… Unter einem sich verändernden Himmel

 

Deutsche Version entnommen aus Zündlumpen nr.085

 

Wer kann der Tatsache aus dem Weg gehen – abgesehen von autoritären Massenmedien-Diskursen, die oft ebensoviel verschweigen wie sie preisgeben –, dass unsere Welt zunehmend undenkbarer wird? Lauernde Pandemien, ölgetränkte Meereslandschaften, die Ströme von Menschen, die vor einem Zusammenbruch sozialer und ökonomischer Konstellationen fliehen, der allgegenwärtige Rauch ethnischer Konflikte, Krieg, oder Enteignung, die Entfernung der dürftigen früheren Barrieren für die Ausbeutung. Instabilität scheint die eine, sichere Verheißung dessen zu sein, was kommen wird, für diejenigen von uns, denen vom globalen System ursprünglich alle Gewissheiten verkauft wurden. Zusätzlich zu der sich zuspitzenden Misere, die von unserer unterschiedlichen aber universellen Unterwerfung verursacht wurde und parallel zu dem Zusammenbruch der Biodiversität müssen wir uns mit dramatischen Klimaveränderungen herumschlagen, die vermutlich größere Ausmaße annehmen werden, als das in der Geschichte der Existenz der Erde je gesehen wurde.

Teile der Welt haben die Anzeichen ihrer Zukunft auf einem Planeten erblickt, der von den Verwüstungen des industriellen Systems überhitzt ist, auf die Regentropfen vor dem anstehenden Wolkenbruch, als der Mega-Sturm mit einem Auge von 300 Meilen Durchmesser (der gewaltigste, der seit Beginn der Aufzeichnungen das Land erreichte) durch mehr als fünfzig Städte in den Philippinen fegte und dabei tausende von Menschen tötete und Millionen vertrieb. Unmittelbar darauf marschierte ein Großaufgebot der Armee in das Katastrophengebiet ein, um die staatliche Präsenz wiederherzustellen, mit Hilfspaketen, die in Rathäusern gehortet wurden und die Soldaten verwöhnten und die nur in den Gebieten wirklich verteilt wurden, in denen sich die Weltpresse versammelte. Die kultivierte Abhängigkeit von der industriellen Gesellschaft wurde wie eh und je ausgeschlachtet, durch beinahe doppelt so hohe Preise für verkaufte Grundnahrungsmittel und Pharmazeutika, ebenso wie durch die lukrative Rückkehr der Energieversorgung.

Näher an unserer Heimat haben wir die klimatischen Ausbrüche von Winterstürmen in Britannien geschmeckt, die die schwersten nationalen Überschwemmungen in den 250 Jahren seit Beginn der Industrialisierung, wenn nicht noch länger, verursachten. Schottland machte während dem weitverbreiteten Chaos des frühen Dezembers einen beinahe vollständigen Shutdown von Schulen und Transportnetzen durch. Ein Passagierjet wurde vom Blitz getroffen. Die Medien vermittelten Bilder ganzer Straßen mit hüfthoch stehendem Wasser, während tausende auf der ganzen Insel aus ihren Heimen gezwungen wurden. Das Militär intervenierte, um mit einigen schwer betroffenen Gebieten fertig zu werden und einige kurzentschlossene Geschäftsleute machten ansehnliche Gewinne mit dem privaten Verkauf von Sandsäcken an das verängstigte Mittelengland. Bisher ungekannte Wellen brachen sich entlang der kornischen Küste, während in der gesamten Nation Hochwasserschutzanlagen, Klippenwände und in einem Fall eine Zuglinie erodierten oder an die See verloren gingen. Während das Wasser nun in überfluteten Dörfern, Stadtzentren und Feldern zurückgeht, werden nun sowohl Vieh als auch wilde Tiere auf allen Stufen des Nahrungszyklusses durch verteilte Pestizide und toxische Chemikalien vergiftet, die aus den Industrieanlagen des Landes ausgespült wurden.

Zeitgleich und in direkter Beziehung hält die schwere Dürre , die die westlichen Vereinigten Staaten ergriffen hat, das zweite Jahr an und verursacht einen Ausnahmezustand in Kalifornien mit verheerenden Auswirkungen auf die Ernte und die Wasservorräte. Zunehmende Instabilität des Polarwirbels und Jetstream-Wetterphänomene lassen diese Auswirkungen von historischem Ausmaß entstehen. Hier hat die Regierung das steigende Überflutungsrisiko als eine der größten möglichen Auswirkungen des Klimawandels im Vereinigten Königreich beschrieben (was sich mit unseren gelebten Erfahrungen der letzten paar Jahre deckt), aber die Wahrheit ist, dass das Klima zunehmend unbeständig ist und die „Expert*innen“ nur eine äußerst ungewisse Vorstellung davon haben, was zu erwarten ist. Extreme Temperaturen, die überall auf dem Planeten überboten werden (sowohl nach oben, als auch nach unten) verkünden den bevorstehenden ökologischen Zusammenbruch.

Es ist wohlbekannt, dass es vor allem die Bevölkerungen des globalen Südens sein werden, die als erste von vielen Auswirkungen der globalen Erwärmung betroffen sein werden und die es in einigen Regionen bereits hart trifft. Hochwasser und Erdrutsche sind in den Philippinen bereits vor dem spektakularisierten Trommelfeuer zur Normalität geworden und die sich verändernden Wettermuster forderten Berichten zufolge bereits 300.000 Leben jährlich in einer Nation, in der 60 % der Menschen nun in von Überflutungen betroffenen Regionen leben. Die Inselgruppe liegt an der Frontlinie von Katastrophen, die von Stürmen ausgelöst werden, darunter Ernteausfälle, Wasserknappheit und die Verbreitung von Krankheiten. Ironischerweise sind einmal mehr die Regionen, die bereits kolonisierte, dem Ressourcen-Extraktivismus „geopferte Zonen“ für beinahe alle kapitalistischen Kern-Volkswirtschaften sind, die ersten, die von den Konsequenzen des Hyper-Konsums letzterer getroffen werden. Aber selbst in Europa gibt es Beispiele, wie die Hafenstadt von Rotterdam, das ökonomische Herz der Niederlande, die stellenweise mehrere Fuß unterhalb des Meeresspiegels liegt und die von beständiger technologischer Intervention abhängig ist, wie sie und bedeutende Teile von Holland es seit Generationen gewesen sind, um eine Katastrophe zu vermeiden. Ein Systemausfall würde ihre Einwohner*innen überschwemmen. Überall auf der Welt sind viele der dichtbesiedeltsten und am schnellsten wachsenden Mega-Städte an den Küsten gelegen und dem unaufhaltsam steigenden Meeresspiegel ausgeliefert. Das New Orleans von gestern könnte das Bangkok, Lagos, Mumbai oder Melbourne von morgen werden.

Die Gefühllosigkeit der industriellen Entwicklung und der permanente Bedarf der Zivilisation sich auszudehnen, sät Tod und Elend von Millionen von Menschen. Eine unvorstellbare Bevölkerungsexpansion wurde (üblicherweise durch die Untergrabung der körperlichen Autonomie von Frauen) von der Weltwirtschaft der vergangen Jahrzehnte in Gang gesetzt, um den kapitalistisch-industriellen Koloss mit Arbeiter*innen zu füttern. Nun finden wir uns oft gefährlich festgesetzt auf grundsätzlich ungeeignetem Terrain wieder; Terrain, das den ökologischen Verteidigungsmechanismen gegen Katastrophen entblößt ist, entweder durch Waldrodungen, den Verlust der Moorlandschaften der Küste oder durch die Ausbreitung einer neuen, undurchdringlichen Betonhaut über der Erde oder durch landwirtschaftliche Zersetzung des Bodens. Wenn die rauen Wetterlagen die Massengesellschaft treffen, sind die Auswirkungen bereits verstärkt  [1].

Zu dieser Verwundbarkeit kommt die überwiegend schlampige Bauweise der meisten Städte durch Kosteneinsparungen und die Maximierung der Profite, wie sie der kapitalistischen Entwicklung eigen sind, sowie die umgebenden, leicht zu zerstörenden industriellen Überbleibsel [2]. Nach der Zunahme extremer Flächenbrände, Erdrutsche, Hurrikans, Erdbeben, Fluten, Blizzards und mehr in den letzten Jahren, sind die Trümmerhaufen nur eine weitere Einnahmequelle für die Bosse – eine anhaltende Katastrophe ist ein Weg, weiter zu profitieren, selbst nachdem die Produktion auf einem Waren-kolonisierten Globus an andere Grenzen gestoßen ist. Ähnlich der multinationalen Unternehmensgruppe, die anrückte, um das Blutbad im Irak zu kapitalisieren, nachdem die alliierten Bombardements viel der zivilen Infrastruktur dem Erdboden gleich gemacht hatten, bewerben sich Unternehmen um Verträge die beschädigten Gebiete vor der nächsten Welle wiederaufzubauen und es entstehen gänzlich neue Märkte in technologischen Feldern, die behaupten, die gewissen zukünftigen Turbulenzen lindern zu können. Die nächste Runde des Scheiterns der Technologie bietet, wie immer, die nächste Gelegenheit für neue Geschäfte, die dann im Gegenzug ein neues Problem für die zukünftige Generation mit sich bringen: Außer dass der Zyklus nun beinahe auf wöchentlicher Basis wiederkehrt. Der Staat nutzt die desaströse Beunruhigung um alle möglichen Arten von sozialer Kontrolle sowohl auf Mikro- als auch auf Makroebene einzuführen und die Herrschaft der (von ihnen bestimmten) Expert*innen zu erzwingen. Diese Institutionen behaupten die einzigen zu sein, die uns retten können, ungeachtet ihrer in die herrschende Bürokratie verwickelten Position, ihrer Teilnahme an dem gesamten Ensemble, das uns über die Klippe der totalen Auslöschung trägt.

In den kapitalistischen Metropolenstaaten ist die vorübergehende Verschnaufpause vorbei, die uns in der jüngsten Ära durch die Verlagerung der unverfroreneren Verwüstung von Land durch den intensiven Energieextraktivismus in den globalen Süden beschert wurde. Das „Fracking“ von Schiefergas ist nun bereit, die Hinterhöfe der europäischen Konsument*innen so richtig auszuplündern, um das Leben der petrochemischen Maschine über die Vorhersagen der „Peak Oil“-Theoretiker*innen hinaus zu verlängern. Die USA und Kanada bereiten sich sogar darauf vor, mit dem Export von Tankschiffen des verflüssigten Gases zu beginnen, so groß ist sein derzeitiger (wenn auch vergänglicher) Überfluss. Wirklich, anstatt sich zu bremsen, beschleunigt sich der Industrialismus in allen Ecken der Welt, in denen sich seine Tentakeln breit gemacht haben. Innerhalb der eingefleischten, kapitalistischen Wachstum-oder-Pleite-Logik kann es keinen anderen Weg geben; es gibt nichts, was die Expert*innen innerhalb dieses Rahmens tun könnten, wie die Jahrzehnte internationaler Klimagipfeltreffen in ihren Resultaten belegen – immer bloß heiße Luft.

Zugleich entfaltet sich der Pfad, dem wir folgen sollen, vor unseren Augen. Eine neue freiwillige Unterwerfung der Bürger*innenschaft unter die Maschine wird im Namen des vom System neu begründeten Pseudo-Umweltschutzes und mysteriösen Nachhaltigkeitsmanagements kultiviert. Individuelle Verschwendung von Recycling-Materialien und Energie durch die Konsument*innen soll gemeldet und bestraft werden (ohne die allgemeine Abhängigkeit von diesen Verbrauchsmaterialien zu hinterfragen oder gar die stinkenden Industrien, die sie erzeugen). Nuklearer Ausbau ist plötzlich die „ökologische Option“. Steigende Preise sind bloß der Dominoeffekt von Chinas und Indiens ökonomischem Wachstum … Wir können die Situation auflösen, wird gesagt – du wirst natürlich einige Opfer bringen müssen, aber die Welt wird weiter den gleichen Imperativen folgen, die dich mit einer solchen Vertrautheit einsperren. „Alles wie gehabt“ kann und muss weitergehen. Unterdessen zurück in der Realität: Bedeutende wissenschaftliche Studien, die durchgesickert sind, prognostizieren drastische Auswirkungen eines 2,5-Grad-Anstiegs der Temperaturen in den kommenden 80 Jahren, darunter Ernteeinbußen von 2% pro Jahrzehnt, während der Bedarf einer rapide wachsenden Weltbevölkerung um 14% je Dekade wächst. Und dieses Maß an Temperaturanstieg wird als eine konservative Schätzung betrachtet. Ernten, die hochsensibel auf Temperaturschwankungen reagieren, wie Weizen, Mais und die asiatische Reisernte, die beinahe die Hälfte der Weltbevölkerung ernähren, werden am schlechtesten wegkommen – und haben bereits Missernten in den großen Kornspeicher-Regionen der internationalen agro-industriellen Zonen erfahren. Landwirtschaft in den Tropen und Subtropen, an Orten wie den Philippinen, wird vermutlich am härtesten getroffen werden [3]. Zudem werden sich die zerstörerischen Auswirkungen, die bereits in der Fischerei in tropischen und subtropischen Regionen beobachtet werden können, noch verschärfen, wenn die Meerestemperaturen steigen und die majestätischen Korallenrifforganismen unwiederbringlich beschädigt sind. Es wird geschätzt, dass beinahe ein Drittel der Meeresoberfläche (das ist ein Viertel der gesamten Oberfläche des Planeten) mit dem schwimmenden Plastikmüll der industriellen Gesellschaft bedeckt ist.

Selbst Mainstream-Journalist*innen können nun offen über die Krise dieser Zivilisation sprechen, eingerahmt von den Aktienkursen und Fluglinien-Werbungen, in dem Versuch, ein Verwaltungsprogramm zu finden, das sie vor ihrem Todeskampf rettet. Natürlich gibt es noch die konservative Nachhut, die sich noch immer an die voll entfaltete Verleugnung klammert – wie der britische Umweltminister, der die klimatischen Veränderungen, die gerade in Gange sind, als „wirklich ziemlich harmlos“ beschreibt – aber sie werden zunehmend selbst vom Rest des Establishments als peinlich betrachtet. Stattdessen wird mehr Tinte, Blut und Schweiß vergossen, in dem Versuch eine Arbeitshypothese zu entwickeln, wie genug Energie beschafft werden könnte, um die chronische Abhängigkeit dieser Zivilisation von fossilen Brennstoffen zu überwinden, während die technologisch-industrielle Ordnung ansonsten intakt herauskommt. Ob das möglich sein wird oder nicht, bleibt abzuwarten; und ihnen läuft die Zeit davon. Alles was bisher versucht wurde, um die Katastrophe lange genug abzuwenden, um neue Energiequellen zu erschließen (Entsalzungsanlagen, um den schwindenden Wasserreservoirs entgegenzuwirken, Hydrokultur-Gewächshäuser für den Anbau von Getreide, der wegen abgetragenen Oberböden einbricht, Bergbau von Erzen mit niedrigerer Konzentration) braucht nur noch mehr Energie als im Moment und erscheint so unmöglich, wenn man eine wachsende Weltbevölkerung berücksichtigt, ebenso wie einen steigenden Pro-Kopf-Konsum. Die Versprechen des „Fortschritts“ und der „Entwicklung“ werden mit impliziten Drohungen damit, was passieren würde, wenn das Machtgefüge in sich zusammenbrechen würde, unterstrichen, indem sie uns an die vollständige Abhängigkeit erinnern, die sie tatsächlich erreicht haben. Paradoxerweise fährt die industrielle Zivilisation unterdessen beständig fort, uns in die Gaskammer marschieren zu lassen und die Tür hinter uns zuzuschlagen.

Man kann sagen, dass diejenigen, die sich für die Fortsetzung dieser Zivilisation einsetzen, ihre Katastrophe durch die vielgepriesenen, möglichen Fortschritte der genetischen Manipulation, der Nanotechnologie, des Geo-Engineering, der Robotik und der synthetischen Biologie abwenden mögen – „der Endlösung“, die die Erde und uns selbst bis zum höchstmöglichen Grad verstümmelt und verkünstlicht [4]. (Vielleicht gefällt ihnen diese Vorstellung besser als denjenigen Wesen, die in den Raffinerien, Slums oder dem letzten verbleibenden „Naturreservat“ eingeschlossen bleiben würden.) Aber natürlich sprechen wir nicht von der gleichen Katastrophe wie die Staatsplaner*innen, die grünen Unternehmer*innen und professionellen Umweltschützer*innen. Für uns reicht die Katastrophe weiter zurück als die globale Erwärmung oder der Industrialismus. Die Höhepunkte der Vergiftung, Massenvernichtungen und extremen Verletzlichkeit der Umwelt des modernen Lebens sind schlicht fortgeschrittene Symptome krankender sozialer Organisationen, die Jahrtausende zurückreichen. Diese sind dieselben sozialen Organisationen, die uns unseres Gleichgewichts in der Welt berauben, ebenso wie unserer individuellen Handlungsmacht und Selbstschöpfung außerhalb der Reproduktion der Zivilisation.

Vielleicht sind die gefährlichsten Katastrophen diejenigen, die schleichend vonstatten gehen, die, deren volle Konsequenzen nicht sofort sichtbar sind, sondern die Form einer beständigen und rastlosen Entwertung dessen annehmen, was es heißen könnte frei und wild zu leben. Wie die Trennung von dem Land, auf dem wir leben, die uns nun den Notstand vor allem durch Nachrichten begreifen lässt und bloß geringfügig durch das, was wir persönlich als Teil unserer alltäglichen Realität sehen, schmecken oder berühren, bis uns die Kraft verlässt und der Hahn versiegt. Vielleicht war die Krise immer schon da oder hat sich zumindest zusammengebraut in Gestalt von Verdinglichung, von Autorität, von einer langen Reihe an Krieg führenden und hortenden zivilisierten Kulturen, die die Vorstellung von sowohl realer Individualität als auch realen Wechselbeziehungen verachteten. Die Flugkurve kann von da an bloß noch bergab verlaufen, mit dem Verlust des Respekts und Staunens vor/über die Welt, die sich in den Ethos der Kontrolle und Herrschaft verwandeln, in dem jede Kreatur zu einem Zahnrad wird, das an den richtigen Ort gesetzt werden muss: Bürger*in, Sklav*in, Verwalter*in, Ressource, Schädling. Wir leben während der Periode des sechsten bekannten planetaren Massensterbens [5], das erste, das von einer einzigen Lebensweise verursacht wurde (es wäre inakkurat die Schuld dafür einer einzelnen Spezies zu geben), das aufgrund der schwerwiegenden Auswirkungen, die die industriellen Unternehmungen auf die Geologie der Erde haben, als das Anthropozän bekannt geworden ist. Doch bevor wir die Phase der häufigen und wissenschaftlich-unerklärlichen Populations-Einstürze von Spezies überall auf der Welt erreichen konnten, mussten wir die kulturelle Entscheidung treffen und anschließend systematisieren, dass selbst eine einzige Form des Lebens weniger wichtig sei, als der Profit und die Kontrolle, die ihr Untergang „uns“ einbringen würde. Bevor wir die Phase hilfloser Gefangenschaft innerhalb der industriellen Gesellschaft, die wir weder lenken noch begreifen, erreichen konnten, mussten wir erst durch die Auferlegung komplexer technologischer Systeme im Interesse früherer sozialer Ordnungen gehen, die diese Prozesse normalisiert haben, deren Folgen niemals vollständig absehbar oder verständlich waren und die nie zu enden scheinen. Bevor es so gänzlich normal geworden ist, so „entschuldbar“, routinemäßig bestimmte Körpertypen zum Ge- und Missbrauch zu objektifizieren, musste es erst eine Trennung und Verdinglichung durch ein Sex-Gender-System geben, um der Reproduktion bestimmter sozialer Konstellationen zu dienen. Bevor es überhaupt vorstellbar wurde, die meisten Tage deines Lebens als Arbeiter*in im Dienste von „Vorgesetzten“ zu verbringen, musste erst der Zustand geschaffen werden, in dem du weder das Wissen, den Raum, die Zeit oder die Gesellschaft hattest, deine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und diese Hierarchien überflüssig zu machen.

All diese Phänomene haben greifbare Geschichten und werden heute noch immer von realen Menschen durch reale Institutionen ausgeübt. Das Problem ist nicht himmlisch, ungreifbar, obwohl die Machtstrukturen, die von ihm hervorgebracht wurden in unseren Beziehungen so diffus geworden sind, dass wir die Probleme regelmäßig selbst reproduzieren (ob gewollt oder ungewollt). Der Modus unter dem wir arbeiten – Zivilisation – ist eine Todesfalle. Es ist nicht schwer, die Symptome auszumachen, von den großen Rüstungsmärkten und Roboterdrohnen, finanzieller Erpressung, Menschenhandel und Handel von nichtmenschlichen Tieren, computerisierten sozialen Welten, die Selbstmorde und Entfremdung verursachen, einer Massenvergewaltigungskultur und häuslicher Folter, einer schleichenden Kultur der Überwachung, Klimaflüchtlinge unter allen Spezies, pharmazeutischer (Selbst-) Lobotomisierung, bis hin zu sklavischer Zusammenarbeit mit dem imperialistischen Traum „allumfassender Herrschaft“. Die Klimakrise ist nur eine weitere ökologische Ergänzung (ebenso, wie sie auch Produkt von ihr ist) der sozialen, psychologischen, imaginären, existenziellen und allumfassenden Krise, die unsere Gattung bereits jeden Tag erlebt. Das kollektive Resultat ist ein Sozialsystem, das so psychotisch ist, dass es jedes Element, von dem es selbst abhängt (Erde, Wasser, Luft, Wälder, Metalle, fossile Brennstoffe), zusammen mit möglicherweise jedem komplexen Leben auf dem Planeten in Gefahr gebracht hat; und die Fähigkeit von jeder einzelnen seiner Geiseln, außerhalb von ihm unabhängig zu existieren oder Selbstverwirklichung außerhalb seines Paradigmas zu erreichen, zerstört hat. Unsere Sehnsüchte nach Freiheit werden hauptsächlich dadurch unter Kontrolle gehalten, dass unser Lebensunterhalt von der direkten Beziehung zu der Landbasis, die wir bevölkern, getrennt wird und dann all die Kontrollen und Manipulationen zur Anwendung gebracht werden, denen wir in Folge dieser Enteignung zum Opfer fallen. Mit jedem Tag, der verstreicht, wird die Krise mehr Menschen bewusst, doch jeden Tag verfeinern die Laboratorien, die Medien und die Einheiten der öffentlichen Ordnung ihre Methoden und die Chance einer Revolte schwindet zusammen mit den Anteilen des modernen Lebens dahin, die sich wert, gelebt zu werden, anfühlen. An der ideologischen Spitze dieses abscheulichen Verlaufs der Kultur steht die akademische Verehrung der Technologie, die darauf abzielt, die „ethische“ Grundlage dafür zu legen, die mörderische kommerzielle und wissenschaftliche Machtstruktur aufrecht zu erhalten; und es sind nicht nur die aufgedrehten Futurist*innen, die vielleicht offensichtlicher mit den Multis unter einer Decke stecken. Es sind auch Leute wie die selbstbezeichnende „Umweltschützerin“ Emma Marris – die nicht nur darauf besteht, dass Wildnis an sich ein nicht mehr bestehendes Konzept ist und dass wir uns mit einer Umwelt anfreunden sollten, die beinahe ausschließlich von der Technologie geformt wurde (wobei sie in die Rhetorik eines sogenannten Pragmatismus angesichts des Klimawandels verfällt, und obwohl sie zugibt, dass sie selbst so gut wie keine Zeit in tatsächlicher Wildnis verbracht hat), sondern auch, dass das eigentlich erstrebenswert sei.

Wenn du noch immer nicht der Meinung bist, dass dies einen Zustand des Krieges auf allen Ebenen darstellt, der Angreifer*innen umfasst, auf die wir nur mit unserer Gewalt reagieren können, dann haben wir einander vielleicht nichts zu sagen. Wenn du entschlossen bist, zu kämpfen, dann können wir zu den Fragen des Wie, Wo und Mit wem kommen.

Es gibt durchaus Missmut gegen das globale kapitalistische System. Von den vielen möglichen Auslösern von Revolten sind jüngst einige wiederholt aufgetreten. Obwohl alle miteinander verknüpft sind, wollen wir einen näheren Blick auf einen werfen. Innerhalb des industriellen Ernährungssystems sind die Preise für Lebensmittel eng mit den Ölpreisschwankungen verknüpft (wegen der Abhängigkeit der modernen Landwirtschaft von fossiler Energie). Folglich sind die Märkte zusätzlich zu den kapitalistischen Spekulationen und den schwindenden Erträgen, üblicherweise aufgrund der Auswirkungen, die die Landwirtschaft auf die Böden hat, zunehmend instabil. Das ist nun gepaart mit einer schleichenden Kolonisierung von Ackerland, das auf Biokraftstoffe umgepolt wird. Die Höhepunkte der Lebensmittelpreise fielen 2008 mit Aufständen zusammen – in Mosambik, Indien, Tunesien, Haiti und weiteren Ländern. Dann wieder 2011 – in Uganda, Saudi-Arabien, Ägypten … 2012 erreichten die Nahrungsmittelpreise den dritthöchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen mit Zusammenstößen in China, Argentinien, Bangladesch, um nur einige zu nennen. Unter dem zusätzlichen Druck von sowohl Wasser-, Öl-, Finanz- und sozialen Krisen, scheint das Pulverfass dabei zu sein, zu explodieren.

Soziale Revolten lassen sich niemals (oder zumindest nur sehr selten) auf einen einzigen Grund für alle Protagonist*innen auf den Straßen reduzieren. Und selbst die konfrontativsten Bewegungen eröffnen nicht notwendigerweise genug Raum für den befreienden Charakter der Transformation, die wir interessant finden. Teilbereichskämpfe („die das Brot fordern, anstatt die Bäckerei zu plündern“) sind oft Gelegenheiten für den Staat und/oder das soziale Gefüge sich zu festigen, indem er/es Dissens anpasst und integriert. Aber was wir sehen ist eine Welt, die der Möglichkeit der Regierung sie zu kontrollieren und zu rekuperieren entgleitet, offensichtlicher ohne überzeugende Antworten auf ihre Widersprüche und nur geringfügigen Versprechungen für die Zukunft. Und wenn auch nichts gewiss ist, scheint dieser Ausgangspunkt zumindest ebenso fruchtbar zu sein für De-Zivilisierung, wie er es nicht ist.

Von Südafrika bis Bahrain kann man die Angst der herrschenden Klasse riechen, diesen nervösen Tick beim kleinsten Flackern der Aufwiegelung brutale Repression zu entfesseln. Die USA, das Vereinigte Königreich, Israel, die NATO, etc. helfen mit ihrer Aufstandsbekämpfungs-/Befriedungsexpertise, ebenso wie mit der wuchernden Trägheit und Psychose der exportierten „westlichen“ Lebensweisen, aber wird das genug sein? Selbst von hier aus, aus dem isolierten globalen Norden, während das Bild der britischen Riots von 2011 in den Hintergrund einer allgemein-wiederaufgenommenen Lethargie tritt (auch wenn komplementäre anarchistische Angriffe auf Staatskräfte, Unternehmen und Kommunikationsinfrastruktur, die diese Augusttage begleitet haben, in einigen Vierteln alles andere als abgeebbt sind), zählen wir die Feuer am Horizont, während das Jahr mit Aufständen in Thailand, Bosnien, Venezuela und Island beginnt; und wir denken: Es ist hier schon mal passiert, es kann hier wieder geschehen.

Zeiten der „Krise“ (sozial, finanziell oder ökologisch) sind bereits früher ohne oder mit nur geringfügigen Anzeichen eingetreten. In Zonen, in denen die Staatsmacht bröckelt oder sich vielleicht sogar zurückzieht, um ihre ehemaligen Subjekte ihrem Schicksal zu überlassen, könnten wir mehr Gelegenheiten haben, unsere informellen Prinzipien auf menschlicher Ebene in den Wirbel einzubringen. Zum Beispiel indem wir uns unserer verschiedenen Erfahrungen mit DIY-Gesundheitsversorgung bedienen, in Warenhäuser einbrechen oder Gebäude besetzen, Propaganda verbreiten, Bullen angreifen, Essen verteilen oder anpflanzen/suchen und subsistente Lebensfertigkeiten verbreiten; um nicht davon zu sprechen, unsere Offensive voranzutreiben, während das System bereits seine Wunden versorgt. Und wir könnten einen anfänglichen Vorsprung haben, Situationen zu kreieren – andere könnten schlicht auf eine äußere Autorität warten, die die Verantwortung übernimmt und die Normalität fortsetzt.

Das Potenzial außerhalb der Institutionen zu leben, die uns kontrollieren, könnte deutlicher werden, wenn die Illusion der Stabilität einige Schläge einstecken müsste. Nichtsdestotrotz stehen zwischen der modernen Gesellschaft und dem, wohin wir wollen (die Zerstreuung in vertraute und innige Gruppen, angetrieben von einer durch die Erfahrung inspirierten Wahrnehmung ihrer Lebensräume innerhalb einer größeren Wirtsökologie), das eingefleischte „Bedürfnis“ nach diesen Institutionen in den kulturellen Annahmen, die von der Zivilisation festgelegt und umgesetzt werden. Deshalb fassen wir ebenso Mut von den Anarchist*innen der Philippinen, die in Hurricane-gebeutelte Regionen reisten, um Solar-Ladestationen, Medizin, eine freie Küche, Stressbetreuung, Kinderspiele und andere informelle Unterstützung zu teilen. Die Ansicht, die sie vertraten: „Für uns ist das kein heroischer Akt, wir glauben, dass Helfen eine normale und übliche Beziehung in vielen Organismen ist. Derzeit ist der Mensch grundsätzlich von der Vorstellung eines Wettbewerbs geleitet, der vom Kapitalismus und dem Estatismus aufgezwungen wird. Die Vorstellung von Überlegenheit, Hierarchie, Einheitlichkeit und zentralisierten Strukturen hat unsere Werte gestört. Unsere Beziehung zur Natur, zu uns selbst und zu anderen wird nun durch Herrschaft und Kontrolle bestimmt, die schließlich in Ungleichheit, Armut, Ignoranz, Patriarchat und ökologischer Zerstörung resultiert.“

Doch um nicht als Wohltätigkeitsarbeiter*innen (Solidarität in eine Richtung) rekuperiert zu werden und so schlicht zu einem stabilisierenden Anhängsel der sozialen Maschinerie anstatt zu einigen ihrer Zerstörer*innen zu werden, gelangen wir zu der Notwendigkeit des Angriffs. Unsere Taten als Anarchist*innen müssen auch die Logik der Delegation selbst angreifen. Die Logik, die sich in den einschleimenden „Antworten“ der (selbst „anarchistischen“/öko-radikalen) Politiker*innen ausdrückt, oder in dem Vertrauen auf Widergutmachung durch entweder eine Gottheit oder eine große Reihe von High-Tech-„Lösungen“ anstatt unsere eigenen Fähigkeiten und Beziehungen aufzubauen, die unserem individuellen Temperament und der Örtlichkeit entsprechen. Die Logik, die uns dazu bringt passiv darauf zu warten, dass der Nachrichtensprecher einmal mehr unsere Erlösung verkündet. Die uns in die letzten Wälder zurückziehen lässt, bis der nukleare Wind an Stärke zunimmt, oder die Aussagen „Morgen werde ich kämpfen, wenn wir mehr sein werden…“ Die allgegenwärtige Entfremdung tausender Arten von Spezialist*innen, die unser Leben im Namen der Tyrannei der Effizienz zergliedern.

So sehr es auch wahr ist, dass sich spontane und wechselseitige Post-Katastrophen-Beziehungen angesichts der Krise, wenn der Bannfluch der Normalität gemeinsam mit all ihren Scheuklappen und Garantien gebrochen ist, oft unerwartet zwischen ehemals kalten Nachbar*innen bilden, ist es doch ebenso eine Realität, dass die Antwort der Herrschaft ihren Willen und ihre Ressourcen gegen jede Form von Fahnenflucht in Stellung zu bringen vermag. Während, wie bereits ausgeführt, die Praktiken, an denen wir bereits in der Gegenwart schleifen wollen, in einem destabilisierten Szenario einschneidende Anwendung finden können, wäre es eine Illusion zu glauben, man könne einfach ungestört in die „Risse“ des Systems entschwinden, wenn die Mächtigen sich des aufrührerischen Potenzials, das unser Beispiel schüren könnte, sehr wohl bewusst sind. Man betrachte beispielsweise die Antwort des Staates auf jene, die in Folge des Erdbebens von 2012 in Norditalien nicht in militarisierten „Schutz“lagern quarantänisiert werden wollten, und stattdessen mit Unterstützung der lokalen Anarchist*innen autonome Camps gründeten: Räumungsbefehle und erzwungene Verlegung von Überlebenden in die kontrollierten Gebiete, sowie eine Flotte von Luftüberwachungsdrohnen, die über das Territorium und die Dörfer patroullierten und sogar in Häuser eindrangen. Das System wird einem nur dann Boden gewähren, wenn es unter beachtlichem Druck einer Vielzahl von Faktoren steht, bei denen die sozialen oft ausschlaggebend sind. Aber so hart man sich das heute auch vorstellen kann, während man sieht, dass die Zukunft ganz und gar unvorhersehbar zu sein scheint, so gibt es doch keinen Grund dafür, dass die Offensive, die wir mit all der Kraft und Beständigkeit führen, die wir aufzubringen vermögen, nicht ein Tropfen in den Strom in diese Richtung sein könnte, neben unserem Beschluss hier und jetzt in Würde zu leben.

Unterdessen müssen wir ernsthafte interne und interpersonelle Entwicklungen innerhalb unserer eigenen Kreise (in der Regel auf mehr Arten, als wir zugeben wollen, Mikrokosmen der umgebenden Gesellschaft) angehen, beispielsweise die Bekämpfung unserer eigenen Abhängigkeit von Annehmlichkeiten und die Infantilisierung innerhalb der Konsumkultur und die atomisierten Beziehungen, die daraus hervorgehen. Wie können wir uns selbst unter der industriellen Zivilisation von den künstlichen Unterstützungssystemen trennen – Nahrung, Transport und finanzielle Austauschsysteme unter anderen? Sollten diese Systeme zusammenbrechen, welche Niedergänge können gefeiert werden und welche müssen wir während dem Übergang zu einer unvermittelten, landbasierten Existenz  und den Kämpfen, die erforderlich sind, um dorthin zu gelangen, auf einer Affinitätsbasis enteignen/ersetzen (beispielsweise die westliche Medizin)? Können wir fortfahren bewohnbare Umgebungen für uns und unsere nichtmenschliche Sippschaft zu entdecken und zu erschaffen, die für unsere Feind*innen unbewohnbar sind (wie die Brachflächen des unregulierten urbanen Raumes, die derzeit nicht von der Industrie oder den städtischen Autoritäten genutzt werden, aus denen die gewaltsamen Plünderzüge zur Sabotage oder nach Ressourcen ausgehen können)? Wäre unsere Aufmerksamkeit anderswo besser aufgehoben? Das sind die Fragen, mit denen wir in unseren eigenen Kreisen ringen, obwohl wir offensichtlich nicht für andere sprechen können. Wir hören von Gefährt*innen, wie sie verfechten, dass sie nur die verwesenden Bauwerke dieses Systems fallen sehen wollen und all ihre Energie dafür aufbringen, dieses Ende zu beschleunigen, ohne den Willen zu haben sich mit einem anderen Weg zu beschäftigen, die Welt zu erleben; „Krieger oder Sklave“, sozusagen. Unser voller Respekt gilt all denjenigen, die den Sprung wagen, sich in kämpfende Opposition zur Zivilisation zu begeben, ohne sich Täuschungen hinzugeben, wir finden es nur selbst nicht so leicht, das „Negative“ und „Positive“ so zu trennen wie in dem nihilistischen Ideal, das befriedigt uns nicht. Selbst wenn das egoistisch ist, wollen wir erfülltere Tage leben.

Unser Ziel ist stets der Zusammenbruch der Kontrolle (inklusive der sogenannten „kreativen“ Akte, die uns empowern, während sie das schwächen, was uns unterdrückt). Der Zusammenbruch auch und ganz besonders der Grenzen und des Zögerns, die wir nur allzu oft mit in den alltäglichen Kampf hineinbringen: ohne den Schmerz, den wir in dem Prozess erleben, zu romantisieren oder die Gefahren eines jeden wahren Zusammenbruchs auf einer sozialen Ebene zu verharmlosen. Wir werden nicht vorgeben, eine brauchbare Lösung für die Milliarden von Menschen auf diesem verwundeten Planeten zu besitzen und wir stehen all jenen feindselig gegenüber, die in ihrer Hybris fälschlicherweise behaupten, dass sie eine hätten: üblicherweise von der Art einer Erlösung durch einen „Großen Weißen Ritter“ und stets die Saat eines neuen Verwaltungsapparats, der uns einfangen soll. Da es ohnehin niemals eine einzige Lösung oder einen einzelnen Ansatz, der geeignet oder von einer Mehrheit jeder Bevölkerung aus freien Stücken gewollt wäre, fahren wir fort, dem zu folgen, was sich unserer Ethik nach, ebenso wie den Bedürfnissen unseres ersehnten Habitats und folglich ebenso uns selbst und unseren engen Affinitäten nach, richtig anfühlt. Es steht allen anderen frei, das ebenso zu tun oder ihre eigenen Wege zu finden. Wir sind den Einblicken anderer gegenüber, mit denen wir in Berührung kommen, stets offen, aber ebenso bereit mit dem zu kollidieren, was uns einschränkt, ohne erst nach einem Konsens zu suchen – anarchisch auf die Art zu leben, die wir entdecken, ohne auf eine utopische Zukunft zu warten. Weil wir wissen, dass wir auf diese Weise zumindest unser Leben in unsere eigenen Hände nehmen und dass jede größere Veränderung, die Emanzipation verspricht, ohne das ein Schwindel wäre – unserem eigenen Vergnügen folgend, unsere eigene Vereinfachung zerstörend, unsere eigene Kohärenz im Handeln findend, unsere eigenen Verantwortlichkeiten etablierend, unsere eigene Widerstandsfähigkeit entwickelnd.

Wir erwarten von niemand anderem, dass sie*er unsere Kämpfe für uns führt und wir führen für niemand anderes deren Kämpfe (ohne dabei die Möglichkeit auszuschließen, dass unsere Kämpfe tatsächlich bis zu einem gewissen Grad ein und derselbe sein mögen). Wenn wir also begreifen, dass Befreiung nur erkämpft werden kann und weder von Autoritäten noch von Verbündeten gewährt werden kann, dann wird der anti-politische und aufständische Charakter der Kampfansage deutlich.

Augenblicke dieser Intention lassen sich überall auf dem Globus beobachten und verbreiten sich. Dies war, was die Anarchist*innen sagten, die die Verantwortung für einen jüngeren Angriff auf ein Wahlbüro in Santiago (an sich eine Bastion der Delegation) übernommen haben; dass ihre „Antwort auf so viel Elend die anti-autoritäre Offensive in ihren vielfältigen Ausprägungen und Formen ist. Es ist die unbedingte Anstiftung zur Brandstiftung. Es ist die Brandstiftung selbst, die Idee, die sie motiviert, und auch die Hände, die sie konkret werden lassen, der unbeirrbare Willen derjenigen, die bis zum letzten Atemzug mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, kämpfen werden. […] Wir betrachten Konflikt innerhalb dieser Parameter; diejenigen, die auf revolutionäre Armeen oder Volksmilizen warten, verstehen nicht einmal die Natur des derzeitigen Krieges. Wenn der Konflikt asymmetrisch ist, dann lasst uns zuschlagen und untertauchen (hit and run), lasst uns in Feindschaft gegen den Feind*in handeln, wo immer er*sie sich verstecken mag, an jedem Ort, selbst innerhalb einer*s jeden Einzelnen von uns. Fernab von jedem militaristischen Abdriften, lasst uns die Macht in einer vielgestaltigen Form bekämpfen, in autonomem Handeln und informell organisiert. Angriff ist nicht nur möglich, sondern auch notwendig. Lasst uns Situationen kreieren, ebenso wie Möglichkeiten damit fortzufahren, den Konflikt zu erleben, und lasst uns unsere Vorstöße üben, wo auch immer sie aufkommen.“

Das Elend dieser Zeiten hat unseren Appetit auf eine große Zurückweisung angeregt. Eine, die auf dem Boden des individuellen Willens aufkeimt und dann ihre Vollendung in der gewünschten Gemeinschaft sucht. Eine Zurückweisung, wie sie von Michel Foucault als „eine Vielfalt von Widerständen, jeder von ihnen ein Sonderfall: Widerstände, die möglich, notwendig, unwahrscheinlich sind und andere, die spontan, wild, einzelgängerisch, orchestriert, ungezügelt oder gewaltsam sind“ beschrieben wird. In Nordwest-Frankreich hat sich die Wut gegen ein Megaprojekt des Transportnetzwerks ebenso wie seine Welt in eine anhaltende und teilweise selbstsubsistente Besetzung von hektargroßen Sumpf- und Waldgebieten entwickelt, die eine kollektive Subversion des urbanen kapitalistischen Lebens und seinen Beziehungen ausprobiert [6]. Einige nutzen diesen Ort, um zu Riots in die nahegelegene Stadt aufzubrechen, den Supermarkt in Reichweite massenhaft zu plündern, während sie sich die Cops mit Feuerwerk vom Leibe halten, oder um Stromleitungen zu beschädigen, die das Territorium durchqueren. Verbindungen zwischen den Besetzer*innen und unzufriedenen Bauern, die durch das Mega-Projekt bedroht werden, sind ausgeprägt und eine militarisierte Polizei-Invasion, die mehrere Monate anhielt, scheiterte die Umgebung zu befrieden. In Mexiko haben über mehrere Regierungsbezirke hinweg antiindustrielle Gruppen die Nanotechnologie- und Biowissenschaftspioniere ins Ziel genommen, belästigen, verwunden oder töten sie, greifen ihre Institutionen, Fahrzeuge und Entwicklungszentren an. Die aufkeimende Ausdehnung der Techno-Dystopie hat ihre fleißigen Techniker-Schüler*innen, die das Produkt von Jahren intensiver Bildung und Forschungserfahrung sind – Investments, die zu verlieren dem Technologie-Establishment empfindlich schadet. Um nicht von den Auswirkungen möglicher Infrastruktur-Sabotagen auf unsere Umgebung im Hier und Jetzt zu sprechen – Lasst uns uns daran erinnern, dass, als ein Blackout im Jahre 2003, der von zu hoch gewachsenen Bäumen, die in Kontakt mit den Stromleitungen kamen, verursacht worden war, und der die Elektrizität bis auf die dieselbetriebenen Notstromaggregate im ganzen Tal von Ohio (insgesamt 500 Kraftwerke wurden in Kanada und dem Nordosten der USA heruntergefahren) lahmlegte, das dazu führte, dass sich nach 24 Stunden die Sichtweite um zwanzig Meilen erhöhte, da das Ozon um die Hälfte sank und der Schwefeldioxidgehalt der Luft um 90% fiel. Auf der ganzen Welt versuchen indigene Menschen und Bauern, die noch (immerhin ein paar) Verbindungen zu landbasierten Kulturen haben, den Boom von Minen, Dämmen, Autobahnausbau auszubremsen – sie mögen oft überwältigt werden, aber wie viel schlimmer wäre wohl die derzeitige Kontaminierung der Welt, wenn sie bereits im urbanen Exil eingesperrt wären, anstatt die Erde mit ihren Körpern und manchmal auch mit ihren Waffen zu beschützen? Selbst in der „europäischen Hauptstadt“ Brüssel stören Antagonist*innen das Spektakel seelenruhigen Konsums und Gehorsams. Beamte werden angegriffen, während sie ihrer Pflicht nachkommen, die urbane Umgebung für diejenigen an der Macht umzustrukturieren, Internetkabel und Stromversorgung werden mysteriöserweise unterbrochen, Fahrzeuge des Personals der „Eurokraten“ brennen des Nachts. In Griechenland, das von der Wirtschaftspolitik der neuen Junta (Europäische Union, Internationaler Währungsfond und Europäische Zentralbank) verwüstet wird, bekämpfen Anarchist*innen erbittert die erstarkende extreme Rechte auf den Straßen und verteidigen semi-autonome Räume vor deren Agressionen, ebenso wie vor denen des Staates, während anti-kapitalistische und aufständische Gruppen geräumte wirtschaftliche Zentren in die Luft sprengen, Banken ausrauben, um kollektiv der Lohnsklaverei Widerstand zu leisten, den Massenverkehr in der Stadt blockieren und sich an mehr als nur einem bewaffneten Austausch mit den Gesetzeshüter*innen beteiligt haben.

Nichtsdestotrotz ist das Erreichte noch immer vorwiegend individuell und kann weder ausschließlich an externen Faktoren gemessen werden, noch auf geografische Punkte der „Gegenmacht“ reduziert werden. Das Opfer eines Queer-Bashings, das zurückschlägt (oder zuerst zuschlägt …), der*die Arbeiter*in, der sein Werkzeug niederlegt und ihren Posten zusammen mit dem Arbeitsplatz in Ruinen verlässt, die Migrant*in, die den Bullen absticht, um frei zu bleiben, derjenige, der den Käfig eines einzelnen Lebewesens aufbricht – Die Rebellion beginnt hier und wer weiß schon, wohin sich das Feuer als nächstes ausbreitet, oder wann es in den Köpfen den Traum absoluter Befreiung entfacht.

Also befinden wir uns anderswo als auf allen beschrittenen „revolutionären“ Pfaden, staksen am Abgrund der ökologischen Endzeiten ohne irgendeine Gewissheit, die wir aus den sich verändernden Himmeln lesen können. Einige Situationen wirken vertraut, die Mehrheit sind unerforschtes Territorium. Einige Feind*innen werden auf neuen Gebieten ausgemacht, viele mehr in den gleichen wie eh und je. So allmächtig ihre Reihen auch aussehen mögen, werden wir in den kommenden Jahren doch herausfinden, was wirklich möglich ist. Wer wird weiter an eine verfallende Ordnung glauben oder sie verteidigen, von ihren Spielen und ihren Zugeständnissen bestochen bleiben. Wo werden sich sonst noch die Zeichen einer Fragilität abzeichnen und was kann getan werden, um einen Pflasterstein durch sie zu werfen? Was wird an Zugkraft gewinnen? Der ersterbende Ruf der Pflichterfüllung für irgendeine Sache, oder die eingeborene Leidenschaft für das Abenteuer des Lebens jenseits moralischer Verpflichtungen. Ungeachtet aller schrecklichen Anzeichen, dass die Quelle allen Lebens und aller Versorgung, das Land, auf dem wir leben, einen kritischen Zustand überschreitet, während die Maschinen-Welt, die verantwortlich für die Vergiftung ist, sich anschickt sie zu ersetzen, lässt sich noch immer Trost finden, das Flüstern des Windes durch die Zweige, das Gefühl der Sonne auf deinem Gesicht oder die Gischt, die deine Füße umspült, der in den Augen einer Eule reflektierte Schein einer Feuer-erhellten Nacht, welchen Zuspruch wir auch immer brauchen, um uns aufzumuntern und uns das gebrochene Herzen durchstehen zu lassen, muss gefunden werden. Zusammen mit der notwendigen Munition. Oder anders ausgedrückt, wie die Botschaft, die den anarchistischen Bombenanschlag auf die BBVA Bankfiliale in Paseo de Husares in Madrid verkündet: „Unser Hass ist stärker als der ihre.

Selbsterschaffung, Dezivilisierung, Erneuerung der Ökologie und eine Anstrengung die „Harmonie widerstreitender Spannungen“ in eine ewige Bewegung auszuweiten, das nennen wir unsere Anarchie. Die Qualität unserer Leben wird nicht durch sozialen Komfort oder materiellen Wohlstand definiert, sondern verhält sich proportional zu dem Schaden, den es uns gemeinsam gelingt, dem zuzufügen, was uns Schaden zufügt. Was gäbe es für eine bessere Herausforderung für diejenigen, die keine Angst davor haben, bei dem Versuch zu sterben?


[1] Man vergleiche das mit der uralten Jarawa-Hordengesellschaft, die die Welt damit verblüffte, dass sie den Tsunami und das Erdbeben, die die Andaman- und Nicobar-Inseln im Indischen Ozean 2004 erschütterten, vollständig überlebte, obwohl sie so nahe am Epizentrum des asiatischen Erdbebens waren, dass der Tsunami sie beinahe unmittelbar traf. Es war angenommen worden, dass sie zusammen mit vielen der Siedler*innen der Inseln umgekommen seien, bis indische Militärhelikopter von den Indigenen mit Pfeilen beschossen wurden, als sie über den Wald flogen. Regierungsvertreter*innen und Anthropolog*innen glauben, dass das  Generationen alte Wissen über das Land und die Wind- und Meeresströmungen, sowie die Bewegungen der Tiere mehr als 60.000 Jahre umfasse, in denen die Inseln von ihnen bewohnt worden sind und die Stämme so durch Vorzeichen vor dem Tsunami gewarnt worden sind und sich vorbereiten konnten. Zum Vergleich: die vom Staat umgesiedelten Menschen auf den Inseln, die Ackerbau, Schweinezucht und Christentum übernommen hatten, wurden schwer getroffen. Noch immer gönnt der Fortschritt den überlebenden Waldbewohner*innen keine Ruhe, durch zivilisatorische Übergriffe durch Straßen, Rodungen, westliches Essen und Krankheiten tötet er sie beständig.

[2] Zum Beispiel wurden die meisten Toten in Büros, auf Verkehrsadern oder in Appartmentblocks zerquetscht, als Chile im Februar 2010 von dem sechstgrößten Erdbeben, das je gemessen wurde, erschüttert wurde, und Evakuierungen wurden von Vorfällen wie der brennenden Chemiefabrik außerhalb Santiagos veranlasst, nicht nur von den strukturellen Beschädigungen. Und was die gefährlichen Materialien, die beim Bau verwendet werden, betrifft: Die Opfer verschiedener industriellen Krankheiten, die von den Trümmern des New Yorker World Trade Centers „Ground Zero“ (sowohl langfristig als auch von der unmittelbaren Staubwolke aus enorm giftigen Karzinogenen, Dioxinen, Blei, usw.) stammen, sind zahlreicher, als diejenigen, die unmittelbar durch den Al-Qaida-Angriff getötet wurden.

[3] Philippinische Bäuer*innen, die von einem noch jüngeren Sturm namens „Agatan“ getroffen worden waren, haben sich darüber beklagt, dass die nicht-traditionellen Getreidesorten, die nun eingesetzt werden, wenn sie auch höhere Erträge abwerfen, schwächer und weniger resilient gegenüber den Fluten und Stürmen sind, verglichen mit jenen, die noch immer in den Jabonga-Hochebenen eingesetzt werden; außerdem ist ihr Anbau teurer und hängt von synthetischen Chemikalien ab. Nun, nach dem Sturm, sind die Gemeinschaften abhängig von den ausgegebenen Nahrungsmitteln.

[4] Es gibt natürlich auch andere, die die „Notwendigkeit“, unsere biologischen Formen als Individuen abzulegen und die wachsenden Herausforderungen einer bloß organischen Existenz vollständig zu überwinden, willkommen heißen und die „Singularität“ vertreten, die Cyborg-Anpassung von Menschen (die reich genug sind) durch Implantate, Gehirn- und Organ-„Upgrades“, selbst die Extraktion des eigenen „Gedächtnisses“ in eine Computersimulation. Und andere wiederum rechnen ernsthaft mit der Kolonisierung anderer Planeten, wenn dieser hier erodiert. Das ist das Ausmaß der kulturellen Psychose.

[5] Wie der beinahe universelle Einbruch der Biodiversität aufgrund von beinahe ausschließlich dem Verlust der Habitate/Zersplitterung, Jagd oder Erlegung, Schadstoffen,
konkurrierenden, neueinheimischen Spezies und Klimawandel genannt wird.

[6] Siehe Return Fire vol. 1, S. 81.

 

Übersetzung aus dem Englischen: „…Under a Changing Sky“ in Return Fire Vol. 2 Chap.1.