dass sogar ärmer als Mississippi wäre, zu teilen.

[25] „Traditionell verfechten Aktivisten, die Gentrifizierung, Kommerzialisierung und das Aufzwingen sozialer Kontrolle konfrontieren, die Dichotmie eines öffentlichen und eines privaten Raumes. […] Aber einige an diesen Bewegungen teilhabende Anarchisten und andere Antikapitalisten halten diese, die Menschen vor eine künstlich eingeschränkte Wahl stellende Zweiteilung, für irreführend. Ihre Interventionen in der Bewegung gegen die Privatisierung der Gesundheitsversorgung zeigen eine dritte Option; weder privat, noch öffentlich, sondern gemeinschaftlich. Diese Dreiteilung ist Kern der Analyse in dem [katalanischen] Buch “Health in Peril, Bodies in Struggle: From the resistance against the cutbacks to the self-organization of healthcare”, („Gesundheit in Gefahr, Körper im Kampf: Vom Widerstand gegen die Kürzungen zur Selbstorganisation der Gesundheitsversorgung“), welches selbst ein Ergebnis der anarchistischen Beteiligung in diesem Kampf ist. Die enthaltene Sichtweise kritisiert Progressive für ihre kurzsichtige Begrüßung öffentlicher bzw. staatlicher Gesundheitsversorgung, wodurch das, worauf dieser Service basiert, wie beispielsweise dass Körper wie defekte Maschinen behandelt, ökonomische Bedürfnisse über menschliche gestellt werden und die patriarchale Durchdringung aller Praktiken, ignoriert wird. Statt einfach die Kürzungen rückgängig zu machen, so wird in dem Buch argumentiert, sollten wir der gegenwärtigen solidarischen Stimmung erlauben, uns und die Institution der Gesundheitsversorgung an sich umzuwandeln, indem wir die existierenden Krankenhäuser und Kliniken besetzen und selbst organisieren, Medizin selbst neu denken, um ein ganzheitliches, ökologisches und präventives Konzept von Gesundheit voranzutreiben und Gesundheitsversorgung vollständig zu vergemeinschaften und in unsere eigenen Hände zu nehmen, statt sie Regierungen oder privaten Unternehmen anzuvertrauen. Die selbe Dreiteilung kann auf den Kampf um den Raum und die Stadt angewendet werden. Im Gegensatz zur demokratischen Mythologie gehört öffentlicher Raum nicht uns, sondern dem Staat und es ist relativ einfach für die Regierung ihn an private Verwaltung übergeben zu lassen. Tatsächlich ist es nicht entscheidend, ob Raum von privaten Securities oder der Polizei kontrolliert wird; die kritische Eigenschaft ist, dass er in jedem Fall weder uns gehört, noch dass es uns erlaubt ist, seine Nutzung, Rahmenbedingung, Bebauung oder sein Verschwinden direkt zu bestimmen. […] Während der Ausarbeitung der 2006 verabschiedeten bürgerlichen Verhaltensverordnung empfing Barcelona New Yorks Ex-Bürgermeister Rudolph Giuliani, der die Stadtregierung zur “Broken-Window-Theorie”, “Null-Toleranz-Taktiken” und der Säuberung des Stadtbildses der Stadt beriet. Die “civismo” Gesetze haben sich seitdem über Spanien verbreitet und Guiliani wurde als bedeutender Beeinflusser des (damaligen) Bürgermeisters Barcelonas, Xavier Trias, bezeichnet. [Die bürgerliche Verhaltensordnung] war tatsächlich keine Privatisierungsmaßnahme, aber sie beschränkte den Zugang der Leute zum Raum eben so stark. Die neuen Gesetze verstärkten die staatliche Kontrolle des Raumes massiv durch Einführung oder Erhöhung der Strafen für viele in der Arbeiterschicht verbreitete Nutzungen des öffentlichen Raumes, wie Musikspielen oder Trinken auf der Straße, Wäsche vom Balkon hängen, Graffiti etc.. Einige dieser Maßnahmen nützen direkt privatisierten Räumen, z.B. das Trinken von Bier auf einer Bank zu kriminalisieren, aber an einem von einer Bar auf die Straße gestellten Tisch zu erlauben (natürlich nach dem Zahlen für eine Genehmigung der Stadtregierung). Das unterstreicht nur, was das derzeit dominante Entwicklungsmodell der “öffentlich-privaten Partnerschaft” bereits klar macht: Es gibt keine grundlegende Spannung zwischen öffentlichem und privatem Raum. Die zwei Ideale existieren auf einem ununterbrochenen Zusammenhang gemeinsamer Interessen. Wenn man schließlich die relativ milden städtischen Konflikte durch die Privatisierung öffentlichen Raumes mit den Jahrhunderten der Einzäunung, des Krieges, der Massenexekutionen, Deportationen, Räumungen und Entwurzelung vergleicht, die die modernen Staaten durchlaufen mussten, um die Reste des gemeinschaftlichen Raumes zu zerstören und die Institution des öffentlichen Raumes allgemein durchzusetzen, wird klar, wo der wirkliche Unterschied liegt. Die richtige Frage ist nicht: Welche äußere Macht regiert die Räume in denen wir gezwungen sind unsere Leben zu verbringen? Sondern eher: Haben wir direkte Kontrolle über die für uns lebensnotwendigen Räume oder nicht? Das ist die Logik, die das Konzept des gemeinschaftlichen Raums ausmacht. Warum ist diese theoretische Nuance in dem Kampf gegen Gentrifizierung so wichtig? Weil den Kapitalismus alles, was ihn nicht umbringt, stärker macht. Wenn wir, um die bloße Aufhebung des letzten Skandals zu fordern und einen spezifischen Gentrifizierungsplan zu blockieren, all die mobilisierte Energie und Wut verschwenden, aber die Stadt weiterhin einer Elite anvertrauen, der andere Interessen am Herzen liegen, werden wir höchstens eine Vertiefung unserer Misere verhindern, eben so wie der soziale Wohlfahrtsstaat revolutionäre Arbeiterbewegungen mit einer Reihe öffentlicher Leistungen befriedete, nur um diese wieder abzuschaffen, sobald die Bewegungen zerfielen und der Neoliberalismus entstehen konnte.“
(- Precarity in Paradise)

[27] 1983 merkte die Gruppe an, dass „für über drei Jahre ein spezielles Gericht des Staates (möge es in Frieden ruhen) und mehrere Dutzend Söldner nach uns suchten: Ihre materiellen Ressourcen sind hochentwickelt, aber ziemlich ungenügend, und unsere letzte Aktion gegen das Informationszentrum der Stadtverwaltung von Haute Garonne muss ihnen gezeigt haben, dass wir mehr über sie wissen, als sie über uns!“

[28] Auf die Frage in einem Pseudo-(Selbst-)Interview, warum sie Computer sabotieren, antworteten sie: „Um jeden herauszufordern, Programmierer und nicht Programmierer, so dass wir etwas mehr über diese Welt in der wir leben und die wir kreieren und über die Art und Weise, wie die Computerisierung diese Gesellschaft umwandelt, nachdenken können. […] Im Grunde greifen wir das an, wozu diese Geräte führen: Akten bzw. Dateien, Überwachung mittels Ausweisen und Karten, Instrumente der Profitmaximierung für die Bosse und beschleunigter Verarmung der Ausgeschlossenen… […] Mit den Instrumenten der Machthaber konfrontiert, haben beherrschte Menschen schon immer Sabotage und Subversion genutzt. Das ist weder rückschrittlich noch neu. In die Vergangenheit blickend sehen wir nur Sklaverei und Entmenschlichung, außer wir gehen zu bestimmten sogenannten primitiven Gesellschaften zurück. […] Mit unseren Aktionen wollten wir die materielle Natur der Computerinstrumente auf der einen und die Herrschaft als ihre Bestimmung auf der anderen Seite unterstreichen. Letztendlich ist das, was wir tun, jedoch in erster Linie Propaganda durch Aktion, ebenso wissen wir, dass der Schaden, den wir anrichten, beträchtliche Rückschläge und Verzögerungen verursacht. […] Diese Aktionen sind nur die sichtbare Spitze des Eisbergs! Wir selbst und andere kämpfen jeden Tag auf weniger sichtbare Weise. Bei Computern sind, wie bei der Armee, der Polizei oder in der Politik, ja bei allen privilegierten Instrumenten der Macht, Fehler die Regel, und diese zu lösen, beansprucht den Großteil der Zeit von Programmierern! Das nutzen wir aus und das kostet unsere Arbeitgeber zweifellos mehr als der materielle Schaden, den wir verursachen. Wir sagen nur, dass die Kunst darin besteht, (Programm-)Fehler zu kreieren, die erst später auftauchen werden, kleine Zeitbomben. Um auf deine Frage zurückzukommen – was könnte einfacher sein, als ein Streichholz auf ein Paket Magnetbänder zu werfen? Jeder kann es tun! Die Tat scheint nur denen übertrieben, die nicht wissen, oder nicht wissen wollen, wofür die meisten Computersysteme genutzt werden.“

[29] Außerdem bekannten sie sich zu dem Abbrennen zweier Maschinen zur Waldrodung in der Region.

[30] Dieselbe Verwirrung herrscht vielleicht unter jenen, die behaupten, dass die moderne Menschheit ihre Geräte so sehr liebt, dass der Druck dieser Sucht sie in jeder potenziell umwälzenden Situation direkt zurück zu jener Ordnung bringen würde, die fähig ist, sie mit diesen Geräte zu versorgen. Wie dem auch sei, aber gibt es irgendwelche Beispiele, die wir untersuchen können? Von ‚Katastrophen‘ hin zu Aufständen scheint es, dass manche Momente das Potential haben, uns in einen Raum voller komplett neuer Möglichkeiten und Prioritäten zu bringen. Wie dumm wäre es zu denken, dass, trotz der Systemstörungen und „Übung”, die wir durch das Verursachen temporärer Blackouts in der Gegenwart erreichen können, eine endgültigere Durchtrennung unserer digitalen Nabelschnur isoliert von einer generelleren Umwälzung sozialer Beziehungen passieren würde?